Tangendorf. Jennifer und Sven Johansson testen Produkte für ein Reality-Format – direkt auf ihrem Hof bei Hamburg. Das ist erstaunlich unterhaltsam.
Ein Mini-Wasserkocher fürs Auto, der seinen Inhalt während der Fahrt erhitzt – ernsthaft? Ja, ernsthaft. Jenny Johansson steht neben dem Trecker ihres Mannes, der nicht wirklich überzeugt aussieht, und lacht.
Den Mini-Kocher verbindet der Bauer aus Tangendorf per Ladekabel mit dem Zigarettenanzünder über der Windschutzscheibe. 20 Minuten später ist es soweit: Das Wasser kocht und läuft dampfend in den Becher mit Instantkaffee, den Sven Ole seiner Frau hinunterreicht. „Nu rühr mal‘n büschn um“, fordert er Jenny auf, die keinen Löffel dabei hat und stattdessen – auf Anweisung ihres Gatten – den Kaffeebecher „n büschn shakert“. Prompt landet der frisch gebrühte Instantkaffee auf der Einstiegshilfe des Traktors. „Schön up min Trecker“, hört man Sven Ole im Hintergrund meckern.
„Hot oder Schrott“: Jenny und Sven Ole Johansson punkten mit erfrischendem Humor
Es sind Szenen einer Ehe, die da am gestrigen Abend zur Primetime beim TV-Sender Vox zu sehen waren – und sie sind unglaublich komisch. Denn eigentlich bewirtschaften Jenny und Sven Ole Johansson gemeinsam einen Bauernhof in Tangendorf im Landkreis Harburg. Doch aktuell sind sie auch als Produkttester im Vox-Format „Hot oder Schrott“ zu erleben.
Authentisch und erfrischend kommt das Paar dabei herüber und wirkt im Vergleich zu den anderen Testpaaren wie ein kleines Highlight. Was mit einer Diskussion über Klugscheißerei beginnt endet in einem vielsagenden Missverständnis. Hier können Sie die Folge in voller Länge noch einmal anschauen.
Was im Fernsehen locker und lustig wirkt, ist natürlich nicht der Alltag des jungen Paars. Wer Sven Ole Johansson und seine Frau Jennifer auf ihrem Bauernhof im Landkreis Harburg trifft, merkt schnell, dass das Leben der beiden alles andere als einfach ist.
Kampf um Existenz: Junges Paar nutzt Fernseh-Präsenz, um den eigenen Hof zu retten
Seit Jahren kämpfen die Johanssons um nichts Geringeres als um die Rettung ihres Hofes südlich von Hamburg, im Familienbesitz seit 1871. Im Frühjahr 2020 übernahmen der gelernte Landwirt und die Immobilien-Fachwirtin den verschuldeten Hof in vierter Generation. „Damals gab es nur zwei Optionen. Entweder die Bank bekommt den Hof, oder ich führe ihn weiter“, sagt Sven Ole.
Mit Leidenschaft, Liebe und Kreativität kämpfen er und seine Frau seither um die Existenz. Das macht das Anwesen so vielseitig wie nie zuvor. Auf drei Wiesen hinter dem Hof grast eine Rinderherde. Es gibt Maisäcker, Blühstreifen und ein Stückchen Wald.
Hof Johansson bietet einen Internetshop für regionale Produkte nebst Lieferservice an, Bauernhofpädagogik, Hofführungen, Familientage, die Ausrichtung von Kindergeburtstagen und anderen Feiern, Speed-Dating für Singles im Stroh, Bastelaktionen und sogar Stellplätze für autarke Reisemobile.
Keine Ahnung von Landwirtschaft – das geht vielen so
Das Ehepaar ist auch medial aktiv. „Wir wollen in einer modernen Form Öffentlichkeitsarbeit leisten. Ich hatte anfangs gar keine Ahnung von Landwirtschaft, und so wird es so vielen Menschen gehen, daher war es mir wichtig, diese abzuholen und alles sachlich und einfach zu erklären“, erzählt Jennifer.
Auf Youtube findet man etliche Videoclips von Jenny und Sven Ole in der Serie „NDR auf dem Land“. Auf ihrem Hof wurde außerdem eine „Nordstory“ gedreht. Bei „DAS!“ berichteten die beiden vom Erfolg des „Speed-Dating“ im Stroh. Sie waren Akteure bei „Taff“ (Pro7) und bei „Von der Stadt aufs Land“ (VOX). Aktuell sind sie nun als „Allestester“ bei „Hot oder Schrott“ zu sehen.
18-Stunden-Tage für Bauer Sven Ole keine Seltenheit
Den ersten Interviewtermin mit dem Abendblatt muss Sven Ole kurzfristig absagen. Kurz vor Mitternacht mailt er: „Ich komme eben erst rein von den Feldarbeiten und muss bereits früh aufstehen und weitermachen.“ 18-Stunden-Arbeitstage sind für den 30-Jährigen keine Seltenheit.
„Um rentabel zu wirtschaften, hätte ein Liter Heumilch 3,50 Euro kosten müssen. Das zahlt niemand.“
Er arbeitet selbstständig als Lkw-Fahrer und erledigt die übrige Hofarbeit nach der Rückkehr. Außerdem übernimmt er Lohnarbeiten für andere Landwirte, beispielsweise Güllefahrten. Mit Sven Oles Verdienst, dem Verkauf von Heu und Stroh, den Einnahmen aus verpachteten Flächen sowie aus verschiedenen Hof-Events kommt die vierköpfige Familie knapp über die Runden. Dabei müsste Johansson dringend Kapital für Investitionen ansparen.
Heumilch-Produktion wurde zum Minus-Geschäft
Die prekäre Finanzlage ist Folge ungünstiger Umstände. Zeitgleich mit der Hofübernahme kam Corona. Die Pandemie erschwerte die Direktvermarktung der wertvollen Heumilch, auf die Sven Ole und Jenny den Betrieb spezialisiert hatten. Als Russland die Ukraine überfiel und in der Folge Energie- und Rohstoffpreise dramatisch stiegen, wurde die Produktion zum Minus-Geschäft. „Allein die Glasflaschen kosteten mich nach Kriegsbeginn 1,10 Euro pro Stück. Um rentabel zu wirtschaften, hätte ein Liter Heumilch 3,50 Euro kosten müssen. Das zahlt niemand“, sagt der Landwirt.
Am 23. Dezember 2022 zogen die Johanssons in Absprache mit ihrem landwirtschaftlichen Berater die Reißleine. Seitdem wird der Hof auf Mutterkuhhaltung und Rindermast umgestellt. Doch das dauert. Derzeit grasen auf dem Grünland der Rest des ehemaligen Tier-Bestands und einige Kälber. Insgesamt 37 Rinder verschiedener Rassen, die sich sowohl für Milch- als auch Fleischproduktion eignen. Sven Ole möchte in den Erwerb von Mastrindern investieren. Deshalb arbeitet er fast rund um die Uhr.
Mutter von zwei Kindern hat zahlreiche Jobs auf dem Hof übernommen
Obwohl als Stadtkind in Hamburg aufgewachsen und Mutter zweier Kinder im Alter von 7 und 5 Jahren, hat Jenny inzwischen viele Aufgaben auf dem Hof übernommen. Beispielsweise ist sie für den von ihr gegründeten Online Shop zuständig.
In sogenannten Regio-Mix-Kisten können Produkte und Waren von mehreren Landwirten und Erzeugern aus der Region kombiniert werden, sogar ohne Mindestbestellwert. Die Kisten können am Hof abgeholt oder im Umkreis von 50 Kilometern geliefert werden.
Sie versorgt Tiere, knipst Ohrmarken und unterhält Hofbesucher bei Führungen
Für die Versorgung der Tiere – Ziegen, Ponys, Hunde, Katzen und Hühner – ist überwiegend Jenny zuständig. Und auch bei den Rindern ist sie inzwischen im Einsatz. „Ich habe gerade gelernt, Ohrmarken einzuknipsen. Beim ersten Mal habe ich gezittert“, erzählt sie.
Zwischenmenschliche Kontakte liegen der ausgebildeten Schauspielerin näher. Für „Hofführungen mit Brigitte“ schlüpft die junge Frau in die Rolle einer etwas bissigen Alten, die ihre Gäste mit frechen Sprüchen aufs Korn nimmt und humorvoll unterhält.
Von Speed Dating im Stroh bis Weihnachtsstimmung im Kuhstall
Für junges Publikum hat sie sich zur zertifizierten Bauernhofpädagogin ausbilden lassen. Wie wird aus Gras ein Kuhfladen? Das und viel mehr erklärt sie Kindern ab 5 Jahren. Natürlich darf auch in Fladen gestochert werden, denn darin leben erstaunlich viele Tiere.
Mit Pfadfindern ist sie im hofeigenen Wäldchen auf der Suche nach Tierspuren und untersucht mit der Lupe alles, was kreucht und fleucht. Bei den Johanssons wird außerdem gebastelt und Stockbrot aus von Jenny selbst geknetetem Teig gebacken.
Für Frauen veranstaltet sie die „Ladies Night“, für Singles Speed-Dating im Stroh – hier ist der nächste Termin für Ü-60-Jährige der 29. September. Am 31. Oktober dürfen sich Kinder bei Johanssons auf Halloween einstimmen. Am 14. Dezember herrscht schließlich Weihnachtsstimmung im Kuhstall.
Hof Johansson in Tangendorf: Sven Ole wollte nie etwas anderes werden als Landwirt
Jenny und Sven Ole lieben einander, ihre Arbeit und ihr Zuhause. Einerseits. Andererseits macht beiden die Tretmühle zunehmend zu schaffen. Die nie endende Kette der Aufgaben, die Unabsehbarkeit der finanziellen Durststrecke, die knapp bemessene Familienzeit.
Mehr zum Thema Landwirtschaft in der Region
- Äpfel pflücken im Alten Land: So geht‘s auch ohne Auto
- Retter der seltenen Rassen: Wie ein Hof bei Hamburg per Zufall zur Arche wurde
- Ferienspaß bei Hamburg: Mit Alpakas und Lamas auf Tour gehen – bei jedem Wetter
„Man kann nie abschalten, kommt nie raus. Man wohnt und arbeitet auf dem Hof“, sagt Jenny. Sven Ole, Spross einer Bauerndynastie, der niemals etwas anderes werden wollte als Landwirt, zweifelt zuweilen an der Richtigkeit seiner Entscheidung. Doch davon ist bei „Hot oder Schrott“ nichts zu merken. Humor ist schließlich, wenn man trotzdem lacht.
Hof Johansson, Tangendorf, Wiehweg 21. www.hof-johansson.de