Bergedorf. Anngret Timmann und Martina Ludwig besuchen ehrenamtlich Menschen, die bald sterben werden. Was sie erleben und weshalb sie sich engagieren.

Der Tod ist für sie kein Tabu-Thema: Anngret Timmann (73) und Martina Ludwig (62), beide aus Kirchwerder, engagieren sich als ehrenamtliche Sterbebegleiterinnen. Sie besuchen regelmäßig todkranke Menschen, sind auch in deren letzten Stunden für sie da.

Wieso die beiden Frauen sich in ihrer Freizeit um sterbende Menschen kümmern? Martina Ludwig macht keine große Sache aus ihrem Engagement: „Meine Freunde engagieren sich ehrenamtlich bei der Feuerwehr oder im Sportverein, aber ich wollte in einem anderen Bereich helfen.“ Sie pflegte vor Jahren schon ihre Oma, als die mit 94 Jahren sterbenskrank war. „Das war eine positive Lebenserfahrung für mich.“ Auch der Tod gehöre zum Leben, betont die verheiratete Frau.

Ehrenamtliche Sterbebegleitung für todkranke Menschen

„Ich bin auf der Erde, um zu lernen und mich weiterzuentwickeln. Durch diese Arbeit lerne ich sehr viel, etwa wie wichtig es ist, zuhören zu können“, sagt Anngret Timmann. Sie hat vor 40 Jahren erstmals von der Hospizbewegung erfahren. „Ich fand das von vornherein gut“, sagt sie. Denn ansonsten will in unserer Gesellschaft niemand mehr etwas mit dem Tod zu tun haben, betont die 73-Jährige. „Alles muss neu, jung, schön und toll sein. Der Tod passt nicht mehr in diese Zeit.“ Früher haben die Menschen in Großfamilien zusammengelebt, sagt Anngret Timmann. „Da gehörte das Sterben der Großeltern dazu. Da wurde deren Zimmertür nicht zugemacht.“

Blick in den Wintergarten des Hospiz am Deich.
Blick in den Wintergarten des Hospiz am Deich. © Lena Diekmann

Die Sterbebegleiterinnen sind für Gespräche da, erklärt die 73-Jährige, „um den pflegenden Angehörigen eine Auszeit zu verschaffen“. „Ich lese auch aus der Zeitung vor, singe, gehe mit dem Betreuten spazieren, höre mit ihm Musik oder spiele mit ihm ein Spiel“, sagt Anngret Timmann. „Pflege zu Hause ist natürlich ein riesiger Aufwand für die Angehörigen, auch wenn der Pflegedienst dreimal täglich vorbeikommt“, sagt die 73-Jährige. Im Hospiz können Profis den kranken Menschen helfen, betont sie. „Die Angehörigen sind dort stets willkommen, können mit im Zimmer des Kranken schlafen, bekommen zu essen.“

Angehörige haben oft Angst, ein Hospiz zu betreten

Den Todkranken nahestehende Menschen sind oft mit der Situation überfordert, berichten die beiden Frauen. „Sie haben Angst, ein Hospiz zu betreten. Vermutlich deshalb sehe ich dort auch so wenig Angehörige.“ Dabei herrsche in dem Haus eine lebendige Atmosphäre, werde auch viel gelacht, erzählt Martina Ludwig. Sie arbeitet in dem Hamburger Hospiz am Deich seit der Betrieb dort im Frühjahr aufgenommen worden ist. Zwei Menschen hat sie bisher dort bis zu deren Tod begleitet.

Katja Fischer (Pflegedienstleiterin) und Bettina Kok (Öffentlichkeitsarbeit) vor dem Hospiz am Deich am Allermöher Deich.
Katja Fischer (Pflegedienstleiterin) und Bettina Kok (Öffentlichkeitsarbeit) vor dem Hospiz am Deich am Allermöher Deich. © Lena Diekmann

„Nicht alle sind alt, wir betreuen auch 20-Jährige“, sagt die Sterbebegleiterin. Ganz junge Menschen können ihre letzte Zeit in Hamburg im Kinderhospiz Sternenbrücke in Rissen verbringen.

Im Hospiz hat manch Sterbender schon Kraft getankt

„In der Regel wissen wir nicht, welche Krankheit der von uns betreute Mensch hat. Wir fragen nicht danach. Wir wissen es nur, wenn es uns die Betreuten von sich aus erzählen“, sagt Martina Ludwig. Derzeit begleitet sie einen älteren Herrn, besucht ihn bis zu dreimal in der Woche. „Aufgrund seiner Erkrankung kann er weder sprechen noch schreiben, die Kommunikation ist also nicht so einfach.“

Deshalb wird viel gespielt: „Ich habe in meinem Leben noch nicht so viel ,Mensch ärgere dich nicht’ gespielt – und selten so viel gelacht“, sagt die 62-Jährige. Oft würden andere Hospizbewohner sich dazusetzen. Der ältere Herr hat im Hospiz Kraft getankt: „Früher brauchte er einen Gehwagen, inzwischen schiebt er andere Rollis“, sagt Martina Ludwig. Die Chemie zwischen Begleiter und Begleitetem muss stimmen, sagt sie. „Das ist wichtig, sonst funktioniert das nicht.“

Die todkranken Menschen wirkten nicht verzweifelt

Anngret Timmann hat schon neben Angehörigen mit am Bett von Todkranken gesessen, die wenige Stunden später gestorben sind. „Lachen hat allen Beteiligten sehr geholfen“, erinnert sie sich. Einmal habe sie einen Senior betreut, der sehr gefasst mit seinem bald bevorstehenden Ende umgegangen ist: „Er hatte genaue Vorstellungen von seiner Beerdigung, hatte sich intensiv mit seinem Sterben auseinandergesetzt.“ Der Krebskranke hat ihr sogar ein Lied vorgesungen, das auf seiner Beerdigung erklingen sollte. Martina Ludwig fügt hinzu: „Die todkranken Menschen, die ich bisher kennengelernt habe, wirkten nicht verzweifelt.“

Heute verlaufe das Sterben anonymer. Freunde, Nachbarn oder sogar Verwandte besuchen Sterbenskranke nicht, weil sie Angst vor der Situation haben, betonen die Frauen „Es wird ja sogar die Straßenseite gewechselt, um nicht mit einem Angehörigen sprechen zu müssen“, sagt Anngret Timmann.

Jede Woche für zwei Stunden präsent

Anngret Timmann hat bereits vor zehn Jahren eine Ausbildung zur ehrenamtlichen Hospizbegleiterin gemacht. Seitdem besuchte sie Todkranke im Heim, im Krankenhaus, im Hospiz oder in deren Zuhause. Im Durchschnitt war sie jede Woche für rund zwei Stunden präsent, „manchmal auch für kürzere Zeit, wenn es für den Kranken zu anstrengend war“, sagt die Rentnerin. Es werden immer Sterbe- und Trauerbegleiter gesucht, betonen die Vierländerinnen, vor allem Männer, denn die seien deutlich unterrepräsentiert.

Anngret Timmann engagiert sich seit Jahren auch im Trauer-Café in Kirchwerder, kümmert sich dort mit weiteren Frauen um Besucher, die den Verlust eines ihnen nahestehenden Menschen verarbeiten wollen. Für diese Arbeit hat sich die 73-Jährige beim Hospizdienst Bergedorf weitergebildet und gerade ein Zertifikat als Trauerbegleiterin erworben.

Wie gut, dass es Menschen wie Martina Ludwig und Anngret Timmann gibt

Martina Ludwig ließ sich im vergangenen Jahr im Hospiz am Deich zur ehrenamtlichen Sterbebegleiterin ausbilden. „Die Qualifikation zog sich über rund 100 Stunden, umfasste auch ein Praktikum in einem Seniorenheim, um den Umgang mit alten Menschen zu lernen“, sagt die ehemalige Blumengärtnerin im Vorruhestand.

Bisher war Anngret Timmann in ganz Bergedorf und Umgebung unterwegs. Nun möchte sie nicht mehr so weite Wege auf sich nehmen und hilfebedürftige Menschen in den Vierlanden besuchen, im Auftrag des Bergedorfer Hospizvereins. „Dort engagieren sich 40 Ehrenamtliche, vor allem Seniorinnen“, sagt sie. Manche Menschen wollten nicht begleitet werden. Doch andere wüssten einfach gar nicht, dass es Sterbebegleiter gibt. Wie gut es da ist, dass es Menschen wie Anngret Timmann und Martina Ludwig gibt, die zeigen, wie gut dieses Engagement tut. Und damit helfen, der Angst die Stirn zu bieten.