Hamburg. Im Sommer bekamen Studierende die Kündigung. Nun plant Stiftung den Bau von Wohnungen – für Senioren und Studierende.
Uralte Heizungen und Sanitäranlagen mit einer Toilette für zwölf Personen: „Eigentlich müsste man das ganze Ding wegmöbeln“, hatte Bergedorfs ehemaliger Baudezernent Uwe Czaplenski einmal schulterzuckend gesagt, der selbst vor 40 Jahren im Studentenwohnheim an der Billwiese 22 in Bergedorf wohnte. Bald könnte sein Wunsch in Erfüllung gehen.
Eigentlich war der Abrissbagger tabu, schließlich steht das im Februar 1970 eingeweihte Gebäude unter Denkmalschutz. Zugleich hatte aber die Feuerwehr große Sicherheitsbedenken, weil in den Fluren Rauchabschlüsse fehlen, die drei Etagen offen miteinander verbunden sind, von außen zudem ein zweiter Rettungsweg fehlt. Im Sommer 2021 bekamen 190 Studenten die Kündigung und mussten sich schnell eine neue Bleibe suchen.
Wohnungsbau in Bergedorf: Studentenwohnheim wird abgerissen, Neubau entsteht
Eine Zwickmühle für den Betreiber, die Johann-Carl-Müller-Stiftung. Sie wollte eigentlich modernisieren, doch die Sanierung des Hauses würde 18 bis 20 Millionen Euro kosten – mögliche Asbestfunde noch nicht einkalkuliert. Eine Erhaltung jedoch sei der Stiftung nicht möglich, betonte Rolf Wolgast, seit 20 Jahren Kuratoriumsvorsitzender: „Wir liegen wirtschaftlich bei plus/minus null und sind in der blöden Situation, dass wir unser Vermögen erhalten müssen.“
Kurz vor Weihnachten nun konnte sich Wolgast über städtische Post freuen: „Wir sind glücklich davongekommen, denn unserem Abbruchantrag wurde stattgegeben.“ Jetzt wolle er gemeinsam mit dem Bezirk die Neugestaltung der Fläche entwerfen, denn laut Wohnungsbauprogramm sind auf dem 1,22 Hektar großen Grundstück 140 Wohnungen möglich – für Jung und Alt: „Wir möchten natürlich wieder ein Studentenwohnheim errichten, dazu aber auch Service-Wohnen für Senioren, die durch einen ambulanten Dienst betreut werden“, erklärt Wolgast, der seinen Blick auch in die Nachbarschaft richtet: Nebenan wurde gerade erst die alte Förderschule abgerissen, um Platz zu machen für ein sechstes Gymnasium in Bergedorf.
Das Studentenwohnheim in Bergedorf wird von der Denkmalschutzliste gestrichen
Wie aber kommt es, dass das „sozialhistorische Zeugnis“ plötzlich nicht mehr so schützenswert ist? Erst im August 2019 hieß es, die vielen Glasbausteine und vor allem die Sichtbetonweise seien schützenswert – ähnlich wie bei der Hochschule in Lohbrügge, die ebenfalls einem Entwurf des Architekturbüros Graaf, Schweger & Partner entstammt. „Die Erhaltung des Wohnheims liegt aus historischen und architekturhistorischen Gründen im öffentlichen Interesse“, hatte Marianne Kurzer, die Pressereferentin der Hamburger Kulturbehörde, erklärt: „Der hohe architektonische Anspruch, der sowohl der Bauaufgabe des Wohnheims als auch der Hochschule beigemessen wird, dokumentiert die Bedeutung von Bildungsbauten in den 1960er/70er-Jahren.“
Daher wurde der Abbruchantrag vom Februar 2021 zunächst abgelehnt, die gemeinnützige Stiftung legte Widerspruch ein, denn „der Denkmalschutz steht nicht immer über jedem öffentlichen Interesse“, argumentierte Rechtsanwalt Dr. Ronald Steiling. Mit Erfolg: Das Studentenwohnheim mitsamt seiner Freifläche wird jetzt aus der Denkmalliste gestrichen.
„Wir bedanken uns herzlich beim Bezirksamt und der Denkmalpflege, die waren sehr fair und einsichtig“, lobt Rolf Wolgast: „Der Denkmalschutz wurde zurückgestellt, alles andere hätte uns wirtschaftlich überfordert.“ Nun wolle er „frohen Mutes“ an die Neubauplanungen gehen, damit an der Billwiese nicht über Jahre hinweg ein Geisterhaus steht: Schon 2023 könnte gebaut werden.
HAW in Lohbrügge könnte ähnliches Schicksal widerfahren
Und manch ein Lohbrügger ahnt, dass der Hochschule für Angewandte Wissenschaften eines Tages ein ähnliches Schicksal an der Lohbrügger Kirchstraße widerfahren könnte. Denn auch dieses Gebäude von Graaf, Schweger & Partner steht unter Denkmalschutz und ist extrem sanierungsbedürftig. Ob der akademische Kasten dort auch als „sozialhistorisches Zeugnis“ unbedingt erhaltenswert ist – darüber scheiden sich die Geister. Und noch längst ist nicht entschieden, was in Lohbrügge passiert, wenn die Studenten nach Oberbillwerder umziehen.