Nach der Wahl zum Bürgermeister wird der Sozialdemokrat in der Hansestadt zwei Wochen ohne Kabinett regieren. Das gab es noch nie.
Hamburg. Wenn der Sozialdemokrat Olaf Scholz am kommenden Montag von der Bürgerschaft zum 13. Bürgermeister seit 1946 gewählt wird, dann hat er schon Verfassungsgeschichte geschrieben. Scholz wird die verbliebenen CDU-Senatoren nicht bitten, bis zur Wahl des neuen Senats am 23. März geschäftsführend im Amt zu bleiben. Die Konsequenz: Scholz wird zwei Wochen lang faktisch allein regieren. "Es wird in dieser Zeit ein senatsloser Zustand herrschen. Das hat es noch nie gegeben", sagt ein Rathaus-Insider.
"Das ist ungewöhnlich", sagt der Verfassungsrechtler Prof. Ulrich Karpen. Verfassungsrechtliche Bedenken hat er aber nicht. "Herr Scholz übernimmt dann die gesamte Verantwortung. Er kann zwar die Staatsräte im Amt lassen, aber politisch durch Wahl in der Bürgerschaft legitimiert ist nur er." Karpen verweist darauf, dass auch seit dem Bruch der schwarz-grünen Koalition die verbliebenen CDU-Senatoren ungewöhnlich große Verantwortung tragen, weil sie bis zu drei Behörden gleichzeitig leiten.
Nach Informationen des Abendblatts hat Scholz Bürgermeister Christoph Ahlhaus (CDU) inzwischen seine Pläne erläutert. Danach wird er nach seiner Wahl die Staatsräte bitten, im Amt zu bleiben. Möglicherweise wird es nur eine Ausnahme geben: Scholz wird eventuell bereits einen neuen Chef der Senatskanzlei mitbringen, was bedeuten würde, dass Amtsinhaber Detlef Gottschalck (CDU) als Staatsrat bereits am Montag in den einstweiligen Ruhestand versetzt würde.
Die übrigen Staatsräte werden die Behörden zwar nach innen führen, können sie aber nicht nach außen vertreten. Scholz wäre als Bürgermeister zugleich Präses aller Behörden. "Das ist in der Verfassung so nicht vorgesehen", sagt der Rathaus-Insider. Offen ist derzeit, ob Scholz in den beiden Wochen bis zur Wahl seines Kabinetts Senatssitzungen einberuft, an denen er dann nur allein teilnehmen könnte.
Der designierte Bürgermeister sieht sein Vorgehen als unproblematisch an. "Die Hamburger Verfassung sieht vor, dass mit der Wahl des Bürgermeisters die Senatoren endgültig aus dem Amt scheiden, aber die Staatsräte weiter ihren Aufgaben nachgehen", sagte Scholz dem Abendblatt. Das Verfahren biete überdies Vorteile. "Der gewählte Bürgermeister kann die Bildung des Gesamtsenats und den Übergang mit der nötigen Präzision gestalten", sagte Scholz. So kann er den Apparat nutzen, um sich einen Überblick darüber zu verschaffen, welcher Zuschnitt der Behörden sinnvoll ist. Und er kann aus dem Amt heraus besser beurteilen, mit welchen Staatsräten er auf Dauer zusammenarbeiten will. Außerdem brauche, so Scholz, die Senatsbildung ihre Zeit.
Der GAL-Verfassungsexperte Farid Müller sieht die Scholz-Pläne zwiespältig: "Verfassungsrechtlich hätte ich damit weniger ein Problem. Die Frage ist aber, wie lange Scholz das machen will und welche Staatsräte er im Amt lässt." Zwei Wochen seien als Übergangszeit noch hinnehmbar, so Müller. "Aber alles, was darüber hinausgeht, würde ich kritisch sehen." Schließlich sei es Scholz' Anspruch, Hamburg wieder "ordentlich" zu regieren. Ein Bürgermeister ohne Senat habe aber keine handlungsfähige Regierung.
"Der Stil ist unschön", kritisiert CDU-Verfassungspolitiker Robert Heinemann. "Das wirkt ein bisschen so, als ob er nach dem Motto handelt: La ville - c'est moi (Die Stadt bin ich, die Red.)." Als unproblematisch sieht dagegen SPD-Verfassungsexperte Andreas Dressel das Vorgehen an: "Das ist ein absolut sauberer Weg, den unsere Verfassung vorsieht."
Zwei Senatoren werden am Montag kurz vor Beginn der Bürgerschaftssitzung ihren Rücktritt einreichen. Dietrich Wersich (Soziales) und Heino Vahldieck (Innen) können dann ihre Bürgerschaftsmandate annehmen, um an der Bürgermeisterwahl teilzunehmen. Diese Chance hat Ahlhaus nicht, da sich der Bürgermeister nicht selbst entlassen kann. Kurios: Für die Wahl des Bürgermeisters ist Ahlhaus' Nachrücker Wolfhard Ploog (CDU) Abgeordneter, um sofort danach dem Neu-Abgeordneten Ahlhaus den Platz frei zu machen.
Am 23. März will Scholz seinen Senat auf einer Sondersitzung der Bürgerschaft zur Wahl stellen. Die zeitliche Trennung zwischen der Wahl des Bürgermeisters und der Bestätigung seines Senats hat auch disziplinierende Wirkung auf die SPD-Abgeordneten. Die SPD hat eine knappe Mehrheit von 62 zu 59 Sitzen in der Bürgerschaft. Nach der Senatswahl will Scholz am 23. März auch seine Regierungserklärung vor der Bürgerschaft abgeben.