Fraktionschef Schira lässt Zukunft offen. Sozialsenator Favorit für Nachfolge
Hamburg. Es war schon nach 22 Uhr am Montagabend, als deutlich wurde, wie blank die Nerven in der CDU liegen. Bürgermeister Christoph Ahlhaus erklärte den Medienvertretern in der Parteizentrale am Leinpfad gerade, dass er nicht das Amt des Oppositionsführers anstrebe. Man könne nicht 24 Stunden nach einer krachenden Wahlniederlage gleich wieder über Personen und Posten reden, so Ahlhaus. Während der Bürgermeister sich mit weiteren Fragen zu seiner eigenen Zukunft konfrontiert sah - sie aber unbeantwortet ließ -, trat plötzlich Parteichef Frank Schira, der zwei Stunden zuvor seinen Rücktritt angekündigt hatte, neben ihn und übernahm ungefragt das Wort: "Wenn ich als Parteivorsitzender, der bin ich ja noch, etwas sagen kann", stellte er vor laufenden Kameras klar: "Das sind ja Fragen zur Partei und nicht die an einen Bürgermeister." Das saß.
Einen Augenblick schien Ahlhaus nur verwundert - schließlich richteten sich die Fragen an ihn persönlich und nicht an den Parteichef, wie Schira behauptete. Doch dann versteinerte sich seine Miene, und er wollte nur noch weg. Wortlos ließ er Schira stehen und bahnte sich den Weg Richtung Ausgang. Eine derartige Demütigung erleben Bürgermeister in Hamburg nur selten - noch dazu durch einen "Parteifreund". Der erklärte die Situation gestern mit der Ankündigung seines Rückzugs als Landeschef - der schwersten politischen Entscheidung seines Lebens, die er kurz zuvor getroffen hatte. Er habe Ahlhaus nicht brüskieren wollen, so Schira. "Wenn der Eindruck entstanden ist, tut es mir leid." Es gebe keine Dissonanzen.
"Ein typischer Schira", war noch eine der freundlichsten Einschätzungen aus der Partei zum Gebaren ihres Vorsitzenden. Es sind auch solche Auftritte - "weder stilistisch noch inhaltlich gelungen", meinte ein CDU-Führungsmitglied -, die dazu führen, dass die historische Wahlschlappe außer Ahlhaus auch Schira alle Posten kosten dürfte. Der 46-Jährige, der den Parteivorsitz im Juni abgeben will, soll einem Parteifreund gegenüber angedeutet haben, dass er auch bereit sei, auf den Posten des Fraktionschefs zu verzichten.
Für die wichtige Rolle des Oppositionsführers - mit gut 13 000 Euro Monatseinkommen künftig auch der lukrativste Posten in der CDU - wünschen sich die meisten Parteimitglieder einen Neuanfang. Nachdem zunächst Sozialsenator Dietrich Wersich, Innensenator Heino Vahldieck und Haushaltsexperte Roland Heintze genannt wurden, spitzte sich die Lage gestern zu: "Ich habe nicht vor, Fraktionsvorsitzender zu werden", sagte Vahldieck dem Abendblatt. "Ich bevorzuge es, wenn Dietrich Wersich das macht." Der sei geeigneter als Schira, so Vahldieck.
Der Gelobte selbst wollte sich aber noch nicht festlegen, ob er sich bewerben wird. "Die Überlegungen sind noch nicht abgeschlossen", sagte Wersich dem Abendblatt. Auch Heintze vermied bislang eine offene Bewerbung, bekennt aber, dass er sich freue, zum Kreis der Kandidaten zu zählen.
Außer dem Rahlstedter CDU-Urgestein Karl-Heinz Warnholz, nach Schiras Aussage der Einzige, mit dem er sich über seinen Rücktritt beraten habe, hat der Noch-Fraktionschef kaum noch Unterstützer. Dafür werden seine Gegner immer deutlicher: "Er hat Pattexfähigkeiten", schimpft der Bürgerschaftsabgeordnete Heiko Hecht. "Die CDU ist aber kein Versorgungsverein für abgehalfterte Berufspolitiker."
Hecht und andere Abgeordnete wie Klaus-Peter Hesse fordern nach dem mit 21,9 Prozent schlechtesten Wahlergebnis der CDU einen personellen Neuanfang. "Wersich hat das intellektuelle Format und die geistige Beweglichkeit, die CDU zu einer modernen Großstadtpartei zu machen", sagt Hecht. Heintze als Fraktionschef sei aber auch eine gute Wahl. Hesse meinte, Wersich sei "grundsätzlich ein Kandidat, dem man das Amt zutraut".
Nach der Kritik, dass Ahlhaus als Nachfolger von Ole von Beust im kleinen Kreis ausgeguckt worden war, ist die CDU bemüht, die Basis einzubinden. Für seine Nachfolge als Parteichef - Favorit ist der Bundestagsabgeordnete Marcus Weinberg - stellt sich Schira eine Vorstellungsreihe in den Kreisverbänden vor. "Marcus Weinberg ist ein hervorragender Kandidat", die Personalie dürfe aber nicht von oben vorgegeben werden, so Schira. "Es kann nicht schaden, dass die Kandidaten die Rundreise antreten."