Neuenfelde. Familie in Neuenfelde will ihr denkmalgeschütztes Fachwerkhaus retten. Dabei erhält der Obsthof auch Unterstützung aus unerwarteter Ecke.
- Die Reetdachhäuser im Alten Land sind nicht nur für Touristen ein beliebtes Fotomotiv
- Die meist denkmalgeschützten Fachwerkhäuser erzählen auch die Geschichte einer einmaligen Kulturlandschaft
- Doch was, wenn eines dieser Baujuwele zu verfallen droht?
„Das Haus ist eine Herausforderung, weil immer etwas Neues zutage tritt“, sagt Birgit Mählmann. Die Landwirtin führt mit ihrem Mann Ralf in achter Generation einen Obsthof in Neuenfelde, den biologisch wirtschaftenden Obsthof Mählmann. Das Aushängeschild ist das 1779 errichtete Haupthaus – eine bauhistorische Perle im Alten Land, die erhalten werden will.
Lotto Hamburg: 40.000 Euro für ein Fachwerk-Juwel im Alten Land
„Seltenes Zweiständerhaus in Hamburg-Neuenfelde wird mit Mitteln der GlücksSpirale saniert“, meldete Lotto Hamburg Ende August. Über die Deutsche Stiftung Denkmalschutz fließen aus der Lotterie 40.000 Euro in die Restaurierung der Prunkfassade auf der Giebelseite des Fachwerkhauses. Weitere 40.000 Euro zahlen die Mählmanns aus eigener Tasche. Als Restaurator Bodo Vogel sich zusammen mit den Handwerkern den Giebel näher ansah, stand fest: Er ist viel maroder als gedacht.
Das ist nicht die erste Überraschung, die das imposante Fachwerkhaus an der Stellmacherstraße bot. Wo Handwerker seit Sanierungsbeginn am Jahr 2019 anpackten, erwies sich die Bausubstanz in einem schlechteren Zustand als erwartet. Doch manchmal gibt es auch positive Entdeckungen. So kamen zum Beispiel in einem Zimmer an der Giebelwand unter der abgerissenen Raufasertapete Malereien zum Vorschein, die einst den größten Raum des Hauses verzierten. In ihm wurden wohl auch Feste gefeiert.
Birgit Mählmann ist gerade nicht zum Feiern zumute. Sie ist auf dem Hof groß geworden. Auf 25 Hektar wachsen Äpfel, Birnen, Pflaumen, Rhabarber und verschiedenes Beerenobst. Vermarktet werden die Früchte mit dem Demeter-Siegel. Aber der Hof ist auch von Bioland und Naturland zertifiziert.
Hamburger Denkmalschutzstiftung hält das Reetdachhaus für ein Juwel
Gerade läuft die Apfelernte auf Hochtouren. Hinter dem Fachwerkhaus werden die Äpfel angefahren, auf der Vorderseite stehen ein Baugerüst. Am kommenden Montag beginnt der neue Bauabschnitt. Es ist der dritte und gleichzeitig die dritte Förderperiode der Deutschen Stiftung Denkmalschutz (DSD).
Wie die Hamburger Denkmalschutzstiftung und das Denkmalschutzamt hält die DSD das mehr als 200 Jahre alte und sehr große Fachwerkhaus (33 Meter lang, 14 Meter breit) für ein Juwel, spricht von einem „Wahrzeichen“ im Alten Land. Auch die Denkmalstiftung Hamburg hat in den Vorjahren den Erhalt des Hauses schon gefördert, mit insgesamt gut 70.000 Euro.
Der Schmuckgiebel von Neuenfelde ist im Original erhalten
Die Bauweise als Zweiständerhaus ist für Altländer Fachwerkhäuser typisch: Die Dachkonstruktion wird im Haus mit zwei Ständerreihen abgestützt, in anderen Fachwerkhäusern üblicherweise mit einer Reihe. „Besonders ist auch, dass die Ständerreihen bis zum Wohngiebel durchlaufen“, sagt Restaurator Bodo Vogel. „Meist sind die Stützen im Wohnbereich anders konstruiert.“
Neben seiner imposanten Größe sticht das Bauernhaus vor allem mit seiner Frontfassade hervor: „Vermutlich haben wir hier den besterhaltenen Schmuckgiebel im Alten Land“, sagt Vogel und wird sofort von Mählmann ergänzt: „In Steinkirchen gibt es auch noch einen.“ Vogel fährt fort: Die alte Schwelle (der unterste waagerechte Balken) sei noch erhalten gewesen, dort sei nie saniert worden. Dadurch seien auch alle Ziermauerungen in den Gefachen noch original.
Anders als die Bauern auf der Geest hatten die Landwirte, die Höfe auf dem fruchtbaren Marschboden bewirtschafteten, vor 250 Jahren ein sehr gutes Auskommen gehabt. Ihre Erzeugnisse brachten sie per Schiff nach Hamburg – auch Neuenfelde hatte einen kleinen Hafen.
Schmuckfassaden zeigten den Reichtum der Bauern in der Marsch
Der Reichtum war an den Bauernhäusern abzulesen. Gern wurden die Giebelwände konstruiert, wie es in der Stadt oft gemacht wurde: mit stufenweise nach oben auskragender Fassade.
„In Hamburg war das kein Problem, die Giebelwand wurde durch die dahinter liegenden Stockwerke gehalten. Doch ein Bauernhaus hat keine Stockwerke als Rückverankerung“, sagt Vogel. Folge: 2019 drohte der mit barocken Farbfassungen und Bleiglasfenstern verzierte Prunkgiebel nach außen zu kippen. Innen und außen wurde die Hauswand notdürftig abgestützt. „Das sah gigantisch aus“, erinnert sich die Obstbäuerin.
Großer Teil des Ertrags aus dem Obstbau fließt ins Denkmal
Das Fachwerkhaus musste von Grund auf saniert werden. Im ersten Bauabschnitt wurde die waagerechte Schwelle erneuert. Die auf sie aufsetzenden Ständer waren größtenteils im unteren Bereich ebenfalls so stark beschädigt, dass altes, morsches Holz durch neues ersetzt werden musste. „Wir mussten bis in verschiedene Höhen die Balken erneuern, bis zu einer Höhe von drei Metern“, sagt der Restaurator. Dazu wurden die Ziergefache als Ganzes herausgenommen und auf Paletten auf der angrenzenden Wiese gelagert.
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Viel Aufwand, um die historische Bausubstanz zu erhalten. Die Mählmanns müssen ein Gutteil des Ertrags aus dem Obstbau in ihr Denkmal fließen lassen. „Es wäre schön, wenn mal Ruhe ist. Aber man muss immer investieren, immer am Ball bleiben. Sonst wird es später umso teurer.“
Vierter Bauabschnitt macht Fassade zum Schmuckstück
Der zweite Bauabschnitt im Jahr 2023 war die Fortsetzung des ersten – er war 2022 nicht fertig geworden, weil die Schäden größer waren als gedacht. „Das ist jedes Jahr so“, kommentiert Mählmann die Verzögerung. Nun folgt also Bauabschnitt Nummer drei, die Restaurierung des Prunkgiebels. Und mit ihr die nächste Überraschung: Vor zwei Wochen stellte sich heraus, dass die Balken vor längerer Zeit vom Hausbock befallen waren und viele Schadstellen haben.
„Zum Teil können sie das Holz mit der Hand herausnehmen“, so Vogel, „und das bis zu einer Tiefe von sechs Zentimetern.“ Die Balken sind zwölf Zentimeter dick. Eigentlich müssten sie ersetzt werden, doch im Giebel wären die Verzierungen nicht zu retten. Deshalb werden nun nur die morschen Stellen herausgefräst und mit Bohlen ausgebessert.
Altes Land: Sohn soll mit dem Hof „auch mal ein bisschen Geld verdienen“
Bauabschnitt Nummer vier ist schon absehbar: Umfassende Malerarbeiten werden die Giebelwand wieder zu einem Schmuckstück machen. Dazu wurden vor zwei Wochen Farbanalysen gemacht. An vielen Stellen ist die Farbe allerdings nicht mehr vorhanden, sodass eine komplett farbgetreue Restaurierung nicht möglich ist. Hier, wie auch generell, sei das Hamburger Denkmalamt sehr kooperativ gewesen und habe ihnen Freiräume gelassen, sagt Birgit Mählmann.
„In drei, vier Jahren ist alles fertig“, sagt die Landwirtin. „Aber dann muss die Apfelscheune saniert werden.“ Außerdem muss noch ein Teil des Reetdaches gemacht werden – zwei Drittel des Reets wurde bereits 1989, dem Todesjahr ihres Vaters, erneuert. Es bleibt also noch genug zu tun.
Birgit und Ralf Mählmann haben drei Kinder. Die beiden Töchter arbeiten in kaufmännischen Berufen, Sohn Jan (25) steht als Hofnachfolger fest. „Ich erzähle seit 20 Jahren, dass mein Sohn sich nicht mehr groß um das Haus kümmern muss, wenn ich ihm den Hof übergeben habe“, sagt die 56-Jährige. „Er soll mit ihm mal ein bisschen Geld verdienen.“