Eißendorf. Neu gebauter Radweg verengte den angrenzenden Fußweg und wurde kurzerhand gesperrt. Warum der Vorfall bundesweit einmalig sein dürfte.
- Im Hamburger Süden ist es erneut zu einer erstaunlichen Behördenposse gekommen
- Ein neu gebauter Radweg musste gesperrt werden, weil der Fußweg daneben durch die Einengung nicht mehr der Norm entsprach
- Dabei lag die Lösung des Problems eigentlich die ganze Zeit auf der Hand
Die Sanierung eines Fahrradweges sollte eigentlich das ganz normale Alltagsgeschäft einer Kommune sein, denken viele – und irren sich gewaltig. Neue Normen für Rad- und Fußwege machen es oft unmöglich, einen alten, schadhaften Radweg einfach so wieder herzurichten, wie er einst gebaut wurde.
Das führt häufig dazu, dass Radwege komplett wegsaniert werden – so wie an der Heimfelder Straße – oder zugunsten normgerechter Fahrradwege Parkplätze wegfallen, wie an der Denickestraße. Oder, dass der Radweg weg ist, wiederkommt, wieder weg und dann doch wieder da ist, wie jetzt am Beerentalweg.
Radweg-Posse im Hamburger Süden: Angrenzender Fußweg war der Polizei zu klein
Die Radwege dort, auf dem Abschnitt zwischen Seestücken und Friedhofstraße, waren in einem schlechten Zustand, für Rad und Fahrer stellten sie eher eine Gefahr als eine sichere Option dar. Im März wurde auf der Nordseite gebaut. Dort verschwand der Fahrradweg ganz.
Ihn nach neuer Norm herzustellen, hätte dem Fußweg zu wenig Breite gelassen. Im April verlagerte sich die Baustelle auf die Südseite. Dort wurde der Fahrradweg hergestellt – normgerecht mindestens 1,6 Meter breit, mit sicht- und tastbaren Streifen vom Fußweg getrennt, welcher dadurch allerdings sehr schmal ausfiel.
Zu schmal, wie Anwohner und Polizei bemängelten. Während die Anwohner den Restfußweg spöttisch „Zwergenweg“ nannten, nannte die Polizei ihn schlicht unzulässig und ordnete schon im Juni an, dass der Radweg für Radfahrer gesperrt und per Schild für Fußgänger freigegeben wird. Im September kam das Bezirksamt der Anordnung nach und stellte Sperren und Schilder auf. Auch das sorgte bei den Anwohnern für Unverständnis.
Polizei als Straßenverkehrsbehörde: Hamburger Lösung bundesweit einmalig
Lange hielt der Sperr- und Umwidmungszustand aber auch nicht an, sondern nur drei Wochen. Dann baute das Bezirksamt die Schranke, den Schildpfeiler und das Schild wieder ab. Das wirft Fragen auf, die weder Polizei noch Bezirksamt bis heute zufriedenstellend beantworten können: Kann das Bezirksamt sich einfach über eine Anordnung der Polizei hinwegsetzen? Und wenn ja: Warum gelten polizeiliche Anordnungen bislang als unumstößlich?
In Hamburg ist die Polizei gleichzeitig die Straßenverkehrsbehörde. Die Verkehrsdirektionen kümmern sich dabei als „obere Straßenverkehrsbehörde“ um übergeordnete Angelegenheiten, die Polizeikommissariate vor Ort als „untere Straßenverkehrsbehörde“ um einzelne Baumaßnahmen und Probleme in ihrem „Beritt“. Das ist in Deutschland eine Hamburger Besonderheit. In den Flächenländern sind die oberen Straßenverkehrsbehörden bei den Verkehrsministerien und die unteren bei den Landkreisen angesiedelt.
„Manchmal hat man den Eindruck, dass sich das Bezirksamt auch gerne hinter den Anordnungen der Polizei versteckt.“
In den sieben Hamburger Bezirksversammlungen sorgt die Aufgabenteilung nach dem Motto: „Die Polizei ordnet an, das Bezirksamt plant und baut“ oft für Frustration, denn auf das Bezirksamt hat die Bezirkspolitik tatsächlich noch einen gewissen Einfluss. Auf die Polizei keineswegs. Nicht selten werden verkehrspolitische Beschlüsse, die die Bezirkparlamente mehrheitlich gefasst haben, von der Polizei einkassiert. Besonders häufig ist das der Fall, wenn es um Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Hauptstraßen geht.
Bislang galten die Anordnungen der Polizei Hamburg als unumstößlich
Bislang galten die Anordnungen der Polizei auch stets als unumstößlich, so zum Beispiel als die Stahlpoller an der Zimmermannstraße aufgestellt wurden, um das bis dahin tolerierte Kantsteinparken zu unterbinden. „Deshalb lässt mich dieser Vorgang jetzt aufhorchen“, sagt der Harburger Linken-Bezirksabgeordnete Jörn Lohmann, selbst Anwohner der Zimmermannstraße. „Warum geht am Beerentalweg, was hier nicht geht – nämlich eine Anweisung der unteren Straßenverkehrsbehörde zu übergehen?“
Uwe Schneider (CDU), neuer Vorsitzender des Mobilitätsausschusses der Bezirksversammlung, möchte die Debatte gerne vom Einzelfall ins Allgemeine ziehen: „Manchmal hat man den Eindruck, dass sich das Bezirksamt auch gerne hinter den Anordnungen der Polizei versteckt“, sagt er. „Deshalb wäre es besser, wenn die untere Straßenverkehrsbehörde bei den Bezirksämtern angesiedelt wird. Dann wären Bezirkspolitik und Verwaltung in Verkehrsdingen im Dialog. So ist das frustrierend: Man erarbeitet einen mehrheitsfähigen Beschluss, stimmt ihn ab und kann ihn doch oft nicht umsetzen.“
Es gab allerdings bislang erst einen einzigen ernsthaften Versuch, die Amtsaufteilung zu ändern: 2020 brachten die Grünen in der Bezirksversammlung Hamburg-Mitte einen entsprechenden Antrag ein. Sie fanden damals aber keine Mehrheit dafür.
Lösung mit der Heckenschere: So einfach lassen sich Probleme aus der Welt schaffen
Das Hin und Her mit dem Radweg in Eißendorf beschäftigt auch den Bürgerschaftsabgeordneten André Trepoll (CDU), in dessen Wahlkreis das Verwirrspiel gegeben wird. Er stellte eine Anfrage an den Senat mit der Bitte um Aufklärung.
Ganz am Ende der Antwort findet sich eine mögliche Erklärung dafür, warum die Polizei derzeit nicht auf die von ihr angeordnete Sperre besteht: „Das Bezirksamt Harburg hat aus Gründen der Verkehrssicherheit einen Rückschnitt des Bewuchses am Gehweg durchgeführt, sodass nun eine begehbare Mindestbreite von 1,5 Metern zur Verfügung steht, die ein Ausweichen von Fußgänger:innen auf den Radweg verhindern soll“, steht dort.
Eine simple Lösung mit der Heckenschere. Die Sperre und die Schilder haben 385 Euro gekostet. Wie oft pro Jahr das Bezirksamt den Beschnitt nachhalten will, um die Gehwegmindestbreite einzuhalten, ist nicht bekannt. Auch nicht, ob die Polizei sich mit der kurzfristigen Maßnahme zufriedengibt.
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„Das Beispiel des Beerentalwegs zeigt, dass es hierbei aus der unterschiedlichen Aufgabenperspektive heraus durchaus zu unterschiedlichen Auffassungen kommen kann“, schreibt Polizeisprecher Florian Abbenseth. „Diese werden dann jeweils in vertrauensvollen Gesprächen erörtert und ausgeräumt. Solche Gespräche finden aktuell auch zwischen dem Bezirksamt Harburg und dem Polizeikommissariat 46 statt.“
Verkehr Hamburg: Ignorieren Fahrradfahrer den neuen Weg etwa ganz?
Endgültig entschieden ist also noch nichts. Vielleicht ist es auch nicht so wichtig. Bei der Vor-Ort-Recherche wartete der Reporter nachmittags gut 30 Minuten bei bestem Fahrradwetter mit der Kamera am Beerentalweg auf einen Radfahrer, der den neuen Weg nutzt. Als dann endlich einer kam, ignorierte dieser den knallroten, unübersehbaren Radweg und fuhr auf der Fahrbahn weiter.
Die meisten Radler, die hier Richtung Harburger Innenstadt unterwegs sind, peilen aber auch das Göhlbachtal an, um den Aufstieg zur Bremer oder Eißendorfer Straße zu vermeiden, zumal an der Friedhofstraße oft kein Radweg und manchmal nicht einmal ein Fußweg zu finden ist. Und zum Göhlbachtal kürzt man kurz hinter Seestücken links über die Beerentaltwiete ab. Vom neuen Radweg müsste man dafür den Kantstein herunterfahren.