Cornelia Schmidt-Hoffmann im großen Interview: Wie sie den Druck vom Immobilienmarkt nehmen will – und was sie noch vorhat.
Es ging alles recht plötzlich: Am 1. Oktober trat Cornelia Schmidt-Hoffmann ihren ersten Arbeitstag als Bergedorfer Bezirksamtsleiterin an. Nun ist die 57-Jährige Sozialdemokratin seit fast 100 Tagen im Amt – Zeit, um erste Eindrücke zu sammeln, Menschen kennenzulernen und Ziele zu festigen. Wir fragen mal nach.
Wo genau sehen Sie Chancen zur Nachverdichtung mit bezahlbarem Wohnraum im Stadtgebiet?
Cornelia Schmidt-Hoffmann: Beispielsweise am Mohnhof, im Stuhlrohrquartier und auch beim Lindwurm am Röpraredder wird reichlich nachverdichtet. Jeder Neubau entlastet den überhitzten Immobilienmarkt insgesamt und nimmt Druck bei den Preissteigerungen auch bei Altbauten. Wir wollen jährlich 800 neue Wohnungen in Bergedorf genehmigen, das haben wir 2021 nicht ganz geschafft, und es sind nur rund 520 geworden. Das liegt aber auch daran, dass nicht alle Bauanträge rechtzeitig eingereicht wurden, mit denen wir gerechnet hatten.
Welche Wünsche und Ideen haben Sie zur Entwicklung der Innenstadt, zur Stärkung des lokalen Einzelhandels?
Wir wollen jetzt für „Bergedorf Now“ den konkreten Projektvorschlag ausarbeiten und als Antrag für die Bundesförderung einreichen. Dann hätten wir 645.000 Euro plus 200.000 Euro Eigenfinanzierung für ein dreijähriges Programm, das ein Innenstadt-Management umfasst. Das wird sich die Struktur unserer City und die Leerstände mit ihren Ursachen ansehen und mit den Akteuren der Wirtschaft und den Eigentümern ein Konzept für eine Belebung entwickeln. Die ehemaligen Karstadt-Häuser machen die Fußgängerzone nicht unbedingt schöner. Aber wir wissen ja, dass die Eigentümer offen für Veränderungen sind und eine bauliche Entwicklung planen. Insoweit haben wir die Chance, dass im Idealfall durch einen Mix von Wohnen, Gastronomie und Handel die Fußgängerzone zu einem attraktiven Aufenthaltsort wird, der Besucher anzieht. Anfang 2022 setzen wir zunächst auf eine kreative Zwischennutzung für Handwerker und auch Künstler. Auch dies wird durch das Geld der Förderprogramme für die Innenstadtentwicklung ermöglicht werden. Jedenfalls müssen wir schnell damit starten, um zu verhindern, dass ein Leerstand den nächsten anzieht.
Wie lässt sich Bergedorf für Studenten/jüngere Leute attraktiver gestalten? Was soll aus dem heutigen HAW-Standort werden?
Bis zum Umzug der HAW nach Oberbillwerder bleibt der Standort in Lohbrügge ja genutzt. Für diesen Umzug aber benötigt die Uni zunächst einmal im nächsten Haushalt Planungsmittel. Aber sicher wäre das für Studenten sehr attraktiv, wenn sie direkt vom Hörsaal in ein Café laufen könnten, das im Stadtteil angebunden ist, wo es auch ein schönes Restaurant und eine Musikkneipe gibt. Was an der Lohbrügger Kirchstraße passiert, wissen wir noch nicht – aber es wird keine Lösung im Hinterzimmer geben, sondern einen öffentlichen Diskurs. Insgesamt sollten wir in Bergedorf nicht den Anspruch haben, hier ein zweites Schanzenviertel zu bauen. Das würde nicht funktionieren, denn die Menschen, die dies mögen, würden immer das gewachsene Original vorziehen. Wenn es in unserer Innenstadt aber mehr bezahlbare Wohnungen gäbe und eine vielfältige Gastronomie, würden sicher eher jüngere Leute hier bleiben wollen.
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Welches Thema, für das der Bezirk verantwortlich ist, hat Sie überrascht?
Spielplätze, nicht das Thema an sich. Überrascht hat mich, wie schwierig der Bau von Spielplätzen sein kann, wenn man zwar eine Fläche hat, diese aber der falschen Dienststelle der Stadt gehört. Die Fläche in Fünfhausen müsste dem Bezirk gehören, es reicht nicht, dass sie der Stadt gehört. Jetzt müssen wir sie „kaufen“ oder gegen eine andere Fläche tauschen, die aber denselben Wert haben müsste. Darüber müsste man eigentlich lachen, wenn es nicht so ärgerlich wäre.
Wie lässt sich die Baustellen-Koordination zwischen Bezirk und LSBG optimieren?
Das ist eine sehr gute Frage. Aber wir haben nun mal eine alte Infrastruktur und werden daher auch noch sehr viele Baustellen haben, die sich manchmal überschneiden, weil die eine noch nicht fertig wurde, während die nächste schon beauftragt ist. Da muss man dann durch. Es bleibt ein schwieriges Thema, aber immerhin ist der Sander Damm wieder frei, der ja eine wirklich sehr große Belastung war.
Welches ist Ihr wichtigstes Anliegen im neuen Nachbarschaftsforum?
Da geht es um Siedlungenentwicklungen und Verkehrsbeziehungen über die Landesgrenzen hinweg. Es bietet auch die Chance, über die Realisierung einer Umgehungsstraße zu sprechen. Aber da habe ich keine großen Erwartungen, daran hat sich mein Vorgänger schon die Nase gestoßen.
Wie könnte in Bergedorf eine Tagesaufenthaltsstätte für Obdachlose konstant gefördert werden?
Tatsächlich hat das Bezirksamt hierfür kein Geld. Tagesaufenthaltsstätten liegen in der Zuständigkeit der Sozialbehörde. Der erforderliche Betrag müsste im Haushaltsplan berücksichtigt werden. Vor Ort müsste dann ein Standort gefunden werden, der zentral genug ist, um von den obdachlosen Menschen angenommen zu werden, der gleichzeitig einen Rückzugsort bietet und der innerhalb der Gesellschaft akzeptiert wird. Wir haben das mit der Bezirkspolitik im Blick.
Welche Angebote für Kinder und Jugendliche müssen in der Pandemie verstärkt werden?
Das ist ein bisschen mein Herzensthema, weil mit der Pandemie die Kinder und Jugendlichen jetzt dringend Hilfen brauchen. Allerdings haben wir hier nur einen sehr engen Handlungsspielraum, der von den Hamburger Rahmenzuweisungen abhängt. Ich würde gern unseren jugendpsychiatrischen Dienst ausbauen und dessen Beratungsmöglichkeiten stärken. Aber derzeit fehlen uns Ärzte, eine Stelle ist schon seit Jahren unbesetzt. Daher werden wir jetzt mit Psychologen besetzen statt Psychiater zu suchen, die für den öffentlichen Dienst schwer zu gewinnen sind. Wir hätten gern zwei bis drei Psychologen mehr, die Termine anbieten und in Einrichtungen gehen können. Schlimm ist, dass wir zum Jahresende das marode Clippo Boberg schließen mussten. Hoffentlich können wir den Jugendlichen schon 2022 eine neue Bleibe am bisherigen Standort bieten. Außerdem habe ich mir fest vorgenommen, im April mit der Kinder- und Jugend-Sprechstunde zu starten – bei mir im Amtszimmer oder auch gern direkt in den Schulen. Ich plane zunächst einmal vier Termine ein.
Welchen Einfluss kann Bergedorf bei der Gestaltung von Oberbillwerder geltend machen?
Wir sind, das kann man nicht leugnen, bei der Planung von Oberbillwerder großen Erwartungen ausgesetzt. Aber den Bebauungsplan stellt immer noch der Bezirk auf. Die IBA als Realisierungsträger muss die Gutachten beauftragen, aber wir wir haben die Aufgabe, mit den Menschen vor Ort über deren Bedarfe zu sprechen, und richten das B-Planverfahren daran aus. Das Bezirksamt will die umliegenden Stadtteile anbinden, damit es wirklich eine „connected city“ wird. Zudem können wir Anforderungen formulieren, etwa wie das neue Schwimmbad aussehen soll: Soll es ein Miniaturbad werden nur für ein paar Sportvereine oder lieber – wie es die Bergedorfer Politik fordert – sechs Bahnen haben und ein Reha-Becken dazu? Auf jeden Fall wird in Oberbillwerder tagsüber mehr Leben sein, schon weil es ein Universitätsstandort werden wird und weil es mehr Arbeitsplätze bietet als Neuallermöhe. Wir werden unbedingt darauf achten, dass Gewerbe in den Erdgeschossen Platz findet.
Wo gibt es noch Autoparkplätze in der Bergedorfer City? Ist als Alternative zum Frascatiplatz ein neues Parkhaus geplant?
Mir wurde ja gesagt, dass es einige Tausend Parkplätze in der Innenstadt gebe, das hätte ich nicht gedacht. Jedenfalls gehören Autos auch zur Mobilität dazu, und wir dürfen nicht alle Parkplätze wegplanen. Denkbar wäre ein Mobility Hub auf dem Frascatiplatz oder unterirdische Parkplätze unter den ehemaligen Karstadt-Häusern.
Was ist zu tun, um die Schlangen bei der Bergedorfer Tafel zu verkürzen? Welche Hilfen brauchen Notleidende in unserem Bezirk?
Da setze ich meine Hoffnungen auf große politische Veränderungen, also auf die Anhebung des Mindestlohns und die Einführung der Kindergrundsicherung, die etwas bewegen und bewältigen könnte.
Wie zügig ist die ausstehende Sanierung kommunaler Gebäude denkbar?
Wir haben wirklich viele Häuser, die sanierungsbedürftig sind. Und anders als eine Wohnungseigentümergemeinschaft bildet der Staat ja für Instandhaltungen keine Rücklagen, die uns jetzt zur Verfügung stünden. Wir müssen die Gebäude aber unbedingt energetisch sanieren, nach und nach in diesem Jahrzehnt – sonst laufen uns auch die Betriebskosten davon. Auf jeden Fall wollen wir 2022 die Sanierung des KulturA abschließen und mit einem Ersatzbau für den Boberger Jugendclub starten.
Ist ein Gesundheits-Kiosk in Lohbrügge nach Billstedter Vorbild realistisch? Wie lässt sich der Ärztemangel im Bezirk beheben?
Für einen solchen Kiosk haben sich keine Bewerber gemeldet, das Projekt müsste aber ja auch von den ansässigen Ärzten unterstützt werden. Wir müssen unbedingt etwas gegen den Hausärzte-Mangel tun, da werde ich in diesem Jahr mit der Kassenärztlichen Vereinigung das Gespräch suchen.
Wie, glauben Sie, lässt sich der Charme der Vier- und Marschlande bewahren?
In unserem besonderen Bezirk gehören die Vier- und Marschlande sehr identitätsbildend dazu. Sie sind ein Ausflugsziel für viele Hamburger, aber eben kein Freiluftmuseum und kein abgeschlossenes Naturschutzgebiet. Wir wollen die touristische Infrastruktur ankurbeln, aber auch Wohnen und Arbeiten müssen möglich bleiben – mit einer besseren Mobilität: Im neuen Jahr stellen wir die Ergebnisse der Neuengammer Mobilitätskonferenz vor. Prägend für das Landgebiet ist zudem das hohe ehrenamtliche Engagement. Und da der Festplatz in Kirchwerder fehlt, sollten wir eine klare Perspektive bekommen, endlich wieder einen Platz für Veranstaltungen zu haben, damit Schützenfest und Erntedankfest wieder wie gewohnt stattfinden können.
Welche menschliche Begegnung hat Sie besonders nachdenklich gemacht?
In der Woche des Gedenkens gegen das Vergessen der Verbrechen der Nationalsozialisten hat mich die Ansprache von Ernst Heilmann sehr gerührt, der über das Schicksal seines Großvaters gesprochen hat. Es ist so wichtig, dieses monströse Unrecht in unserer deutschen Geschichte immer wieder zu dokumentieren. Das hat mich auch an meinen eigenen Großvater erinnert, der als Kommunist verfolgt worden ist.
Bergedorf ist ein engagierter Bezirk. Welcher Einsatz hat Ihnen in der letzten Zeit am meisten imponiert?
Mir imponiert jeder ehrenamtliche Einsatz, denn er bedeutet, dass Menschen selbstlos ihre Zeit und ihre Persönlichkeit und manchmal dabei auch ihre Gesundheit in den Dienst der Gemeinschaft stellen. Besonders beeindruckt hat mich am 5. Dezember ein Einsatz der Freiwilligen Feuerwehr am Kirchwerder Elbdeich, denn es bestand der Verdacht, dass mehrere Einsatzkräfte mit dem hochgiftigen Pflanzenschutzmittel E 605 in Kontakt gekommen sind. Die Bereitschaft, die eigene Gesundheit in unserer aller Interesse zu riskieren, können wir nicht genug würdigen.
Wo fühlen Sie sich machtlos?
Immer, wenn das Wohl von Kindern betroffen ist. Aber man kann leider nicht immer sehen, wenn es Kindern nicht so gut geht.
Wenn Sie zusätzlich fünf Millionen Euro für den Bezirk bekämen. . . würde der größte Batzen wo landen?
Ich würde gern in Bergedorf eine Tagesaufenthaltsstätte für Obdachlose eröffnen, das Spielplatz-Grundstück in Fünfhausen kaufen und ein Haus für die psychische Gesundheit gründen, vielleicht in Oberbillwerder. Aber ich fürchte, da reichen fünf Millionen Euro nicht.
Wie wird in Bergedorf gefeiert, wenn die Pandemie überstanden ist?
Mit einem großen, bunten Fest im Rathauspark – das verspreche ich meinen Mitarbeitern und allen Bergedorfern!