Harburg. Traditionsschiff absolviert fünfmonatige Werftzeit im Museumshafen am Kanalplatz. Hunderte Helfer sind am Werk. Was alles zu tun ist.
Eigentlich verbringt der Zweimaster „Roald Amundsen“ die Winter in warmen Gefilden, auf den Kanaren und in der Karibik. Doch dieses Jahr ist alles anders: Sie liegt im Harburger Hafen. Es stehen große Erhaltungsarbeiten an, und die wechselnden Crewmitglieder des Betreibervereins „LebenLernen auf Segelschiffen“ müssen neu geschult werden. Deshalb wird die schöne Brigg (Zweimaster mit Rahsegeln) bis Ende März in Harburg überwintern.
Eine der größten Arbeiten ist bereits im Gange: Das Schiff ist mit Planen abgedeckt, denn das Holzdeck muss erneuert werden. Dazu werden rund 250 Quadratmeter Bretter ausgetauscht. „Das Deck ist abgenutzt. Es wird täglich abgeschrubbt, damit es nicht rutschig ist. Dadurch hat es während des Betriebs 1,5 Zentimeter an Dicke verloren“, sagt Ulrich Komorowski. Er ist technischer Inspektor des Schiffs und damit dafür verantwortlich, dass sämtliche Technik in Ordnung ist.
Harburger Hafen: Schmuddelwetter statt Karibik
Wie die anderen Vereinsmitglieder arbeitet Komorowski ehrenamtlich an Bord. Wenn das Schiff in Fahrt ist, ist er einer der Kapitäne, mit entsprechender Qualifikation. Beruflich hat er inzwischen umgesattelt, arbeitet für ein Energieunternehmen. „Wir haben jetzt 180 Liegetage. Immer arbeiten 15 Leute an Bord, dafür haben wir einen Dienstplan“, sagt Komorowski. „Die meisten Mitglieder bringen viel Kompetenz mit. Das, was sie sonst beruflich machen, machen sie hier ehrenamtlich.“
Um die 1800 Mitglieder hat der gemeinnützige Verein. Etwa die Hälfte ist jedes Jahr aktiv. Der harte Kern, der das Schiff unterhält oder auf Reisen die 15-köpfige Stammcrew bildet, besteht aus 400 bis 600 Menschen. Schüler, Studierende, Berufstätige, Ruheständler – „die Altersspanne reicht von 15 bis weit über 80“, so Komorowski.
Er sitzt in der Messe, in der gerade Katharina, Julia und Laura Tauwerk flicken. Laura steht auf und verabschiedet sich für heute. Sie muss zur Uni und hat es nicht weit. Sie studiert an der Technischen Universität in Harburg. „Anders als bei anderen Traditionsseglern sind fast alle Positionen paritätisch mit Männern und Frauen besetzt“, sagt Komorowski. „Und das ganz ohne Frauenquote.“
Hauptmaschine, Generatoren und Kompressoren werden komplett zerlegt
Im Schiff riecht es nach frischer Farbe. Auch im Schiffsinneren ist einiges zu tun. Demnächst wird die Kombüse erneuert. Der 16 Jahre Ofen läuft auf Reisen fast rund um die Uhr. Schließlich werden auch Brot und Brötchen selbstgebacken. Auf ihren Transatlantikfahrten in die Karibik sind die Segler viele Tage auf See. Wenn dann der Ofen ausfallen würde, wäre die Stimmung dahin.
Eine Etage tiefer, im Maschinenraum, wird demnächst kräftig geschraubt. Die Hauptmaschine (300 PS) und ein knappes Dutzend Hilfsaggregate (Generatoren für den Bordstrom, Kompressoren und andere) werden komplett zerlegt, inspiziert und gepflegt.
Dadurch, dass in diesem Winter die Transatlantikroute zur Karibik ausfällt, bleibt die Brigg in der Segelsaison 2025 in europäischen Gewässern. „Wir werden in der Nord- und Ostsee unterwegs sein“, kündigt Komorowski an. Dabei wird der Zweimaster auch in seinem Heimathafen Eckernförde vorbeischauen. Hier betreibt der Verein ein Schiffsbüro mit den einzigen (drei) Angestellten.
Harburger Binnenhafen eignet sich perfekt zur Überwinterung
Vorübergehender Heimathafen ist jetzt erst einmal der Harburger Binnenhafen. Die Szene der Großsegler, der Betreiber von Traditionsschiffen, sei gut vernetzt, sagt Komorowski. Es habe bereits Kontakte zum Museumshafen Harburg (MuHaHar) geben. Er biete mehrere Vorteile: Im Hafen gibt es keine Gezeiten. Der Liegeplatz am westlichen Kanalplatz lässt es zu, dass Fahrzeuge bei Materialanlieferungen direkt bis an das Schiff fahren können. Ebenso ein Kranfahrzeug, das im Zuge der Arbeiten gebraucht wird.
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Auch für die Ehrenamtlichen aus ganz Deutschland ist das Schiff gut zu erreichen. Da sie während der Einsatzzeiten an Bord wohnen, legt Komorowski Wert darauf, dass die Umgebung angenehm ist. „Auf Werften gibt es immer beschränkte Zugänge für betriebsfremde Personen. Dort könnten wir auch nicht Weihnachten und Silvester an Bord feiern.“ Ebenfalls wichtig sei die Nähe zu Hamburger Werften, etwa zur Norderwerft. Einige Arbeiten werden fremd vergeben. So wird beispielsweise die Ankerwinde zur Überholung von Bord gehievt.
Ende Februar startet Sicherheitstraining der Crewmitglieder
„Die Winter-Werftzeit ist eine einzigartige Gelegenheit, Hand in Hand mit erfahrenen Crewmitgliedern und anderen Helfern das Schiff in Topform zu bringen. Ganz egal, ob du viel oder wenig Erfahrung hast – hier bist du mittendrin, lernst dazu und bist Teil eines Teams, das gemeinsam daran arbeitet, die ‚Roald Amundsen‘ für die nächste Segelsaison fit zu machen“, steht auf der Website des Schiffes. Bis Ende Februar sollten die gröbsten Arbeiten erledigt sein.
Dann beginnt ein dreitägiges Sicherheitstraining für die Stammcrew. Es werden Notfallszenarien durchgespielt und Sicherheitsmaßnahmen wie Leck am Schiff, Brandbekämpfung und Erste-Hilfe geübt (ein Arzt ist bei längeren Reisen immer mit an Bord). Auch Sportbootführerscheine werden gemacht. Der Führerschein wird gebraucht, um das Einsatzboot, ein Schlauchboot, fahren zu dürfen. Es steht bereit, um im Ernstfall Menschenleben zu retten.
Erste Reise führt von Harburg nach Cuxhaven
Am 1. April wird die „Roald Amundsen“ planmäßig Harburg verlassen, zum ersten Törn elbabwärts bis Cuxhaven. Mitfahren kann, nur, wer Vereinsmitglied ist oder wird. Die dreitägige Tour läuft unter Maschine und kostet 400 Euro. Neben der 14-köpfigen Stammcrew können zusätzlich 34 Passagiere auf dem 49 Meter langen Großsegler mitfahren. Sie werden Teil der Crew.
Von Cuxhaven geht es weiter nach Edinburgh und dann an die norwegische Küste. Doch bis dahin werden noch hunderte Helfer das 1952 für die DDR-Hochseefischerei erbaute Traditionsschiff auffrischen. „Das Ziel unseres Vereins LebenLernen auf Segelschiffen ist nicht nur, das Schiff zu erhalten, sondern auch Fähigkeiten im traditionellen Handwerk zu vermitteln“, sagt Ulrich Komorowski.