Harburg/Eißendorf. Wegen der Warenhausschließung in Harburg stand der beliebte Schneider plötzlich vor dem Aus. Hier macht er weiter.

Als das Harburger Karstadt-Haus im Juni schloss (das Abendblatt berichtete), waren Wut und Trauer groß. Trotz aller Rettungsbemühungen und -konzepte des Betriebsrats blieb die Entscheidung der Essener Konzernzentrale hart: 78 Angestellte verloren ihren Job. Dazu traf es noch einmal 12 Menschen, die als Ein-Mann-Firmen oder Angestellte kleiner Betriebe, welche als „Untermieter“ bei Karstadt Dienstleistungen erbrachten. Einer davon ist der Schneider Mohammed Yusuf Mahamoud, von allen nur Mahamoud genannt.

Er hatte sich erst zwei Jahre zuvor im Untergeschoss des Warenhauses eine eigene Existenz aufgebaut und schnell begeisterte Kunden gewonnen. Diese können jetzt aufatmen: Mahamoud schneidert weiter, als Angestellter in einer kleinen, aber feinen, Änderungsschneiderei in Eißendorf.

Karstadt-Geschichten: Keine Zukunft für Mahamoud in Mogadischu

Widrigkeiten zu überwinden, ist Mahamoud gewohnt. Der 34-jährige wuchs Mogadischu auf. In der von Bürgerkrieg und Bandenkämpfen zerrissenen Hauptstadt Somalias erlernte er sein Handwerk und gründete seine eigene Firma; eine Schneiderei mit fünf Angestellten.

Doch spätestens, als er Vater wurde, begann er die Situation in seiner Heimat mit anderen Augen zu sehen: „Es gibt dort keine friedliche und sichere Zukunft für meine Familie“, sagt er.

Selbstgefertigte Kleider waren der Blickfang im Untergeschoss

So machte er sich – wie viele andere in der Zeit – auf den beschwerlichen und gefährlichen Weg nach Europa. 2015 kam er in Hamburg an, und sobald er seine Aufenthaltsgenehmigung hatte, schneiderte er auch wieder; als Näher in einer Firma im Hamburger Osten, die Berufsbekleidung für die Medizin- und Pflegebranche herstellt. „Ich bin dankbar für die Arbeitsstelle, aber auf Dauer hat mich diese Arbeit nicht ausgefüllt“, sagt Mahamoud.

Die Gelegenheit zur Veränderung ergab sich , als der alte Änderungsschneider im Karstadt-Untergeschoss beschloss, sich zu Ruhe zu setzen und einen Nachfolger für seine Shop-in-Shop-Schneiderei suchte. Mahamoud, der mittlerweile Frau und Tochter aus Somalia nachgeholt hatte, griff zu und hatte gleich einen Blickfang: „An zwei Schneiderpuppen hing ich Kleider, die ich selbst gefertigt hatte“, sagt er.

Karstadt Harburg, zwei Tage vor der Schließung
Karstadt Harburg, zwei Tage vor der Schließung © HA | André Lenthe

Mahamoud und die Karstadt-Stoffabteilung – eine perfekte Symbiose

Bereits in Mogadischu hatte in seiner Schneiderei selbst Kleidung gefertigt und nicht bloß repariert. Von der Stange wird dort wenig gekauft, denn nach Somalia zu liefern, ist für die internationalen Hersteller mit großen Risiken verbunden und eine eigene Industrie gibt es kaum noch, eine lange und kunstfertige Handwerkstradition hat sich allerdings gehalten.

Schon bald fielen Kundinnen, die Kleider zum Ändern brachten, Mahamouds Modelle auf und sie fragten, ob er ihnen Kleider fertigen könnte. Er schickte sie dann mit einer Einkaufsliste in die Stoffabteilung im dritten Stock des Warenhauses und wenn sie mit dem Material wiederkamen, nähte er den Kundinnen die Kleidung auf den Leib. Die Stoffabteilung revanchierte sich, indem sie Kundinnen, die von sich aus mit einem Schnittmuster und einem Stoffwunsch kamen, aber etwas ratlos wirkten, nach unten zu Mahamoud schickte – eine perfekte Symbiose, die durch die Schließung des Warenhauses jäh zerstört wurde.

Gute Schneider sind Mangelware. Der neue Chef hatte Glück

Hier kommt Bernd Clasen ins Spiel. Der Mitinhaber der „Änderungsschneiderei Göhlbachtal“ – die andere Hälfte gehört seiner Lebensgefährtin Vivian Kohnen – ist im Hauptgeschäft Nachlassverwalter und Erbenermittler und hat sein Büro direkt gegenüber dem ehemaligen Karstadt-Haus. „Außerdem bin ich über Verwandte, die bei Karstadt gearbeitet haben schon immer eng mit dem haus verbunden gewesen. Ich kannte Mahamoud daher und wusste, dass er hier in kurzer Zeit viele Fans gewonnen hat“, sagt er.

Da weder Clasen, noch seine Partnerin Schneider sind, haben sie in ihrer Schneiderei, die sie vor neun Jahren eröffneten, stets Schneider beschäftigt. „Gute Schneider zu finden, die hier in den Laden passen, ist nicht immer leicht“, sagt er. „Wenn die fachliche Qualität stimmt, lässt die Kundenkommunikation oft zu wünschen übrig. Wir leben aber davon, dass sich die Kunden bei uns wohlfühlen und gerne wiederkommen.“

Die Ballsaison im Blick

Als Mahamoud relativ unvermittelt – das Warenhaus sollte ursprünglich bis Ende Juni offen bleiben – seinen Betrieb räumen musste, sprach Bernd Clasen ihn an. Für beide war das ein Glücksgriff. Statt vor dem Nichts stand Mahamoud vor einer sicheren Zukunft und Bernd Clasen hatte einen ebenso kompetenten, wie freundlichen Schneider gewonnen. Eigene Kleider wird Mahamoud auch im Göhlbachtal anfertigen. Bernd Clasen schielt da schon auf die kommende Ballsaison. „Vor allem aber kam es mir darauf an, einem Familienvater wie Mahamoud Sicherheit zu geben“, sagt Clasen, „auch über ein sehr angemessenes Gehalt.“

Mit dieser Sicherheit im Rücken hat Mahamoud jetzt ein neues Ziel: Die Einbürgerung in der Bundesrepublik Deutschland. Bis dahin ist es ein langer bürokratischer Weg. Aber Widrigkeiten ist Mahamoud ja gewohnt.