Harburg/Finkenwerder. Staatsanwaltschaft und Nebenklage hatten deutlich höhere Strafe gefordert. Wie der Richter sein Urteil gegen den 28-Jährigen begründet.
- Seit dem 13. Juni lief vor dem Harburger Amtsgericht der Prozess gegen einen 28-Jährigen aus Finkenwerder.
- Der Mercedes-AMG-Fahrer muss sich nach einem tödlichen Unfall wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung verantworten.
- Bei dem Unfall auf der Ortsumgehung von Finkenwerder war im Dezember 2019 eine junge Frau (20) gestorben, ihre Zwillingsschwester und der Angeklagte wurden schwer verletzt.
16 Monate muss der Unfallfahrer Ömer O. nach dem tödlichen Verkehrsunfall am 26. Dezember 2019 auf der Ortsumgehung Finkenwerder ins Gefängnis. Das Amtsgericht Harburg verhängte in dem Prozess eine 18-monatige Freiheitsstrafe, zwei Monate wurden wegen der langen Verfahrensdauer von dreieinhalb Jahren bereits als gebüßt vermerkt. Der Richter begründete das Urteil damit, dass der Fahrer – kurz nachdem er wieder hinter dem Steuer saß – erneut gerast sei.
Außerdem wurde dem Raser mit sofortiger Wirkung der Führerschein für eine Dauer von 24 Monaten entzogen. Der Angeklagte war mit mehr als 100 Kilometer pro Stunde ungebremst in die Schutzplanken der kurvigen Straße gerast – erlaubt waren 50 km/h.
Prozess gegen AMG-Raser: Ömer O. bereits erheblich vorbestraft
Damit blieb der Richter unterhalb der Forderung von Staatsanwaltschaft und Nebenklage, die eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Jahren sowie den Führerscheinentzug beantragten.
Da er bereits erheblich vorbestraft gewesen ist und der Unfall in die Bewährungszeit fiel, käme keine erneute Bewährung in Betracht.
So richtig abnehmen will dem Fahrer seine Version des Unfalls niemand
Mercedes-AMG-Fahrer Ömer O. hatte die Kernvorwürfe vor Gericht eingeräumt. Er bestritt aber, deutlich zu schnell gefahren zu sein und die Unfallfahrt unter Alkoholeinfluss angetreten zu haben.
Er würde bis heute unter dem Unfall leiden und den Unfall zutiefst bedauern, betonte der 28-Jährige während des Prozesses immer wieder. Doch so richtig abnehmen wollte dem Fahrer seine Version des Unfalls niemand.
Die Reifen verfügten über kein Profil, sagt ein Gutachter im Amtsgericht Harburg
Bereits am zweiten Verhandlungstag hatte ein Sachverständiger den Angeklagten schwer belastet. Er habe das Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit von 105 km/h in eine Leitplanke gelenkt, und dies, obwohl nur 50 km/h erlaubt gewesen seien. Außerdem war das Fahrzeug nicht mehr verkehrssicher. Die Reifen verfügten über kein Profil, dies habe den Unfall auf regennasser Fahrbahn begünstigt. Bremsspuren gab es an der Unfallstelle nicht.
Solche Reifen, so der Gutachter, habe er in seiner Laufbahn noch nicht gesehen. Sie deuteten auf eine permanent geradezu notorische Raserei hin, so der Sachverständige. Zu diesem Vorwurf konnte der Angeklagte nicht Stellung nehmen. Er hatte den Prozesstag wegen Krankheit verpasst, obwohl eine Amtsärztin seine Prozessfähigkeit bescheinigte. Als er vorgeführt werden sollte, drohte er wegen eines grippalen Infektes mit dem Gang ins Krankenhaus.
Vorsitzender Richter verhandelte ohne den Angeklagten
Der Vorsitzende Richter verhandelte daher ohne den Angeklagten. Hatte der Angeklagte am Unfalltag getrunken? Bereits am ersten Prozesstag sagte ein Polizeibeamter aus, der 28-Jährige habe bei seiner Einlieferung ins Krankenhaus 1,99 Promille gehabt, dieser Wert sei aber nicht gerichtsverwertbar. Am Morgen nach der Notoperation wurde immer noch ein Alkoholwert von 0,09 Promille festgestellt. Zurückgerechnet auf den Unfallzeitpunkt ergäbe dies eine Alkoholkonzentration von 0,9 Promille.
Der Angeklagte gab an, am Abend vor dem Unfall keinen Alkohol konsumiert zu haben, da wegen anderer Verkehrsdelikte in Kürze ein sogenannter Idiotentest anstand. Geladene Zeugen offenbarten vor Gericht bezüglich des Alkoholkonsums erhebliche Erinnerungslücken. Um die Verfassung des Fahrers in der Unfallnacht zu überprüfen, wurden zahlreiche Zeugen in den Prozess geladen. Doch ob der Fahrer getrunken habe, daran konnte sich bislang keiner mehr so richtig erinnern.
Erinnerungslücken bei den Zeugen
Nach zwei erfolglosen Vorladungen saß am Dienstagnachmittag ein junger Mann im Zeugenstand, der den zweiten Weihnachtsfeiertag 2019 mit der später tödlich verletzten Julia K. verbracht hatte. Er konnte sich zwar daran erinnern, dass Julia und ihre Familie am Abend Raclette gegessen hätten, bevor er das spätere Unfallopfer abholte um mit ihr spazieren zu fahren. Aber ob er den Angeklagten an dem verhängnisvollen Abend gesehen habe, daran könne er sich nicht mehr erinnern.
Erst als der Richter ihm mehrere Anrufe beim Notfalltelefon der Polizei vorhielt, räumte er ein, dass er den Angeklagten vielleicht doch gesehen habe. Selbst an eine handschriftliche Aussage konnte sich der Mann nicht mehr erinnern. Mehrfach hatte der damals beste Freund von Julia K. die Polizei nach dem Unfall kontaktiert und darauf hingewiesen, dass der Angeklagte „mega betrunken gewesen und „mit einem Plastikbecher mit alkoholischem Mischgetränk“ aus dem Auto gestiegen sei.
Er müsse wegen des Unfalls mit Anfeindungen leben, beklagt Ömer O.
„Wenn ich das damals so gesagt habe, dann wird es so gewesen sein“, sagte der Zeuge kleinlaut, aber er könne sich nicht mehr erinnern, vielleicht habe er es verdrängt. Er denke noch oft an Julia, und das Verdrängen helfe ihm, den Verlust zu verkraften.
Am vierten Prozesstag ging es auch um die Frage, wie der Angeklagte menschlich tickt. Bereits die ersten Prozesstage offenbarten eine gewisse Armut an Empathie. Zwar betonte der Angeklagte immer wieder, an den Unfallfolgen zu leiden, doch näher erläutern konnte oder wollte er das bislang nicht. Er müsse wegen des Unfalls mit Anfeindungen in Finkenwerder leben, so beklagt Ömer O.
Unfall sinngemäß mit den Worten „Dumm gelaufen“ kommentiert
Noch aus dem Krankenhaus hatte er der Mutter der Zwillingsschwestern eine Nachricht geschickt, in der er den tödlichen Unfall sinngemäß mit den Worten „Dumm gelaufen“ kommentierte. Am Tag nach dem Unfall postete er aus dem Krankenhaus gemeinsam mit einem Freund ein Foto auf Instagram, auf dem er mit noch blutverkrustetem Gesicht einen Daumen hoch reckte. Dieses und noch ein weiteres Bild wurden am Dienstag als Beweisantrag von der Nebenklage zur Augenscheinnahme in den Prozess eingebracht.
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Zum Fahrstil befragt betonte der AMG-Fahrer, er würde „normal fahren“. Die Staatsanwältin wollte es genau wissen und hakte nach. „Ich fahre nicht wie mit einem Kleinwagen an, das sei im AMG schon ein anderes Feeling“, gab er zu – später sagte er, er würde gern „zügig“ fahren.
Innerhalb weniger Wochen sechsmal mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit geblitzt
Was er offenbar unter „zügig“ versteht, zeigte ein Blick ins Fahreignungsregister, aus dem am Dienstag ein Auszug verlesen wurde. Da bei dem Unfall an Weihnachten 2019 sein Fuß zertrümmert wurde, konnte O. danach rund neun Monate nicht Auto fahren. Zurück hinter dem Steuer, war er nach dieser Zwangspause offenbar nicht immer nur vorsichtig.
Innerhalb weniger Wochen wurde er sechsmal mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit geblitzt. Spitzenwert: statt Tempo 80 außerhalb geschlossener Ortschaften war er mit 121 km/h in eine Radarfalle geraten.
O. durfte seinen Führerschein bislang behalten
Dennoch: O. durfte seinen Führerschein bislang behalten. Bereits 2018 war der angehende Kfz-Mechatroniker wegen des gemeinschaftlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden. Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.
Zwei Strafverfahren, unter anderem wegen Körperverletzung und Bedrohung, stehen noch aus. Die Beweisaufnahme ist mittlerweile geschlossen, am kommenden Dienstag ab 9 Uhr geht es mit den Plädoyers und voraussichtlich auch der Urteilsverkündung weiter.