Hamburg. Er plante die Bunkerbegrünung und Hammerbrooklyn. Um das Klima zu retten, sollten Gebäude saniert werden, fordert Mathias Müller-Using.
Wer mit Mathias Müller-Using über das dringend notwendige Umdenken in der Baubranche spricht, ist ohnehin sensibilisiert für das Thema – und nimmt im Anschluss die zahlreichen Baustellen im Umfeld seines Büros in Hamburg-Bahrenfeld umso deutlicher wahr. Rund 1000 Wohnungen werden rund um Friesenweg und Friedensallee gerade gebaut. Und jeder Quadratmeter verursacht viele Hundert Kilogramm CO2-Emissionen.
Der Kreativunternehmer, der mit seinem Büro Interpol Studios unter anderem die Aufstockung und Begrünung des Feldstraßenbunkers und den Hammerbrooklyn Digital Pavillon initiiert und geplant hat, ist überzeugt: „Wir können nicht so weitermachen wie bisher. Statt Gebäude abzureißen und neue zu bauen, müssen wir in die Sanierung und den Umbau des Bestands investieren.“
City Hamburg: Stiftung will dramatischen Abriss-Wahn bekämpfen
38 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen entstünden durch die Bauindustrie sowie durch Bau und Betrieb von Gebäuden. Und fast eine Tonne CO2, nämlich zwischen 800 und 950 Kilogramm, würden pro Quadratmeter bei einem Neubau verursacht, wenn dafür vorher ein Gebäude abgerissen wurde und man den Abtransport des Bauschutts mitrechne. Dieser Schutt mache mehr als die Hälfte des deutschen Müllaufkommens aus.
Die Politik, die zwar für das Erreichen der Klimaziele eintreten soll, feuere den Abriss-Boom durch Anreize geradezu an. So sei es in Hamburg gängige Praxis, dass für einen Neubau bis zu 50 Prozent mehr Fläche genehmigt werde, als das Vorgängergebäude besaß. Oft mit der Auflage verbunden, auch Wohnungen zu errichten.
Planer der Bunkeraufstockung gründet gemeinnützige Stiftung
Um „ein Gegengewicht zu dieser Logik zu schaffen“, hat Müller-Using mit HafenCity-Professorin Gesa Ziemer und einigen weiteren Gleichgesinnten jetzt den MUT Urban Trust gegründet. „Wir möchten als gemeinnützige Stiftung konstruktiv beim notwendigen sozialen und ökologischen Umbau der Stadt vorangehen.“ Geplant sei, kreative städtebauliche Vorbildprojekte zu verwirklichen, die „zum Mitmachen und Nachahmen einladen“.
Dabei wolle man sich zunächst auf die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum und den ökologischen Umbau der Innenstadt konzentrieren. Nach Recherchen von MUT wurde allein im nahen Rathaus-Umfeld seit 2010 die Hälfte aller Gebäude abgerissen und durch Neubauten ersetzt – auch wenn sie noch gar nicht alt waren (siehe Karte unten).
Abriss in Hamburg – „Politik und Baubranche müssen radikal umdenken“
„Warum reißt man ein funktionierendes Gebäude ab und baut es dann so auf, dass es sich optisch nicht sehr von seinem Vorgänger unterscheidet?“, fragt Müller-Using und nennt als Beispiel das Deutschlandhaus. Die Antwort liefert er gleich selbst: „Weil die Investoren das Maximum an Fläche herausholen – auf Kosten des Klimas.“
Die Problematik des durch die Baubranche verursachten CO2-Ausstoßes sei erst seit wenigen Jahren publik, gibt er zu. Gerade deswegen sei es jetzt höchste Zeit zum Umdenken. Denn die Vermeidung von Gebäudeabrissen sei nicht wie bisher vor allem eine Frage des Denkmalschutzes, sondern eine dringende Maßnahme für den Klimaschutz. „Politik und Baubranche müssen radikal umdenken und können nicht weiterhin CO2 in die Luft blasen. Nur so kann das Klimaschutzziel an einem Tag X noch erreicht werden.“
Hamburg überlässt Umbau der Stadt wirtschaftlichen Interessen
Die Gesellschaft und die Städte befänden sich in einer Phase der tiefgreifenden Transformation. Solche Prozesse habe es in der Geschichte Hamburgs schon zuvor gegeben: nach dem Großen Brand, durch die Errichtung der Speicherstadt oder nach den großen Epidemien mit dem Abriss des innerstädtischen Gängeviertels, was zum Bau von Mönckebergstraße und des Kontorhausviertels und damit zu einer Trennung von Arbeit und Handel (Innenstadt) und Wohnen (ringsherum) geführt habe.
„Jeder dieser Wandel wurde von der Stadt strategisch geplant und mutig umgesetzt“, sagt Müller-Using. „Der notwendige radikale Umbauprozess, in dem sich Hamburg momentan befindet, wird aber weitgehend wirtschaftlichen Interessen und Investoren überlassen.“
CO2: Wissenschaft beschäftigt sich schon länger mit „urban reset“
Benötigt werde aber eine soziale und ökologische Neugestaltung der Stadt. Das bedeute, nicht nur schnell und umfassend bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, sondern auch, Gebäude vorrangig umzubauen und zu sanieren, anstatt sie abzureißen und neu zu bauen.
In der Wissenschaft beschäftige man sich schon länger mit dem Thema dieses „urban reset“, sagt Gesa Ziemer, Dozentin an der HafenCity Universität und MUT-Mitbegründerin. „Das sind kreative Interventionen, durch die bestehende Areale oder Gebäude nicht abgerissen, sondern umgedeutet werden.“
Stiftung erstellt in Eigeninitiative Berechnungen für Karstadt Sport
In Hamburg, „einer Stadt mit wirklich toller Architektur“, würde diese Chance oft verspielt. Als Beispiel nennt sie den Abriss der filigranen City-Hof-Hochhäuser am Hauptbahnhof. „Jetzt steht dort ein massiver, eintöniger Backstein-Block mit nur einem kleinen Durchgang zum Kontorhausareal.“ Sie wünsche der Stadt „Mut“, damit Hamburg „weitere städtebaulichen Attraktionen bekommt, die keine teuren, umweltbelastenden Neubauten sind, sondern charmante Umnutzungen zum Wohle der Bürger“.
Auf eigene Faust hat der Urban Trust bereits einige Gebäude in der Innenstadt ausgesucht und die CO2-Mengen, die jeweils bei Neubau und Sanierung entstehen würden, berechnen lassen Eines davon ist das ehemalige Kaufhaus von Karstadt Sport an der Mönckebergstraße, dessen rund 13.000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche derzeit von Künstlern und Kreativen zwischengenutzt werden.
Umbau statt Abriss spart bei Karstadt Sport 10.000 Tonnen CO2 ein
Hier positioniert sich die Stiftung klar gegen den Abriss – und bringt die Idee ein, es als Teil des geplanten „Hauses der Digitalen Welt“ einer attraktiven öffentlichen Nutzung zuzuführen. „Ein solcher Umbau würde auch zu einer lebendigen Innenstadt beitragen“, so Müller-Using.
Alexa Lutzenberger, Expertin für Nachhaltiges Bauen bei der MUT Stiftung, hat den jeweiligen CO2-Ausstoß berechnet. Würde man den Rohbau erhalten und das Gebäude ausbauen und sanieren, ließen sich dadurch fast 10.000 Tonnen Treibhausgase vermeiden. Und hätte man rund um das Rathaus nicht so viel abgerissen und weder die Gebäude am Großen Burstah noch das Commerzbank-Ensemble am Nikolaifleet für Abriss und Neubebauung freigegeben, wären der Atmosphäre mehr als 300.000 Tonnen CO2 erspart geblieben.
MUT will im Parkhaus Rödingsmarkt bezahlbaren Wohnraum schaffen
Um zu zeigen, dass – und vor allem: wie – es anders geht, hat MUT in Eigeninitiative mit dem Architekturbüro EM2N ein vollständiges Konzept für die Sanierung und den Umbau des Parkhauses am Rödingsmarkt zu einem gemeinnützigen Wohnprojekt erstellt.
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Derzeit ist die Zukunft des Gebäudes, das wegen seiner Rotunde und der Kuppel mit Glasbausteinen als architektonische Besonderheit gilt und bereits Gegenstand eines Studenten-Wettbewerbs war, noch ungeklärt. „Wir würde es gerne als unser erstes Transformationsprojekt umgestalten“, sagt Gesa Ziemer.
City Hamburg: Mitstreiter beim Kampf gegen Abriss-Wahn gesucht
Die Stiftung könnte hier bis zu 190 bezahlbare Mietwohnungen schaffen, öffentliche Räume am Wasser und auf dem Dach, eine Kita, einen Spielplatz und ein durchlässiges Erdgeschoss, das eine Verbindung zwischen Rödingsmarkt und Alsterfleet ermöglicht. Schon früher habe es hier einen Zugang zum Wasser gegeben, einen Park, sagt Müller-Using. Der Straßenname Herrlichkeit erinnere daran.
Die Gründungsmitglieder, die schon jetzt von Ingenieuren, Juristen, Architekten und weiteren Fachleuten unterstützt werden, wünschen sich weitere Menschen, die sich MUT Urban Trust anschließen möchten. „Wer Ideen hat, Konzepte für Vorbildprojekte, Grundstücke, Gebäude, Kapital oder Know-how, kann sich gerne bei uns einbringen.“