Hamburg. Großangriff vom 24./25. Juli zerstört Altona, St. Pauli, Eimsbüttel und die City. Teil 6 der Serie zum 75. Jahrestag.

Der 24. Juli 1943 ist ein heißer Sommertag. In der Stadt herrscht seit Wochen trügerische Normalität, die Menschen haben sich mit der Zeit an die Bombenangriffe gewöhnt.

Niemand kann ahnen, welches Grauen der Bevölkerung bevorsteht. Einige Sätze, später aufgeschrieben von Abendblatt-Leserin Marlen Herzig, bringen das Unfassbare auf den Punkt: „24. Juli. Es ist sehr warm und der letzte Schultag. Große Ferien. Vier Mädchen verabreden sich für morgen zum Baden. Wir haben uns nie wiedergesehen.“

Hamburg soll „bis auf den Grund“ zerstört werden

Gegen 21.45 Uhr starten die ersten Flugzeuge in England, um ihre tödliche Fracht über der Stadt abzuwerfen. Im Einsatzbefehl Nr. 173 für diesen Tag heißt es zynisch: „Wenn wir den maximalen Effekt des Bombardements erreichen wollen, dann muss unablässig ­angegriffen werden. Der erste Angriff heute Nacht wird vor allem mit Brandbomben ausgeführt, um die Feuerwehrkräfte und die Löschmöglichkeiten zu erschöpfen.“ Über allem steht die Direktive des britischen Bomberkommandos für diesen und die folgenden Angriffe: „Sie sollen die alte Hansestadt Hamburg bis auf den Grund zerstören, und zwar in vollstem Ausmaß aller Ihrer Fähigkeiten und Möglichkeiten.“

Das erste Hauptziel des Angriffs sollten eigentlich die Hamburger Innenstadt und die Rüstungsbetriebe im Hafen sein, Orientierungspunkt war der Turm der Nikolaikirche. 791 Flugzeuge beteiligten sich an dem Angriff, darunter 347 Lancaster- und 246 Halifax-Bomber. Gegen Mitternacht fliegen sie in den deutschen Luftraum ein, um 0.33 Uhr ertönen die Alarmsirenen. Um den Piloten die Orientierung zu erleichtern, werden zunächst Zielmarkierungsbomben geworfen, die – so war es geplant – zur Kennzeichnung große Flammenkreise bilden sollten. Doch durch Fehlwürfe und Windverwehungen ist es für die aus Nordwest einfliegenden Piloten schwierig, die Markierungen genau zu erkennen, und etliche von ihnen verlieren den Überblick.

Viele werfen ihre Bomben zu früh ab, Stress und der Beschuss durch die Flugabwehr mögen dazu beigetragen haben. Der Angriffsraum verlagert sich auf diese Weise weiter als geplant nach Nordwesten, sodass neben der Neustadt auch Eimsbüttel, Hoheluft, Teile von St. Pauli, Altonas Altstadt und die nordwestlich gelegenen Vororte viele Treffer erhalten. Schätzungsweise 2300 Tonnen Bomben werden in dieser Nacht abgeworfen.

Da es schon seit Wochen immer wieder Fliegeralarm gegeben hatte, ­bislang aber nur vereinzelte Schäden, fühlen sich viele Hamburger in diesen heißen Julitagen relativ sicher. Überlebende berichten von Kino- und Cafébesuchen, häuslichen Geburtstagsfeiern und Ausflügen ins Grüne.

Alle ahnten, dass es diesmal schlimmer werden würde

Der 1936 geborene Friedrich Nelles erlebt das Inferno an der Neumünsterschen Straße, die damals noch Neumünsterstraße heißt. Die Familie wohnt in gutbürgerlichen Verhältnissen in einer repräsentativen Altbauwohnung ganz in der Nähe der Kreuzung Hoheluftchaussee.

Nelles erinnert sich: „Wir hatten schon mehrfach Fliegeralarm erlebt, aber unsere Hausgemeinschaft war immer im Erdgeschoss geblieben. In dieser Nacht hatten alle von Anfang an den Eindruck, dass es diesmal anders werden würde. Schlimmer. Wir hörten sehr starke Flugzeug-Motorengeräusche, die ganze Luft war von einem unheimlichen Grollen erfüllt. Es folgten schwere Detonationen, starke Erschütterungen und klackernde Geräusche – so ähnlich wie die Schüsse von riesigen Maschinengewehren. Zum Glück hatten wir gerade Verwandte aus Köln im Haus, die schon Erfahrung mit Luftangriffen hatten. In Windeseile fraß sich Feuer von oben nach unten durchs Haus. Es blieb überhaupt keine Zeit, hochzulaufen und irgendetwas zu retten.

Der Kölner Verwandte schrie, dass wir so schnell wie möglich rausmüssten, weil das Haus gleich einstürzen würde, und dass wir unbedingt nassen Stoff bräuchten. Unten im Haus trieben wir Bettlaken auf, die noch rechtzeitig nass gemacht werden konnten. Zu viert nahmen wir je eines als Schutz. Da klar wurde, dass alle Häuser in diesem Abschnitt der Straße in Flammen standen, wollten wir eigentlich durch den Hintergarten fliehen. Aber gleich nebenan war eine Tankstelle, und die Gefahr, dass sie explodieren würde, schien zu groß. Mit dem Mut der Verzweiflung stürmten wir durch die brennende Neumünsterstraße, während links und rechts brennende Teile der Häuser herabstürzten. Erst in einem kleinen Bunker in der Nähe fanden wir Unterschlupf. Gerettet.“

Dass eigentlich niemand ernsthaft mit einem Großangriff rechnete, berichtet auch Peter Schütt, Jahrgang 1934, der – nach einem Besuch bei Hagenbeck – die Nacht bei seinen Großeltern in Altona verbrachte. Schütt erinnert sich: „Ich war noch nicht lange eingeschlafen, da gab es Alarm. Mein Opa schnarchte einfach weiter, wir liefen in den Schutzkeller. Noch als wir im Treppenhaus waren, flogen die ersten Scheiben raus. Da ahnten wir, dass es dieses Mal ein heftiger Angriff werden würde. Wir täuschten uns nicht.“

Viele Straßenzüge Altonas sind vernichtet, auch auf St. Pauli, das heute als klassischer Altbau-Stadtteil wahrgenommen wird, hatte es etliche Bombentreffer gegeben – südlich der Königstraße ist fast kein Haus stehen geblieben.

Tausende suchen Schutzin der Krypta des Michels

In dieser Nacht werden auch große Teile der Innenstadt zerstört, darunter die Nikolaikirche. Nur der Turm widersteht, wie auch bei den folgenden Angriffen, dem Bombenhagel, der die gesamte Umgebung der Kirche in ein Trümmerfeld verwandelt. Tausende Bewohner der Innenstadt-Quartiere sind während des Angriffs in die Krypta der Kirche St. Michaelis geflüchtet, deren Umgebung fast völlig zerstört wird. Immer wieder gelingt es Brandwachen im Michel, ein Übergreifen der Flammen auf Hamburgs populärste Kirche zu verhindern, allerdings wird das Hauptpastorat mit wertvollen Kunstschätzen vernichtet.

Eimsbüttel und das (erst seit 1951 zweigeteilte) Hoheluft gelten heute als Stadtteile, die den Bombenkrieg relativ unbeschädigt überstanden haben. Als Beleg dient dann oft die hohe Zahl an Altbauwohnungen. Dabei wird oft vergessen, dass es vor allem im westlichen Eimsbüttel viele Bombentreffer gab und dass der Stadtteil zu mehr als 40 Prozent zerstört wurde. Der Eimsbütteler Marktplatz, einst das schöne Zentrum des Quartiers, und große Teile der Eimsbütteler Chaussee werden beim ersten Großangriff ausradiert. Die Bebauung der Fruchtallee geht genauso im Bombenhagel unter wie die meisten Eckhäuser an den Einmündungen der Seitenstraßen. Ähnlich sieht es heute an der Hoheluftchaussee und am Grindelberg aus – vor dem Krieg schmucke Einkaufsstraßen mit großbürgerlicher Bebauung.

Eimsbüttels Straßenzüge versinken in Schutt und Asche

Die 1931 geborene Ilse Heile erlebt den Beginn des Luftangriffs zu Hause am Pinneberger Weg gemeinsam mit ihrer Mutter und vier Geschwistern. „Im Erdgeschoss war ein Teil des Mülleimer-Unterstands verstärkt worden – dort hockten wir bei Luftangriffen“, erinnert sie sich. „Als der Bunker an der Eimsbütteler Straße fertiggestellt war, mussten wir dorthin laufen, sobald Voralarm gegeben wurde. Das hat uns vermutlich das Leben gerettet.“

In der unmittelbaren Nachbarschaft versinken ganze Straßenzüge in Schutt und Asche. „Auch der Bunker wurde getroffen und schwankte so stark, dass ich aus dem Etagenbett flog“, berichtet Ilse Heile, „ich kann mich allerdings trotz allem nicht erinnern, dass ich auch nur einmal Angst hatte.“

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    Auch zahlreiche Häuser in den nordwestlichen Randgebieten Hamburgs werden getroffen. Abendblatt-Leser Peter Wittke, Jahrgang 1938, erlebt den Angriff in Eidelstedt, wo die Familie an der Reichsbahnstraße wohnte. „Meine Mutter und ich waren in den Keller unserer Wohnung geflüchtet, als in der Gegend Bomben niedergingen“, berichtet Wittke. „In nur ungefähr 40 Metern Entfernung an der Ecke Furtweg explodierte eine Luftmine. Unsere Wohnung brannte komplett aus.“

    In dieser ersten Angriffsnacht kommen bis zu 1500 Menschen ums Leben. Friedrich Nelles und seine Mutter gehören zu denen, die bei dem Luftangriff alles verloren haben. Ihre Wohnung in Hoheluft ist zerstört, nur die Kleidung auf dem Leib ist ihnen geblieben. Am nächsten Tag schlagen sie sich zu den Großeltern durch, die an der Humboldtstraße wohnen. Barmbek und die Nachbarstadtteile sind noch weitgehend unzerstört. Beide hoffen, dort in Sicherheit zu sein.

    Nach dem Angriff werden kostenlos Brot und Wurst verteilt
    Nach dem Angriff werden kostenlos Brot und Wurst verteilt © Staatsarchiv Hamburg Nachlass Erich Andres

    Der Angriff vermittelt den Menschen einen Eindruck, welche schrecklichen Verheerungen in einem Krieg möglich sind, in dem keine Rücksicht mehr auf die Zivilbevölkerung genommen wird. Ob sie schon eine Vorstellung davon hatten, was innerhalb der zehn Tage fast dauernder Bombardierung auf sie zukommen würde, ist schwer zu beurteilen. „Jetzt geht es los“ und „Das ist erst der Anfang“ sei am 25. Juli immer wieder gesagt worden, berichten viele Zeitzeugen. Allerdings kann niemand eine Ahnung von der Intensität des Feuersturms haben, der nach dem zweiten Großangriff in der Stadt wüten wird, auch wenn es nach dem ersten Angriff bereits großflächige Brände in der Altonaer Altstadt gegeben hat.

    Nur zehn Tage reichen aus, um rund 42 Prozent des Wohnungsbestands der Stadt zu zerstören. Tausende Jugendstilbauten verschwinden ebenso aus dem Stadtbild wie die uralten Fachwerkhäuser der Altstadt und Altonas. Innerhalb von nur zehn Tagen werden viele Kulturschätze, Sehenswürdigkeiten und andere öffentliche Einrichtungen zerstört, die Hamburg zum Teil über mehr als 100 Jahre geprägt hatten. Neben der Nikolaikirche vernichten Bomben gleich beim ersten Angriff die Stadtbibliothek am Speersort – und damit das Gebäude des alten Johanneums von 1840. Mehr als 700.000 Bücher verbrennen – unschätzbare Werte gehen für immer verloren.

    Während viele Kirchen originalgetreu wiederaufgebaut werden, bleiben andere Landmarken nur auf Fotos und in Erzählungen erhalten. Die Bombardierung vernichtet unter anderem das Naturkundemuseum, die Seewarte, das Altonaer Rathaus und fast die Hälfte der Speicherstadt. Das Uhlenhorster Fährhaus, der Conventgarten, das Altonaer Theater und der Alsterpavillon gehen unter, auch traditionsreiche Vergnügungsstätten wie die Volksoper, das Ballhaus Trichter und das St. Pauli Fährhaus werden zerstört.