Hamburg. Längst müsste Ömer O. im Gefängnis sitzen, weil er eine 20-Jährige zu Tode raste. Doch die Justiz schlampte – die Eltern sind fassungslos.

  • Am 26. Dezember 2019 ereignete sich ein schrecklicher Unfall im Hamburger Süden: Ein notorischer Raser krachte ungebremst mit seinem getunten Mercedes in eine Leitplanke
  • Eine 20-jährige Mitfahrerin verlor dabei ihr Leben, ihre Zwillingsschwester überlebte schwer verletzt
  • Der Fahrer wurde zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt – doch noch immer befindet er sich auf freiem Fuß

Diese Justizpanne fügt der Familie der jungen Frau, die vor viereinhalb Jahren nach einem Unfall in Francop ihr Leben lassen musste, weitere tiefe Schmerzen zu: Am 2. Weihnachtstag 2019 hatte Ömer O. (30) die Kontrolle über seinen hochmotorisierten Mercedes AMG verloren und war mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit auf der Ortsumgehung Finkenwerder ungebremst in einen Aufprallschutz an der Straße gekracht. Julia „Jule“ K. (20) verlor dabei ihr Leben, ihre Zwillingsschwester Antonia und der Unfallfahrer wurden schwer verletzt.

Versteckt hinter einem dicken Aktenordner verfolgt Ömer O. aus Finkenwerder den Prozess am Harburger Amtsgericht.
Versteckt hinter einem dicken Aktenordner verfolgt Ömer O. aus Finkenwerder den Prozess am Harburger Amtsgericht. © Lenthe-Medien | Lenthe-Medien

Unglaubliche Justizpanne: Notorischer Raser Ömer O. noch immer auf freiem Fuß

Der Prozess vor dem Amtsgericht Harburg Mitte vergangenen Jahres zeigte: Ömer O. ist ein notorischer und unbelehrbarer Raser. Auch nach dem schweren Unfall auf der Straße An der Alten Süderelbe wurde er mehrfach geblitzt, in der Spitze mit 121 Kilometern pro Stunde bei erlaubten 80 km/h.

Die Reifen des PS-Boliden verfügten über kein Profil, dies habe den Unfall auf regennasser Fahrbahn in der Nacht begünstigt, was auf eine permanent schnelle und unverantwortliche Fahrweise hindeutete, sagte ein Gutachter damals. Bremsspuren gab es an der Unfallstelle nicht.

Nach dem tödlichen Unfall in Hamburg: Keine Reue – eindeutiges Urteil am Amtsgericht

Der AMG von Ömer O. wurde bei dem Unfall am 2. Weihnachtstag 2019 vollkommen zerstört.
Der AMG von Ömer O. wurde bei dem Unfall am 2. Weihnachtstag 2019 vollkommen zerstört. © HA | LENTHE-MEDIEN

Echte Reue zeigte Ömer O. nie – auch im Prozess nicht. Noch aus dem Krankenbett hatte er der trauernden Mutter der Zwillinge eine Nachricht geschrieben, in dem er den Unfall mit Todesfolge als „Dumm gelaufen“ kommentierte. Auf der Anklagebank beteuert der Unfallfahrer, auch er sei ein Opfer, schließlich werde er in seinem Wohnort Finkenwerder gemieden und angefeindet. Letztlich bot er der überlebenden Zwillingsschwester Antonia K. noch im Gerichtssaal 5000 Euro als Wiedergutmachung an.

„Dumm gelaufen“, war die einzige Entschuldigung des AMG-Rasers

Das beeindruckte den Richter am Amtsgericht Harburg kaum. Er verurteilte den Angeklagten, damals 29jährigen Ömer O. zu 18 Monaten Gefängnis, zwei Monate wurden wegen der langen Verfahrensdauer von dreieinhalb Jahren bereits als gebüßt vermerkt, allerdings ohne Bewährung.

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Der Richter begründete das Urteil damit, dass der Fahrer – kurz nachdem er wieder hinter dem Steuer saß – erneut gerast sei. Außerdem wurde dem Raser mit sofortiger Wirkung der Führerschein für eine Dauer von 24 Monaten entzogen. Damit blieb der Richter allerdings unter der Forderung der Staatsanwaltschaft. Eine Überprüfung des Urteils vom 11. Juli 2023 verwarf das Landgericht im November des vergangenen Jahres endgültig.

Der Raser sollte noch seine Ausbildung als Mechatroniker beenden dürfen, danach hätte er seine Haftstrafe aber direkt im Anschluss, also Anfang dieses Jahres antreten sollen.

Gericht vergaß, Akten an die Staatsanwaltschaft weiterzuleiten

Bereits im April fragte das Abendblatt bei der Staatsanwaltschaft Hamburg nach, wann der AMG-Raser seine Haftstrafe antreten muss. Es gab mehrere Hinweise, das Ömer O. sich weiter in Finkenwerder aufhielt.

Damals antwortete die Staatsanwaltschaft auf Nachfrage: „Am 11.07.2023 wurde der Angeklagte durch das Amtsgericht Hamburg-Harburg wegen fahrlässiger Tötung zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 8 Monaten verurteilt. Die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts wurde vom Landgericht am 2.11.2023 verworfen. Revision wurde nicht eingelegt. Das Urteil ist seit dem 9.11.2023 rechtskräftig.“

Ein Bild aus dem Jahr 2019: Blumen liegen an der Unfallstelle, ein Foto zeigt die verstorbene Jule.
Ein Bild aus dem Jahr 2019: Blumen liegen an der Unfallstelle, ein Foto zeigt die verstorbene Jule.

Weiter hieß es: „Die Vollstreckung konnte bislang jedoch nicht eingeleitet werden, weil sich die Akte für weitere Entscheidungen noch beim Landgericht befindet. Es ist aber davon auszugehen, dass die Vollstreckung zeitnah eingeleitet wird“, so Liddy Oechtering, Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft Hamburg.

Als das Abendblatt am Montag noch einmal nachhakte, teilte die Staatsanwaltschaft mit, dass sich die Akte unverändert beim Amtsgericht – und nicht beim Landgericht – befände und die Vollstreckung immer noch nicht eingeleitet werden konnte.

Opferfamilie fühlt sich „verarscht, machtlos und unendlich traurig“

Die Opferfamilie zeigte sich enttäuscht. „Man fühlt sich verarscht, machtlos und unendlich traurig, dass die Gerechtigkeit in solch einem Fall so schleifen gelassen wird.. Unsere Tochter (Antonia, Anmerkung der Redaktion) ist entsetzt darüber, dass man immer wieder erfahren muss, dass er Finkenwerder rumläuft, als wenn nichts passiert ist“, teilten die Eltern K. in scharfen Worten mit.

Trotz der langen Dauer von mittlerweile mehr als vier Jahren sei der Schmerz über den Verlust ihrer Tochter Julia und über ihre traumatisierte Tochter jeden Tag spürbar, man fühle sich hilflos und vom Rechtsstaat allein gelassen.

Gerichtssprecher bittet die Familie des Opfers um Entschuldigung

Am Dienstagabend teilt das Gericht mit: „Heute hat sich anlässlich einer Überprüfung des Vorgangs herausgestellt, dass die Verzögerung auf ein wirklich sehr ärgerliches Versehen im Bereich des Amtsgerichts Hamburg-Harburg zurückgeht“, so die ungewöhnlich offenen Worte des Gerichtssprechers Dr. Kai Wantzen.

Das Grab der jungen Frau, die Ömer O. zu Tode raste.
Das Grab der jungen Frau, die Ömer O. zu Tode raste.

Im Zusammenhang mit dem Verfahren haben die Gerichte in den letzten Monaten eine Reihe von Folgeentscheidungen treffen müssen, unter anderem Blick auf die Abrechnung der in dem Verfahren zugleich geltend gemachten zivilrechtlichen Anträge. Die Akte sei zwischen den unterschiedlichen Bearbeitern beim Amtsgericht und auch beim Landgericht in Bewegung gewesen.

„Man muss ganz ehrlich sagen, so etwas darf nicht passieren“

Leider sei dabei zunächst übersehen worden und auch in der Folgezeit nicht mehr aufgefallen, dass die Einleitung der Vollstreckung durch die Staatsanwaltschaft noch aussteht und daher die Akte dort benötigt wird.

„Das darf bei einer unbedingten Freiheitsstrafe natürlich nicht passieren, und wir bitten die Verfahrensbeteiligten ausdrücklich um Entschuldigung“, so Gerichtssprecher Wantzen: „Die Akte ist jetzt auf dem Weg, damit die Staatsanwaltschaft alles Weitere veranlassen kann“.

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„Man muss ganz ehrlich sagen, so etwas darf nicht passieren. Wir wollen nur Gerechtigkeit und endlich zur Ruhe kommen. Abschließen werden wir vermutlich niemals können“, so die Eltern Michael und Rebecca K.

Dennoch sei die Familie froh, dass nun endlich Bewegung in die Haftsache kommt.