Hamburg. Unsere Volontärinnen und Volontäre stellen sich und ihre ersten Erfahrungen in Hamburg vor. Heute: Timo Strohschnieder.

Lässig-verspielter Indie-Rock im Hinterhof vom Molotow, stampfende Technobeats im Keller der Fabrique oder honigsäuselnde Psych-Pop-Melodien im Wilhelmsburger Inselpark: Hamburg kann Livemusik. Und das trifft vor allem nicht (!) nur auf die Arenen füllenden Megastars wie Taylor Swift oder Robbie Williams zu, die in regelmäßigen Abständen ihre Privatjets am Hamburger Airport parken. Sondern auch auf die kleinen Musikerinnen und Musiker, die neben ihren Kunstprojekten noch in Vollzeit arbeiten und in ihren freien Stunden an ihrer Passion feilen.

Die Live-Kultur hat die Hansestadt den dörflichen Gemeinden in Niedersachsen nun mal voraus. Kein Wunder also, dass es mich hierhergezogen hat. Landflucht – ein Phänomen, das ich lange nicht kannte, das sich aber früh bei mir abgezeichnet hat. Schule uncool, Zeltfeten uncool, Spießertum uncool. So weit, so Emo-Phase. Was könnte da Abhilfe schaffen? Natürlich die Musik. Jahrelang gab es also Blink-182, Rise Against und Linkin Park auf die Ohren. Nur live ging halt leider nichts in meinem Kaff. Nach dem ersten richtigen Konzert mit 16 war schnell klar: Da ist noch mehr drin. Richtig die Augen geöffnet hat mir dann erst Hamburg: Wie schön es sein kann, fast wöchentlich eine Lieblingsband live zu sehen, muss man eben auch zu schätzen wissen.

Konzerte und Festivals in Hamburg: Die Musikszene kann sich wirklich sehen lassen

Es machen hier so viele Menschen Musik, haben Träume vom Durchbruch, geben alles auf der Bühne. Das findet aber nicht nur in den Venues statt. Wo sonst trifft man in derselben U-Bahn schnell mal innerhalb von zehn Minuten Bier genießende Punks, stilsicher gekleidete Technomäuse oder in Jeanskutten gewickelte Krautrocker, die auf dem Weg zum nächsten Schallplattenbasar sind, um ihr nischenspezifisches Vinyl-Wissen kundzutun. All diese Vitas sind ganz maßgeblich geprägt von der Musik, prägen die Stadt und ihre Menschen mit, sind eingebrannt in die Mentalität Hamburgs.

Angekommen bin ich in Hamburg erst Ende 2020. Mitten in der Pandemie. Da ging nichts mit Konzerten, vielleicht haben einige schon vergessen, wie das war. Ich nicht – und die Musikerinnen und Musiker sicher auch nicht. Da war das höchste der Gefühle ein Sitzkonzert im Backyard vom Molotow, mit Plastikwänden zwischen den Tischen und ohne Tanzen. Und trotzdem tat das extrem gut. Manchmal bekomme ich das Gefühl, die Konzertbesuchenden sind seitdem ruhiger geworden, statt Moshpit wird jetzt immer öfter auch mal nur der Kopf im Takt gewippt. Klar, das Alter kickt und der Rücken schmerzt. Trotzdem singen, schreien, growlen die Künstlerinnen und Künstler noch immer mit voller Passion ins Mic, lassen ihre Finger über die Saiten oder Tasten fliegen.

Hamburg, die musikalische Hauptstadt des Nordens – aber wie lange noch?

Wohl jede Großstadt hat halbwegs regelmäßig tolle Konzerte zu bieten. Aber Hamburg ist auch Dreh- und Angelpunkt in Richtung Nordeuropa – das war schon in der Hansezeit vor 800 Jahren so. Unzählige kleine und mittelgroße Bands aus den skandinavischen Gefilden pilgern hierher, wuseln mit ihren angemieteten Tourbussen durch die Straßen und verschwinden in den diversesten Clubs der Stadt. Und davon gibt es (noch) eine ganze Menge: vom Mini-Gig im Hafenklang, über die Balkone in der Großen Freiheit 36 bis in den Schiffsbauch der MS „Stubnitz“. Was viele von ihnen gemeinsam haben: Sie brauchen Geld. Und Platz.

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Kultur finanziert sich nicht immer, vor allem die umso wichtigere Subkultur nicht. Die kreativen Räume, die niedrigschwelligen Auftrittsmöglichkeiten, das besondere Gefühl bei etwas Neuem dabei zu sein – das alles leidet vor allem seit der Pandemie unter immer größerem finanziellen Druck. Oder wird für die Infrastruktur plattgemacht. Die Politik muss mehr machen als bisher. Aber auch wir Musikliebhaberinnen und Musikliebhaber sollten mehr machen, mehr auf kleine Konzerte gehen, auch mal das Merch kaufen, informiert und involviert bleiben. Spotify-Tantiemen sind halt leider nicht so ergiebig, wenn man nicht Taylor Swift heißt.