Bark/Kreis Segeberg. Nachtpfleger musste selbst dringend ins Krankenhaus. 80 Rettungskräfte rückten in dem Heim bei Bad Segeberg an, um Senioren zu betreuen.
Es ist ein Fall, der einiges über den Pflegenotstand in Seniorenheimen aussagt: In der Nacht zu Mittwoch mussten 80 Rettungskräfte ausrücken, um 45 Bewohnerinnen und Bewohner im „Wohnpark Segeberger Forst“ in Bark bei Bad Segeberg zu versorgen. Der Grund: Der einzige Pfleger, der in der Nacht Dienst hatte, hatte starke Kreislaufprobleme und benötigte selbst schleunigst einen Notarzt.
Die von ihm alarmierten Einsatzkräfte des Rettungsdienstes brachten den Mann in ein Krankenhaus. Und sie entschieden vor Ort, dass Verstärkung kommen müsse, um nun die Senioren vor Ort zu versorgen. Zahlreiche Helfer des Rettungsdienstes und des Roten Kreuzes eilten zum Heim. „Der Einsatz begann gegen 2 Uhr. Es waren Helfer aus Norderstedt, Kaltenkirchen, Henstedt-Ulzburg, Bad Segeberg und Bad Bramstedt im Einsatz“, sagt Christian Mandel, Sprecher der Rettungsdienst-Kooperation in Schleswig-Holstein (RKiSH).
Auch mehrere Polizeibeamte aus Bad Segeberg und Pinneberg waren vor Ort. Der Einsatz „endete dann gegen 6 Uhr morgens, als die Frühschicht des Heimes zum Dienst erschien“, so Christian Mandel. Wie es von Rettungsdienst und Polizei hieß, war die Heimleitung die ganze Zeit Nacht lang nicht erreichbar gewesen.
Drama im Altenheim: DRK löste Großeinsatz aus
Das Heim wird erst seit dem 1. März von dem Unternehmen Pflegeeinrichtungen Steinbuck mit Sitz in Bargteheide betrieben. Dessen Geschäftsführer Mathias Steinbuck und Stefan Werner äußerten sich am Mittwochmorgen nur schriftlich. Das, was sie schildern, unterscheidet sich allerdings deutlich von den Darstellungen des RKiSH-Sprechers Christian Mandel.
Steinbuch und Werner betonen nämlich, dass der Pfleger, der dann ins Krankenhaus musste, gar nicht allein gewesen sei in der Nacht. Im Heim sei auch eine „Pflegefachkraft“ einer Zeitarbeitsfirma gewesen. Diese habe den Rettungskräften auch angeboten, den Nachtdienst zu Ende zu führen, „da sie die Bewohnerinnen und Bewohner ja kenne“, heißt es. Und weiter: „Dieses Angebot wurde von den Rettungskräften jedoch nicht in Anspruch genommen.“
Rettungskräfte übernahmen die Pflege der Senioren
Christian Mandel entgegnet: „Dort war tatsächlich eine Pflegefachkraft einer Zeitarbeitsfirma, die in einem Zimmer wohnte. Die Person wurde zufällig auf die Sache aufmerksam und bot an, zu unterstützen. Das hat sie dann auch getan. Aber es war nicht möglich, dieser Pflegefachkraft die alleinige Verantwortung zu geben. Sie befand sich ja nach einer langen Schicht in der Ruhezeit und hatte nur zwei Stunden geschlafen. Deshalb wurden die Rettungskräfte verständigt.“
Zur großen Zahl von 80 alarmierten Kräften sagt Mandel: „Wir mussten uns auf eine Lage mit mehr als 40 potenziellen Patienten einstellen und diese zunächst sichten.“ Später, ab 4 Uhr, habe der größere Teil der Einsatzkräfte dann nach Hause fahren können. Mandel sagt auch: „Niemand von den älteren Menschen ist zu Schaden gekommen, es waren nur bei zwei Personen pflegerische Maßnahmen nötig.“
Heimleiterin: „Wir haben nichts falsch gemacht!“
Die Heimleiterin in Bark, Nadine Musall, erklärte am Mittwochmorgen: „Zu keiner Zeit waren unsere Bewohner allein gelassen und der Nachtdienst nicht besetzt. Wir haben nichts falsch gemacht.“ Sie kam gerade von einem Gespräch mit der Heimaufsicht des Kreises Segeberg, die sich noch in der Einrichtung umschaute. „Die habe ich heute Morgen gleich angerufen“, sagte Musall.
Der Mitarbeiter mit den Kreislaufproblemen habe sich völlig falsch verhalten, sagte die Heimleiterin Musall. Die Alarmierung des Rettungsdienstes sei aus ihrer Sicht nicht notwendig gewesen. „Der Mitarbeiter wird sicherlich nicht mehr für unsere Einrichtung arbeiten.“ Er sei in der Probezeit gewesen und sollte ohnehin zum 7. Mai gekündigt werden.
Rettungsdienst: Heimleitung war nicht zu erreichen
Doch wie konnte es sein, dass die Heimleitung die Nacht über nicht erreichbar war? Dazu schreiben die Geschäftsführer von Steinbuck, dass die Pflegefachkraft im Heim die „bestehende interne Meldekette“ im Heim nicht habe auslösen können. Warum genau, versuche man noch herauszufinden. Aber man vermute, dass den neuen Kollegen, die ja erst im März übernommen wurden, „die üblichen Wege bei Notfällen noch nicht in Fleisch und Blut übergegangen“ seien. Indes: „Selbstverständlich haben wir eine 24/7 Erreichbarkeit im Unternehmen“, die anderen Einrichtungen seien „natürlich mit Nachtdiensten besetzt“, die Telefonnummern stünden auf der Homepage.
Christian Mandel hingegen sagt: „Es ist wirklich alles versucht worden, Kontakt zur Heimleitung aufzunehme. Alle Möglichkeiten wurden ausgeschöpft. Es ist sogar ein Streifenwagen der Polizei zur Wohnadresse der Heimleitung gefahren, dort wurde an der Tür geklingelt. Aber ohne Erfolg.“ Michael Bergmann, Sprecher der Polizeidirektion Bad Segeberg, bekräftigt: „Ich kann bestätigen, dass der Streifenwagenbesatzung eine Kontaktaufnahme in der Nacht nicht gelungen ist.“
Kriminalpolizei ermittelte, ob ein Straftatbestand vorliegt
Eine Anzeige gegen den Heimbetreiber wegen etwaiger Missstände oder Regelverstöße sei nicht erstattet worden. Dennoch nahm die Kriminalpolizei zunächst die Ermittlungen auf, „um zu prüfen, ob Straftatbestände vorliegen“, wie Michael Bergmann sagt. Diese Ermittlungen waren dann aber schon am Mittwochnachmittag abgeschlossen. Bergmann: „Die Prüfung durch die Kriminalpolizei hat ergeben, dass keine Straftat vorliegt und somit seitens der Polizei kein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird.“
Dass nur ein einziger Pfleger nachts ein Heim mit 45 Personen betreut, ist in der Branche nicht regelwidrig. Denn erst ab der Zahl von 50 muss eine zweite Pflegeperson anwesend sein. Und so betonen die Geschäftsführer von Steinbuck: „Die Versorgung durch eine einzelne Nachtwache ist bei der aktuellen Bewohnerzahl und den vorliegenden Pflegegraden ist durchaus üblich und mit der Wohnpflegeaufsicht des Kreises Segeberg auch so vereinbart.“
Sprecherin des Kreises Segeberg: Personelle Besetzung „als ausreichend anzusehen“
Sabrina Müller, Sprecherin des Kreises Segeberg, sagte am Mittwoch: „Aufgrund der vorliegenden Informationen zu dem Vorfall vergangene Nacht wurde die Einrichtung heute aufgesucht, insbesondere um die aktuelle personelle Situation und die Abläufe zu klären. Die personelle Ausstattung ist für die derzeitige Anzahl der Bewohner*innen als ausreichend anzusehen. Die Einrichtung wird von hier entsprechend weiter begleitet.“
Müller weiter: „Die personelle Besetzung in Pflegeeinrichtungen in der Nacht ist gesetzlich nicht explizit vorgeschrieben, sondern ergibt sich aus den mit den Kostenträgern/Pflegekassen abgeschlossenen Leistungsvereinbarungen und den darin enthaltenen Pflegeschlüsseln. Grundsätzlich ist daher die Besetzung mit einer Fachkraft in der Nacht bei bis zu 50 Bewohner*innen nicht zu beanstanden.“
Mehr aus der Region
- Joy Henstedt-Ulzburg: Abschied von der Kultdisco mit größter Party des Jahres
- Rewe und Kaufland: Expansion? Henstedt-Ulzburg muss jetzt handeln
- Kaltenkirchen: Rücksichtslose Motocrossbiker zerstören Heide
Bei dem Wohnpark Segeberger Forst handelt es sich um die ehemalige Levantus Seniorenresidenz. Noch im Februar drohte dem Heim die Schließung, nachdem der ehemalige Betreiber ein Insolvenzverfahren eröffnet hatte. Seit dem 1. März wurde das Haus dann von Pflegeeinrichtungen Steinbuck geführt. Das Familienunternehmen ist seit 1964 tätig und betreut 350 Menschen in acht stationären Einrichtungen in der Region.
Drama im Altenheim: Einrichtung war im Februar insolvent
Mathias Steinbuck, einer der beiden Geschäftsführer, ist auch der schleswig-holsteinische Landesvorsitzende des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste (bpa). Steinbuck betreibt auch eine eigene Pflegefachschule in Bargteheide. In der Einrichtung in Bark schob Steinbuck nach der Übernahme im März strukturelle Veränderungen an. Dringend notwendige Instandsetzungsarbeiten laufen oder sind bereits abgeschlossen. Das Haus soll über 87 Pflegeplätze verfügen, ausschließlich in Einzelzimmern. Steinbuck suchte zuletzt für die Einrichtung in Bark engagierte Pflegekräfte, Betreuungskräfte und Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen für die Hauswirtschaft.