Hamburg. Am 24. Juli 1943 starten die ersten von 791 britischen Bombern mit Ziel Hamburg. Teil 4 der Serie zum 75. Jahrestag.

Am 22. Juli 1943 schreibt Sir Henry Thomas Tizard einen Brief an den Premierminister. Darin bittet er darum, den geplanten Großangriff aufzugeben. Ein unzerstörtes Hamburg, schreibt er, sei geeignet, den Briten nach dem Krieg als Hauptsitz im besetzten Deutschland zu dienen. Von dort aus könne der Militarismus besonders gut bekämpft werden, denn Hamburg sei „antirussisch, antipreußisch und antinazistisch“. Tizard ist nicht irgendein Träumer: Der renommierte Chemiker ist Rektor des Imperial College in London und leitet eine Kommission, um die Forschungen zur Radar- und Strahltriebwerkstechnik zwischen Briten und Amerikanern zu koordinieren. Winston Churchill nimmt sein Schreiben zur Kenntnis – und ignoriert es. Zwei Tage später starten um 21.45 Uhr die ersten der 791 Bomber in Richtung Hamburg. Die „Operation Gomorrha“ hat begonnen.

Hamburg glaubt sich vorbereitet. Dass ein großer Angriff auf die Stadt unvermeidlich sei, davon sind die deutschen Militärs längst überzeugt. Im Sommer 1943 gibt es 139 Bunker, 773 „Sonderbunker“ (die zumindest als splittersicher gelten) und 1442 öffentliche Luftschutzräume, dazu wurden 76 Prozent aller Keller abgestützt. 378.000 Hamburger können – theoretisch – Schutz finden. Alle Dachböden mussten von brennbarem Material befreit werden, die Hauseigentümer hatten für Mauerdurchbrüche in den Kellern zu sorgen, damit Fluchtwege für Verschüttete entstehen. Dennoch sind viele Hamburger sorglos. So oft hatte es schon Angriffe gegeben (1940 bereits 70), doch immer war es glimpflich ausgegangen.

Seit dem 20. April war der „Generalerlass für Großkatastrophen“ in Kraft, und Anfang Juli hatte es auf Führungsebene eine Übung gegeben – dabei wurden Evakuierungen, die Versorgung von Obdachlosen und die Verteilung von Lebensmitteln geplant. In der Stadt gibt es 14.000 Feuerwehrleute (heute sind es inklusive der freiwilligen Feuerwehren rund 5000), dazu 8000 Männer in technischen Sondereinheiten (die Gas-, Wasser- und Stromleitungen reparieren sollen), sowie rund 12.000 Soldaten als Helfer. Doch das Inferno, das in den nächsten zehn Tagen hereinbricht, ist jenseits der Vorstellungskraft der Verantwortlichen.

Stanniol setzt die deutsche Abwehr außer Gefecht

Die Briten setzen erstmals eine „Geheimwaffe“ ein, über die auch die Deutschen verfügen. Beide Seiten hatten sich bisher gescheut, sie zu nutzen, weil sie befürchteten, die andere Seite würde sie dann ebenfalls verwenden: simple Stanniolstreifen. Durch den massenhaften Abwurf wird das deutsche Radar faktisch außer Gefecht gesetzt, weil die Flugzeuge nicht mehr geortet werden können. Der Einsatz der Nachtjäger, die Feuerleitsysteme für die Flak und selbst die Scheinwerfer laufen ins Leere. Einige Monate zuvor hatten die Briten bei einem Kommandounternehmen ein deutsches „Würzburg-Radar“ erbeutet und konnten die Stanniolstreifen in Länge und Breite optimal herstellen. Der Erfolg ist total und überrascht selbst die Briten: Von den 740 Maschinen der ersten Welle, die Hamburg erreichen, werden nur zwei abgeschossen. Die Deutschen sind blind.

Um 21.45 Uhr Ortszeit am 24. Juli starten die ersten Flugzeuge: 1454 Tonnen Spreng- und knapp 330.000 Brandbomben sind an Bord der Maschinen. Ziele sollten Eimsbüttel und Hoheluft sein. Als Zielmarke diente St. Nikolai in der Altstadt – dort werden leuchtende Markierungen (die sogenannten Tannenbäume) abgeworfen. Lufmarschall Arthur Harris weiß um die Schwächen von Angriffspla­nungen, denn alle Bomberbesatzungen neigen dazu, ihre Fracht zu früh abzuwerfen – um der Flak zu entgehen und schnell wieder nach Hause zu kommen. Deshalb wird bei den Zielmarkierungen dieser Effekt schon eingerechnet.

Dennoch trifft der überwiegende Teil der Bomben ihre Ziele nicht, sie detonieren im eher dünn besiedelten Nordwesten der Stadt. Doch der Rest reicht, um schlimmste Verwüstungen anzurichten. In Eimsbüttel und (wegen falscher Markierungen) Altona-Altstadt entstehen verheerende Flächenbrände. Die Koordinierung der Feuerwehreinsätze funktioniert schlecht, denn das Telefonnetz bricht in den angegriffenen Stadtteilen zusammen, außerdem wird die Luftschutzleitung im ebenfalls getroffenen Polizeipräsidium außer Gefecht gesetzt. Es treffen zunächst nur Meldungen aus dem weniger betroffenen Osten der Stadt ein, weshalb die Behörden glauben, dort liege der Schwerpunkt der Angriffe.

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Um 3.01 Uhr wird Entwarnung gegeben. Bis zu 1500 Menschen sind tot, 11.488 Gebäude zerstört, 154.000 Hamburg obdachlos.

Als die Behörden das Ausmaß der Zerstörungen zu begreifen beginnen, heulen am Sonntag um 14.40 Uhr erneut die Sirenen. Jetzt sind es 123 amerikanische B-17-Bomber, die anfliegen. Sie haben es vor allem auf die Rüstungsindustrie im Hafen abgesehen. Zwar gibt es Schäden bei Blohm&Voss, auch werden Öltanks getroffen, doch die ehrgeizigen Ziele werden nicht erreicht. In der folgenden Nacht fliegen die Briten keine Angriffe, um den Amerikanern für den nächsten Tag nicht durch Rauch und Qualm die Sicht zu behindern. Doch auch dieser Tagangriff am 26. Juli richtet keine großen Schäden an – allerdings wird das E-Werk Neuhof getroffen, 40 Prozent der Hamburger haben keinen Strom.

In der folgenden Nacht vom 26. auf den 27. Juli gibt es nur kleinere britische Angriffe. Doch die Hoffnungen, dass es vorüber sei, sind unberechtigt: Am Abend des 27. Juli starten 777 britische Bomber. Sie umfliegen Hamburg und kommen von Osten, so beginnt der Angriff erst gegen 1 Uhr. Eilbek, Wandsbek, St. Georg, Hamm, Borgfelde, Hammerbrook und Rothenburgs­ort werden in dieser Nacht dem Erdboden gleichgemacht, es ist ein Inferno. In den ersten Stunden des 28. Juli wird der Feuersturm entfacht, ein grauenvolles Phänomen, das nur bei einer speziellen Wetterlage möglich wird. In diesen Tagen ist es ungewöhnlich heiß in Hamburg, und die hohen Gebäude in den eng bebauten Stadtteilen speichern diese Hitze. Dazu kommt ein Tiefdruckgebiet in ungewöhnlich großer Höhe, das kalte Luft mit sich führt und die Luft vom Boden anzieht wie ein riesiger Staubsauger. Wegen dieser starken Sogwirkung wird der Sauerstoff extrem angezogen – die Feuer wüten wie in einem gewaltigen Kamin.

Feuersturm und überall Leichen – Teil 4

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    Die meisten der bis zu 30.000 Toten in dieser Nacht sind in den Luftschutzkellern erstickt. Als die Leichen in den kommenden Tagen und Wochen geborgen werden, sehen viele aus wie friedlich schlafend – oft haben sich Kohlevorräte in den Kellern entzündet und tödliches Kohlenmonoxid freigesetzt. Viele Opfer sind auch in einstürzenden Kellern erschlagen worden – oder auf offener Straße verbrannt. Das Bild der verkohlten und seltsam zusammengeschrumpften Leichen hat sich allen Zeugen unlöschbar ins Gedächtnis eingebrannt.

    Nach dieser Nacht beginnt die große Fluchtwelle – 230.000 Hamburger hatten ihre Wohnungen verloren. Wer nicht „organisiert“ aus der Stadt gebracht wird, macht sich oft auf eigene Faust auf den Weg. Dabei funktioniert das Krisenmanagement unter diesen Umständen erstaunlich gut. Die Verwaltung hatte riesige Mengen Lebensmittel gelagert, die jetzt großzügig verteilt werden. Die Trinkwasserversorgung bleibt ebenfalls gewährleistet.

    Auch in Barmbek machen sich relativ viele Menschen auf, Hamburg zu verlassen. Wer bleibt, wird es bitter bereuen. In der Nacht vom 29. auf den 30. Juli starten erneut mehr als 700 britische Bomber, um den Arbeiterstadtteil anzugreifen. Zwar entsteht kein Feuersturm, doch Barmbek wird total zerstört: Abermals sterben viele Hunderte, 160.000 verlieren ihr Zuhause.

    Der vierte Angriff zeigt kaum Wirkung

    Doch auch dieser dritte Großangriff sollte nicht der letzte sein: Harris will die noch unzerstörten Stadtteile, vor allem Harburg, Harvestehude und Rotherbaum, attackieren. Weil die Menschen es ahnen, sind auch dort viele geflüchtet.

    Doch diesmal ist das Wetter auf Hamburger Seite: In der Angriffsnacht vom 2. auf den 3. August gibt es schwere Gewitter. Harburg wird vom Angriffsplan gestrichen. Und von den 740 Maschinen erreichen nur 424 die Stadt (der Rest musste abdrehen, manche stürzen ab), die meisten Bomben werden eher wahllos abgeworfen. Die wenigen Brände, die der Regen nicht löscht, hat die Feuerwehr schnell im Griff. So sterben in dieser Nacht lediglich 78 Menschen. Die „Operation Gomorrha“ ist beendet. Mindestens 35.000, manche meinen bis zu 43.000 Menschen sind gestorben, Unzählige verletzt; 56 Prozent des Hamburger Wohnraums sind zerstört.

    Die von Arthur Harris erhoffte psychologische Wirkung des Angriffs scheint zunächst einzutreten. Propagandaminister Joseph Goebbels ordnet Anfang August die Teil-Evakuierung Berlins an und löst so eine Panik aus. In Hamburg sind viele wütend, dass die Angriffe scheinbar ohne Gegenwehr erfolgen konnten. Reichsstatthalter Karl Kaufmann verbietet zunächst allen Hamburgern, dann zumindest den Männern, die Stadt zu verlassen – dann lässt er doch evakuieren. 900.000 Menschen verlassen die Stadt. Später verbietet er die Rückkehr nach Hamburg, hebt auch das aber bald auf. Dennoch: Widerstand gegen die Nazis, gar einen Aufstand, wird es auch in den kommenden 21 Monaten nicht geben, bis die Briten am 3. Mai 1945 die Stadt besetzen. Gleichwohl wird die Stimmungslage immer schlechter, viele glauben der Propaganda nicht mehr, fühlen sich verraten – nicht weil Hitler den Krieg begonnen hat, sondern weil er ihn offensichtlich nicht gewinnen kann.

    Bis Ende April 1945 folgen noch 69 weitere Luftangriffe auf Hamburg, die besonders oft Harburg, den Hafen und St. Pauli treffen, mit zusammen rund 5500 Toten. Im gleichen Zeitraum sterben knapp 30.000 KZ-Häftlinge – allein in Neuengamme.