Bützfleth. Historische Schmuckstücke sind beliebtes Fotomotiv. Doch um die Dächer zu pflegen, braucht es echte Profis. Wir haben sie begleitet.
- Wer am Wochenende einen Ausflug ins Alte Land unternommen hat, hat sie mit Sicherheit fotografiert:
- Historische Reetdachhäuser, die idyllisch am Deich liegen und eigentlich immer etwas hermachen
- Was die meisten nicht wissen: Reetdächer zu bauen und zu flicken ist echte Knochenarbeit – wir haben sie uns angesehen
Reinhold Junker aus Dollern liebt das, was er täglich macht: Reetdächer. Wenn er von ihnen spricht, von der idealen Dachneigung und den verschiedenen Schilfrohrarten, wird schnell klar: Schöne und handwerklich gekonnte Reetdächer sind seine Leidenschaft.
Reetdächer flicken im Alten Land: „Nur wenige wollen den Knochenjob machen“
Vielleicht ist das ein Grund dafür, warum es ihm in der Seele weh tut, dass die Nachwuchssorgen in seinem Beruf inzwischen zum existenzbedrohenden Problem geworden sind. Junker würde liebend gerne jungen Menschen in seinem Betrieb dieses Handwerk beibringen: Reetdachdecker ist eine anerkannte Sparte des Ausbildungsberufes Dachdecker. Allerdings ist sich Reinhold Junker sicher, dass „heute nur wenige junge Leute Lust dazu haben, einen Knochenjob zu machen“.
Reetdächer haben nicht nur im Alten Land eine große Tradition. Die ersten nachgewiesenen Reetdächer gab es bereits 4000 vor Christus, erzählt Junker und bezeichnet die Reetdachdeckerei als „das älteste Handwerk überhaupt“. Und trotzdem ist es nicht die Vergangenheit, die für ihn zählt. Sondern die Zukunft: Reet ist ein nachhaltiger, nachwachsender Rohstoff. Reet wächst an Seen oder an Flüssen, wie beispielsweise an der Schwinge, muss also nicht aufwendig hertransportiert werden.
Nachhaltig und regional: Reet wächst in der Region, die Lieferwege sind kurz
Es muss jedes Jahr geschnitten werden. Produktionsengpässe sind also so gut wie ausgeschlossen. Und auf dem Dach eines Hauses wirkt Reet wie eine natürliche Klimaanlage. Die Halme des Schilfrohrs sind hohl. Sie sind wie Luftkammern, die für eine gute Klimatisierung sorgen. Junker: „Im Winter ist es unter einem Reetdach warm, im Sommer kühlt das Reet.“
Ein gut gedecktes Reetdach kann bis zu 70 Jahren halten
Klimafreundlicher geht es also kaum. Ein gut gedecktes Reetdach kann eine Haltbarbeit von bis 70 Jahren haben. In Stade gebe es Reetdächer, die schon 100 Jahre alt seien, weiß Reinhold Junker. Wie alt so ein Dach werden kann, hängt von vielen Faktoren ab. Vergammelte Stellen müssen repariert werden, damit die Feuchtigkeit nicht das ganze Dach angreift. Ein echter Killer für Reetdächer aber sind die immer häufiger vorkommenden Starkregen-Ereignisse. Nässe macht dem Rohr zu schaffen.
Junkers Auftragsbücher sind voll. Nur mit Mühe und mit der Unterstützung seines Sohnes Jasper schafft es der 61-Jährige, die Aufträge abzuarbeiten. Zukunftssorgen plagen ihn nur, weil er keine Mitarbeiter findet, die es ernst mit der Dachdeckerei meinen und bereit sind, ihren Job sorgfältig zu erledigen.
Die Dachdeckerei mit dem Naturprodukt ist nicht nur ein Knochenjob, sondern auch ein Job, bei dem man nachdenken muss, Augenmaß braucht. Liebe zum Handwerk und ein ordentliches Maß an Kreativität zeichnen einen guten Reetdachdecker aus.
Auf der aktuellen Baustelle kommt das Reet von den Schwingewiesen
Derzeit repariert Junker mit seinem Sohn Jasper (25) das Dach eines 250 Jahre alten Hauses in Bützfleth. Das Reet, das Junker hier benutzt, um das alte Dach zu reparieren und teilweise auch zu ersetzen, kommt aus den Schwingewiesen.
„Eine Reihe Backsteine haben wir vorher auf das Mauerwerk drauf gesetzt, damit das Reet straff liegt. Früher wurde größtenteils das sogenannte Ungarn-Reet verarbeitet. Bis sich herausstellte, dass dieses Reet zu sehr mit Phosphaten aus der Landwirtschaft belastet war. Jetzt verarbeiten wir eher Ware aus der Türkei, China oder manchmal aus Rumänien.“
Für diese Baustelle in Bützfleth aber hat Manfred Wilhelmi, ihm gehört das Haus, das Reet von der Schwinge besorgt.
Reinhold Junker ist selbst in einem Reetdachhaus aufgewachsen
Früher, erzählt Junker, seien viele Flächen hier in der Region, auf denen regelmäßig das Reet geschnitten worden sei, unter Naturschutz gestellt worden. Das Schilfrohr – der lateinische Name der Pflanze lautet Phragmites Communis Trin – wurde nicht mehr geschnitten, brach ab und landete in den kleinen Nebenflüssen. Junker: „Die mussten dann für viel Geld von dem vergammelten Schilfrohr befreit werden. Also geht man jetzt doch wieder dazu über, das Reet zu schneiden und für die Dächer in der Region zu verarbeiten.“
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Selbst aufgewachsen in einem Reetdachhaus, machte Reinhold Junker als Jugendlicher ein Praktikum bei dem Dachdecker, der regelmäßig das Dach seines Elternhauses reparierte. Die Sache gefiel ihm, und Junker blieb dabei. Das war Ende der 70er-Jahre.
Sieben bis acht Quadratmeter Dachfläche in der Stunde – für 70 Euro Lohn
Damals sei Reetdachdecker lediglich ein Anlernberuf gewesen. Früher war es Aufgabe der Knechte, die Dächer der Bauern mit dem nachwachsenden Rohstoff einzudecken. Reinhold Junker war Ende der 70er-Jahre nach 25 Jahren wieder der erste Lehrling in dem Handwerk. Erst später wurde diese alte Kunst zum richtigen Ausbildungsberuf und in die Handwerksordnung aufgenommen. Heute dauert die Ausbildung drei Jahre.
Ein Reetdach, sagt Junker, sei „reine Handarbeit“ und eben nicht billig zu haben. Früher, so der Handwerker, hätten die Leute für ein gut gedecktes Reetdach gerne das Geld bezahlt. „Aber in unsere heutige, schnelllebige Zeit, passt so ein Dach weniger.“
Gesunken seien die Preise natürlich auch nicht in den vergangenen Jahren. Inzwischen koste eine Handwerkerstunde rund 70 Euro. Ein guter Geselle, so Reinhold Junker, schaffe seine sieben bis acht Quadratmeter Dachfläche mit allem drum und dran in der Stunde. Er selbst komme auf zehn Quadratmeter Reetdach pro Stunde. Aber: Um das zu schaffen, braucht es eben eine gehörige Portion Spaß am Job.