Harburg. „Wie Raketenabschuss“: 29-Jähriger verlor bei Tempo 250 Kontrolle über seinen Mercedes, ein Mann starb. Prozessauftakt in Harburg.
- Vor dem Harburger Amtsgericht hat am 24. November der Prozess gegen einen 29-Jährigen begonnen.
- Dem Mann wird fahrlässige Tötung vorgeworfen.
- Mit seinem Mercedes AMG hatte er vor 21 Monaten einen tödlichen Verkehrsunfall verursacht.
Es war ein Verkehrsunfall auf der A7 mit dramatischen Folgen: Ein 54 Jahre alter Mann verlor noch an Ort und Stelle sein Leben. Seit heute muss sich der Unfallverursacher vor dem Amtsgericht Harburg wegen fahrlässiger Tötung verantworten.
Dem 29 Jahre alten Seevetaler wird vorgeworfen, am Abend des 2. März 2022 auf Höhe der Autobahnabfahrt Marmstorf in Richtung Hannover einen tödlichen Unfall verursacht zu haben.
Tödlicher Unfall auf der A7 – Sachverständiger schließt technischen Defekt nicht aus
Kevin H. soll mit seinem hochmotorisierten Mercedes-AMG bei einer Geschwindigkeit von 253 km/h unvermittelt auf den Ausfädelungsstreifen gewechselt sein, wo er offenbar ungebremst auf den Opel Astra des Unfallopfers D. auffuhr. Der Fahrer hatte mit seinem Opel bereits heruntergebremst und habe den Ausfädelungssteifen nur noch mit etwa 52 Kilometern pro Stunde befahren, so ein Sachverständiger zum Auftakt im Gerichtssaal. Durch die direkte Heckkollision habe der Familienwagen jedoch wieder auf fast 120 Kilometer pro Stunde beschleunigt.
Der Astra-Kombi durchbrach daraufhin die Leitplanke, dessen Stahlstreben als Schanzen wirkten und den Wagen abheben ließen. Auf einer Höhe von fast zwei Metern knallte er gegen mehrere Bäume, der Wagen zerriss in mehrere Teile. Der Fahrer verstarb noch an der Unfallstelle.
Der Angeklagte leidet sichtlich mit, sucht Augenkontakt zum Vater
Noch einmal schilderte der Sachverständige Timo Wülbern den Ablauf des Unfalls anhand einer umfangreichen Dokumentation von Fotos, Spuren und Fahrzeugdaten. Allerdings sei der Wagen zuvor über die Fahrbahn geschlittert – gut möglich, dass der Angeklagte gegenlenken wollte und es einen technischen Defekt gab, den der Sachverständige nicht ausschließen konnte.
Bei der Rekonstruktion des Unfalls litt der Angeklagte auf der Anklagebank sichtlich mit und schaute immer wieder in Richtung seines Vaters, der mit einigen Freunden im Zuschauerraum saß.
Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft die Anklageschrift verlesen und der Angeklagte über seinen Anwalt eine Erklärung abgegeben. Der Angeklagte bedaure den Tod des Unfallopfers. Bereits direkt nach dem tragischen Unfall habe er Kontakt mit der Opferfamilie aufnehmen wollen, die habe aber keinen Kontakt gewünscht.
Dies habe der angeklagte Hafenarbeiter akzeptiert. Er selbst sei bis heute arbeitsunfähig und habe sich mehrerer psychologischen Behandlungen unterzogen. Die Aufarbeitung falle ihm schwer, er leide immer noch unter Schlafstörungen und Albträumen, so der Anwalt.
„Es war wie bei einem Raketenabschuss“, sagt ein Zeuge
Am ersten Prozesstag ging es in Harburg zunächst um die Vernehmung der Unfallzeugen. Doch so richtig erinnern konnte sich von den Autofahrern niemand mehr. „Es war wie bei einem Raketenabschuss“, sagte der erste Augenzeuge des Unfalls im Gerichtssaal aus. „Ein lauter Knall, dann Funkenflug und Feuer“, sagt Mehmet Y., an Details kann er sich nicht mehr erinnern. „Das ging alles so schnell“, sagte er.
Er sei als Beifahrer dabei gewesen für einen Freund das Navigationsgerät zu bedienen. Erst als der Unfall geschehen war, habe er – wie einige andere Autofahrer auch – versucht zu helfen. Zuvor sei ihm aber eine Frau aufgefallen, die mutmaßlich einen Kleinwagen unsicher auf der rechten Fahrspur gelenkt habe. Sie war kurz an der Unfallstelle gewesen, sei dann aber verschwunden. Ob sie etwas mit dem Unfall zu tun hatte, konnte er nicht sagen.
Die unbekannte Zeugin bleibt ein Mysterium
An die Frau konnten sich auch zwei weitere Zeugen erinnern, wo sie geblieben ist, weiß keiner von ihnen. Der Fahrer des Pkw, in dem auch Mehmet Y. saß, habe ebenfalls mit der unbekannten Zeugin gesprochen. Danach will er sich aber mit einem dritten Mitfahrer um die Opfer gekümmert haben, während Mehmet Y. mit den Rettungskräften telefonierte.
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Lediglich Nikita D., der als dritter Zeuge aussagte, konnte sich erinnern, dass er mit Lichthupe von dem rasenden AMG überholt wurde. Der Angeklagte sei mit hoher Geschwindigkeit in die Abfahrt gerast und dann hinten auf das Heck des Opels aufgefahren, so der Zeuge. Auch er sei dann notgedrungen ausgestiegen und habe nach den Opfern geschaut. Er hätte ohnehin nicht weiterfahren können, es lag ja ein riesiges Trümmerfeld in der Ausfahrt, dadurch hätte er nur seinen BMW beschädigt.
Dem AMG-Fahrer helfen? „Nee! Er ist in meinen Augen der Mörder“
Als er merkte, dass er für den Fahrer des Opels nichts mehr tun konnte, ging er zurück zum Auto – vorher räumte er noch einige Trümmerteile zur Seite, wie er angab. Danach verließ er die Unfallstelle, er hatte noch einen wichtigen privaten Termin. Erst als er zu Hause war, besann er sich und meldete sich als Zeuge bei der Polizei.
Auf die Frage, ob er sich auch um den AMG-Fahrer gekümmert hätte, sagte der 23-Jährige: „Nee darauf hatte ich keinen Bock, er ist in meinen Augen der Mörder.“
Prozess gegen mutmaßlichen Raser in Harburg: Urteil voraussichtlich am 1. Dezember
Das rief den Anwalt des Angeklagten auf den Plan, er nahm den Zeugen in die Mangel. Mit Erfolg: Der Zeuge geriet in Widersprüche. Am Ende wusste er nicht einmal mehr, ob der Unfall wie ausgesagt an einem Freitag oder nicht doch einem Mittwochabend passiert sei.
Der Prozess soll am 1. Dezember mit den Plädoyers und der Urteilsverkündung fortgesetzt werden.