Harburg. Ein Liebhaber arbeitet einen rostigen Fischkutter im Harburger Hafen auf. Nicht alle mögen das. Nun hat ihn die Stadt beschlagnahmt.
Morpheus ist ein Gott der Träume in der griechischen Mythologie. So taufte Paul Eisenkolb seinen alten Hochseekutter, der schon viele Jahre im Überwinterungshafen des Harburger Binnenhafens liegt. Seit Oktober 2020, als er das Schiff – damals noch unter dem Namen „Pottwal“ – kaufte, arbeitete der gelernte Bohrmeister (Brunnenbau) und erfahrene Maschinenbauer viele Tage an Bord. Doch nun beschlagnahmte der Bezirk Harburg den alten Kutter.
1958 in Boizenburg gebaut, war die „Pottwal“ ein wichtiger Teil der DDR-Hochseefischerei. 1993 machte sie erstmals im Binnenhafen fest. Zunächst hatte der sogenannte Seitenfänger neben der Jöhnk Werft seinen Liegeplatz, war dann drei Jahre in Oevelgönne und ist seit 2012 wieder in Harburg. Immer mal wieder gab es Leben auf dem 26,5 Meter langen Stahlschiff. Manchmal sollen sich dort sogar zwielichtige Gestalten herumgetrieben haben. So geriet die „Pottwal“ in Verruf.
Gespaltene Meinung: Traditioneller Kutter oder nur ein Schrottschiff?
Als Eisenkolb es kaufte, war das rostige Schiff aus Sicht der einen ein schöner, traditioneller Kutter wie auf den Pastillen-Verpackungen von Fisherman’s Friend, den es zu erhalten lohnt. Andere sahen und sehen in ihm ein Schrottschiff, das fragwürdige Leute anlockt und für Unruhe sorgt. Schiffsliebhaber Eisenkolb nahm die Herausforderung an und wollte aus dem Schiff etwas machen. Was es sein wird, wusste er damals noch nicht so genau.
„Ich habe 350 Arbeitstage und 80.000 Euro investiert“, sagt der Eigner. „Zusammen mit Helfern haben wir das Schiff komplett ausgeräumt, potenzielle Altlasten entfernt. Insgesamt waren es rund 40 Tonnen: 20 Tonnen Stahl, die Maschine (zehn Tonnen) und weitere zehn Tonnen Beton, Holz und anderes marodes Material.“ Das Schiff bekam eine neue Maschine. Als ständige Begleiter habe es Auseinandersetzungen mit verschiedenen Behörden gegeben, sagt der 57-Jährige.
Idee: Hochseekutter könnte zum Kulturschiff im Binnenhafen werden
Sein Schiff sei Dank des Süßwassers in einem guten Zustand. „Das Problem ist nicht das Schiff, sondern sein Ruf“, sagt Eisenkolb. Also musste ein neuer Name her: Der Gott Morpheus passte zum Traum der „Pottwal“-Aktiven, den Hochseekutter eines Tages als Kulturschiff für die Öffentlichkeit herzurichten. „Er gehört in den Binnenhafen.“ Davon ist Eisenkolb überzeugt. So wie das Schwesterschiff „Sea Eye“ am Kanalplatz.
Die „Morpheus“ besetzt hinter der Schlossinsel einen Behördenliegeplatz, der von vornherein nur vorübergehend zur Verfügung stand. „2023 wurde ich endgültig aufgefordert, das Schiff zu verlegen, allerdings verbunden mit Auflagen“, sagt Eisenkolb. „Es sollte zuvor eine Versteifung bekommen. Doch um das machen zu können, brauche ich Landstrom – mit unserem Generator oder den Solarzellen kann man nicht schweißen. Der Strom wurde mir verwehrt.“
Eigner erhält immer neue Auflagen – auch unerfüllbare
„Die Behörden verlangen Arbeiten, lassen diese dann aber nicht zu“, ergänzt Lukas Gawron, ein weiterer Schiffsretter. „Es heißt, wir müssen hier weg, dürfen aber nicht fahren.“ Gawron sieht den behördlichen Umgang mit dem Eigner als Schikane: „Es gibt immer wieder neue Auflagen, die Paul meistens relativ schnell erfüllt. Wenn das geschehen ist, kommt die nächste Auflage.“
Im vergangenen Sommer machte sich die „Morpheus“ dennoch auf den Weg: Es gab im Herzen des Hamburger Hafens einen neuen Liegeplatz für sie. Eisenkolb: „Wir wurden an der Kattwykbrücke von der Wasserschutzpolizei abgefangen und mit einem rüden Manöver zur Umkehr gezwungen.“ Also blieb das Schiff auf dem Kurzfrist-Liegeplatz im Binnenhafen. Am 10. Oktober 2023 ließ das für Liegerechte zuständige Bezirksamt die „Morpheus“ beschlagnahmen.
Der regenreiche Winter hat an Deck Spuren hinterlassen
Jetzt ist das in die Jahre gekommene Stahlschiff dem Verfall ausgeliefert, denn Paul Eisenkolb und seine Helfer dürfen nicht mehr an Bord. Am Montag gab es eine kleine Ausnahme: Er und Lukas Gawron stehen an Deck, dem anzusehen ist, dass es fünf Wintermonate ohne jegliche Pflege hinter sich hat. In großen, mit Tauen verkleideten Kübeln wachsen Pfefferminze und andere Pflanzen. „Die hat meine Schwester hier hingestellt“, sagt Eisenkolb.
In den Sommern 2021 und 2022 war immer etwas los an Bord. „Über das Internetportal Workaway hatten wir im Laufe der Zeit insgesamt 30, 40 Helfer aus aller Welt, die gegen Unterkunft und Verpflegung am Schiff gearbeitet hatten“, sagt Gawron. „Sie kamen aus Argentinien, USA, Australien, Frankreich, Türkei, Syrien. Das war eine Begegnungsstätte sondergleichen. Und das Schiff war noch nicht einmal unterwegs.“
Im Sommer wurde an Deck gegrillt, geklönt, gesungen
Zum Feierabend wurde an Deck gegrillt, geplaudert, mal zur Gitarre gesungen. Häufiger sei die Polizei gekommen, weil sie von Anwohnern gerufen worden sei. Wegen Ruhestörung. Es habe dann eine kurze Ermahnung gegeben, dass ab zehn Uhr die Nachtruhe einzuhalten sei, erzählt Gawron.
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Eisenkolb und Gawron wollen das Projekt nicht aufgeben und hoffen auf eine Wende zum Positiven. Vielleicht durch mehr öffentliche Unterstützung. „Viele Leute hier im Hafen mögen das Schiff“, ist sich Paul Eisenkolb sicher. Vielleicht umschifft die „Pottwal“ alias „Morpheus“ auch die aktuelle Klippe. Schließlich hat der Kutter im Laufe seines fast 70-jährigen Bestehens manchen Sturm überstanden.
Mit der „Pottwal“ bei Sturm in der Nordsee auf Fischfang
Rückblick: Auf dem Hochseekutter haben einst die Besatzungen auf der Nordsee Windstärke zehn ausgehalten. Wenn die Männer zu weit draußen waren, um rechtzeitig bei Stärke sechs oder sieben einen Schutzhafen in Dänemark oder England anzulaufen. Der Kutter gehörte zur Fischereiflotte der DDR. Sein Heimathafen war Sassnitz auf Rügen.
Die Fischer der DDR waren Ende der 50er-, Anfang der 1960er-Jahre, als die „Pottwal“ in Fahrt kam, eine besondere Gruppe im Land. Um die 100 Kutter, vor allem die 50 Schiffe der 26,5-Meter-Serie, machten sich auf, um durch den Nord-Ostsee-Kanal in die Nordsee zu gelangen. Sie sollten Devisen einfahren und die Bevölkerung versorgen. Nach der Wende kam das Aus.