Hamburg. Dutzende Leser haben die Abendblatt-Serie zum Anlass genommen, ihre Erinnerungen und Gedanken aufzuschreiben.
Seit den verheerenden Bombenangriffen auf Hamburg sind 75 Jahre vergangen – doch die „Operation Gomorrha“ treibt die Menschen immer noch um. Durch die Serie haben noch einmal Dutzende Zeitzeugen sich beim Hamburger Abendblatt gemeldet. Eine kleine Auswahl der Reaktionen mit Gedanken, Erinnerungen und Kritik finden Sie hier:
Erinnerungen an die Angriffe
Der Anblick der Trümmer des Karstadt-Warenhauses hat mich, den 86-Jährigen, so geprägt: Ich war auch ein Pimpf. Mein Jungenschaft-Führer, „Krause“ genannt, war ein kerniger Bursche. Ich war so begeistert von ihm, dass ich auch zu Hause von ihm schwärmte. Meiner Mutter wurde das häufig zu viel. „Quatsch nicht immer von Krause!“ Und er meldete sich freiwillig als Flak-Helfer! Sein Dienst war oben auf dem Karstadt-Gebäude. Ob Flak-Geschütz oder Scheinwerfer, weiß ich nicht mehr. Dann kam die „Operation Gomorrha“! Einige Tage später ging ich an den Trümmern, wie das Bild sie zeigt, vorüber. Ein Uniformfetzen an einem herausragenden Eisenträger! War der von Krause? Georg Schulz, Hamburg
Den in Ihrer Zeitung von vielen Zeitzeugen beschriebenen Bombenangriff vom 27. auf den 28. Juli haben wir auch miterlebt. Auch wir waren in einem Kohlenkeller, aus dem wir, als alles brannte, herausmussten. Ich war damals acht Jahre alt und wollte nicht durch die Flammen laufen.
Nicht nur die Häuser, auch die Straßen brannten alle, denn zwischen dem Kopfsteinpflaster war damals Teer gegossen worden und zusammen mit den abgeworfenen Phosphorbomben brannte alles lichterloh. Ich bekam eine Wolldecke übergeworfen, und dann liefen wir durch die Flammen, hinein in einen Straßenbahnwaggon, der glücklicherweise in der Nähe stand. Dort saßen wir einige Zeit, bis der Angriff vorüber war. Dann gingen wir alle auf den Elbdeich, wo wir die Nacht verbrachten. Am nächsten Tag wurden wir mit einem Lkw nach Bleckede transportiert und später von dort aus nach Bayern. Dort hielt meine Mutter es aber nur vier Wochen aus, bevor wir wieder Richtung Hamburg fuhren.
Aufgrund Ihrer Serie wurde mir wieder einmal so richtig bewusst, was für ein Wunder es war, dass wir dort lebend herausgekommen sind. Helga Schultheis geb. Usinger
24.7.1943 – in der Stadt Hamburg herrscht eine drückende Hitze und eine nicht zu beschreibende Nervosität. Meine Erregung hat aber einen anderen Grund. Ich feiere heute an der Dorotheenstraße in Winterhude meinen
5. Geburtstag. Mein Papa ist auch dabei. Er hat für den Tag zur Freude unserer kleinen Familie Fronturlaub bekommen. Quer durch Russland ist er gefahren. Einen Teddy hat er mir mitgebracht. Ich bin überglücklich. Teddy muss heute Nacht bei mir schlafen. Wir beide müssen allerdings angezogen bleiben. So sagt es meine Mama. Ich weiß nicht, warum.
Und dann diese unbeschreibliche Hektik, dieser Lärm. Ich sehe mich mit meinem Teddy im Hochbunker sitzen. Mama an meiner Seite. Es ist heiß, es stinkt. Der Bunker wackelt. Die Menschen sind totenstill. „Mama, wo ist Papa?“ „Papa ist draußen, Soldaten müssen draußen bleiben.“ Ich habe längst kein Zeitgefühl mehr.
Entwarnung. Alles drängt nach draußen. Mama sagt zu mir, ich solle noch sitzen bleiben, sie würde in die Dorotheenstraße gehen und nachsehen, ob das Haus noch steht. Stunden vergehen – warum kommt sie nicht zurück? Weinend drücke ich meinen Teddy an mich. Ein älteres Ehepaar erbarmt sich meiner und nimmt mich mit in dessen Wohnung – irgendwo an der Alster. Ich kann mir das Draußen nicht erklären. Es ist stockdunkel. Überall brennen Häuser. Ich sehe Feuerwehr, und ich frage das fremde Ehepaar, warum hier überall Menschen liegen. „Die schlafen“, ist deren Antwort. „Nicht aufwecken“, kommt noch hinterher. (...) Lissy Benischek, Rosengarten
Es war Juli 1943, (...) als die noch im Haus verbliebenen Familienmitglieder sich bei nächtlichem Fliegeralarm in unseren, im Souterrain befindlichen Luftschutzkeller an der Hochallee flüchteten. Während des Luftangriffs hörte man ein kaum zu beschreibendes donnerndes Geräusch, das ganze Haus schien für einen Moment zu beben.
Nach Entwarnung bei Tagesanbruch fehlte auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine „ganze Häuserzeile“ von drei Häusern. Aus den noch stehenden Ruinen loderten Flammen aus schwarzen Gemäuerresten. Menschen, die sich retten konnten, saßen vor dem Vorgarten auf unserer Straßenseite. (...) Ich war damals vier Jahre alt, und diese Szene ist mir nie mehr aus dem Gedächtnis geschwunden. Dr. Günter Türk
Zum Gedenken
Bomber Harris war einer der schlimmsten Kriegsverbrecher des 2. Weltkrieges. Er ist verantwortlich für das „Moral Bombing“ von 160 deutschen Städten, dem mehr als 600.000 Deutsche zum Opfer fielen – in Feuerstürmen verbrannt, erstickt, zerschmettert – die meisten davon Frauen und Kinder. Millionen deutsche Zivilisten wurden verletzt und traumatisiert. Die eiskalte und verbrecherische Absicht des „Moral Bombing“: die Städte der Deutschen zu zerstören und gezielt die Zivilbevölkerung anzugreifen, um die Moral der deutschen Soldaten an der Front zu brechen. Militärische Ziele waren eben nicht vorrangig Ziele der Angriffe, sondern die Familien der deutschen Soldaten selbst. Die zivilen Opfer waren keine „Kollateralschäden“. Ihr Tod und ihr Leiden waren volle Absicht.
Bomber Harris steht für eines der dunkelsten Kapitel des 2. Weltkrieges. Kurz vor seinem Tod sagte er, dass er nichts bereue und genauso wieder handeln würde. Dieser Verbrecher wurde nie zur Rechenschaft gezogen. Im Gegenteil: Heute steht in London vor der St. Clement Danes Church sein Denkmal, und in der Westminster Abbey steht sein Name hinter dem Altar, wo britische Air Force Kriegshelden geehrt werden.
Die Hamburger Bombennächte werde ich nie vergessen. Ich war damals 13 Jahre alt und gehörte zu einer Einsatzgruppe der Hitlerjugend, die unmittelbar nach den Angriffen versuchte, Brände zu löschen, Leichen zu bergen und Verletzte zu versorgen. Des Öfteren unter Lebensgefahr, wenn weitere Bomberverbände im Anflug waren und wir vor Ort nicht rechtzeitig gewarnt werden konnten. Ernst Breuel, Hamburg
Ungewöhnlich heiß ist dieser hochsommerliche Tag in der Stadt; die Menschen zieht es am Abend in Parks und Kneipen.
Dann bricht das Inferno los, rüttelt alle auf, die eben noch von der Hitze matt; Bomber entladen ihre Fracht, mit dem Ziel totaler Auslöschung. Die brennenden Stadtteile sind noch von Weitem auf dem Lande zu sehen. In der Dunkelheit hört man das Donnern der Bomben wie Gewittergrollen. Rettungskräfte müssen hilflos zusehen, wie Menschen, Eltern wie Kinder, vergehen; gefressen von feuerspeienden Trollen. Nicht enden zu wollen schienen die Luftangriffe; kein Ende fand der Feuersturm; noch Tage, Wochen, gar Monate wütete der Tod. Der Tod durchstreifte die Stadt wie ein Lindwurm; noch heute zeugen Gräber von des Krieges Not.
In Gedenken der „Operation Gomorrha“ 1943 Harald Friederich
Ich lebe in den USA und habe ein Abendblatt-Abo. Ich lese mit Interesse die Berichte über die Bombenangriffe auf Hamburg und was sie für die Hamburger Bevölkerung bedeuteten.
Alles wankte, das Licht ging aus, Kalk rieselte von der Wand
Ich war zu der Zeit sechs Jahre, stamme aus einer sogenannten privilegierten Mischehe, Mutter jüdisch, also die Kinder jüdisch, und der Vater kein Jude. Er ließ sich nicht scheiden, verlor deshalb seine Arbeit als Schiffsingenieur bei der Hapag. Bis jetzt habe ich nirgendwo etwas darüber gelesen, wie es uns, den noch verbliebenen Juden, erging. Beispiel: Als es kein Gas gab und es eine Art von Gemeinschaftsküchen gab. Ich ging als Sechsjährige auch hin (trotzdem mich Mutter warnte). Aber „liebe“ Nachbarn sorgten dafür, dass ich als jüdisches Kind kein Essen bekam. Die öffentlichen Bunker waren für uns verboten, und in den eigenen Kellern im Hause wollten uns die Nachbarn nicht haben. Aber nach dem Krieg wollten einige Nachbarn von meinen Eltern einen „Persilschein“ haben. So gibt es viele Beispiele. Es war oft der Durchschnittsbürger, der uns das Leben noch schwerer machte, als es sowieso schon war.
Deshalb lese ich diese Berichte über Juli 1943 mit gemischten Gefühlen. Es war sehr schlimm, wie viele Menschen dabei umkamen. Aber es brachte uns ein Stück näher an die Kapitulation und an die Befreiung von diesem Wahnsinn. Bei einem anderen Ausgang würde ich diesen Brief nicht schreiben. Ich wäre dann unweigerlich im KZ geendet. Carmen Melamed, Denver/CO 80209
Gomorrha und heute
Dass die „Operation Gomorrha“ und der für uns bestimmende „Feuersturm“ im Gedenken Hamburgs keinen großen Platz einnehmen, hat außer den Gründen, die Sie angeführt haben, m. E. noch den weiteren, dass die zerstörten Gebiete nicht die Wohngebiete der Meinungselite Hamburgs waren und sind und dass insbesondere in das vom Feuersturm betroffene Gebiet viele Bewohner nicht zurückkehren konnten, wie ich selbst ja auch nur an den Rand. Für die Gebliebenen und Zurückgekehrten bedurfte es keines Denkmals – wir waren selbst eines. Hildegard Thevs, Hamburg
Diese Strategie wird bis heute in all den Kriegen, die wir nach dem 2. Weltkrieg erleben, von den Machthabern und Militärs verfolgt: Vietnam, Naher Osten, Jemen, Libyen und, und, und. Wie können wir Menschen, obwohl wir es besser wissen sollten, diesen Frevel an der Menschheit immer wieder hilflos mit ansehen. Wie können wir immer wieder Rattenfängern erliegen und sie zu unseren Führern wählen, die Hass sähen und dann Gewalt anwenden, um ihre Macht auf dem Rücken anderer zu erhalten. So viele Terroristen, wie uns diese Machthaber glauben machen wollen, gibt es gar nicht als dass sie diese Kriege rechtfertigen. Kurt Steuer, Hamburg
Hoffentlich haben Ihre Berichte bzw. die Augenzeugenschilderungen den Effekt, dass in Deutschland und Europa die Menschen aus vollem Herzen rufen: Nie wieder Krieg! Und die heutigen furchtbaren Kriege mit ihren Wunden mit unerschütterlicher Geduld und Anstrengung beendet werden WOLLEN. Dr. Susanne Heinrichowski