Hamburg. Kurz vorm Fest gab es wichtige Entscheidungen zu Haushalt, Bildung, Klima, Eimsbüttel und Cum ex. Was Scholz und Tschentscher droht.

Weihnachten – das ist für die einen die schönste Zeit des Jahres und für andere purer Stress. Geschenke besorgen, Feiern planen, die Schwiegermutter betüddeln und dann auch noch im Job den Jahresabschluss erstellen oder Schrauben zählen für die Inventur – das kann einem schon mal zu viel werden.

Auch in Politik und Verwaltung bricht gegen Jahresende oft noch Hektik aus, weil Gesetze und Verordnungen zum 1. Januar stehen müssen oder unbedingt noch eine frohe Botschaft vor den Feiertagen verkündet werden soll. In Hamburgs Behörden grassierte früher sogar das „Dezemberfieber“: Dann musste auf Teufel komm’ raus das letzte Geld ausgegeben werden, damit ja am Jahresende nichts übrig bleibt – sonst hätte die Finanzbehörde ja denken können, dass im nächsten Jahr etwas weniger reicht. Also wurden notfalls kistenweise Bleistifte oder tonnenweise Druckerpapier geordert.

Haushalt, Bildung, Klima, Cum ex: Was kurz vor dem Fest noch entschieden wurde

Mittlerweile gilt das Dezemberfieber als ausgerottet, denn seit etlichen Jahren dürfen Haushalts-„Reste“ auf das kommende Jahr übertragen werden. Im Prinzip eine gute Sache, die aber einen Haken hat: So wie sich im echten Leben die Umzugskartons auf dem Dachboden stapeln, sammeln sich auch die Reste im Haushalt an: Mehr als vier Milliarden Euro an früher genehmigten, aber noch nicht getätigten Ausgaben schiebt die Stadt vor sich her – „bedenklich“, findet der Rechnungshof.

Dafür wurde der Haushalt für die kommenden beiden Jahre rechtzeitig vor Weihnachten verabschiedet. War die Planung für 2021/22 noch in die Wirren der Corona-Pandemie und der Regierungsbildung geraten und daher erst tief im Jahr 2021 beschlossen worden, lief dieses Mal alles planmäßig. Als Mitte Dezember nach drei Tagen Beratung spät am Abend ein letztes Mal die Arme von SPD- und Grünen-Abgeordneten in der Bürgerschaft gehoben wurden (die der Opposition natürlich nicht), sah man Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) die Erleichterung an: Das wäre erstmal geschafft, der 37-Milliarden-Euro-Rahmen steht. Doch es wird nur ein kurzes Durchschnaufen: Kommendes Jahr beginnt schon die Planung für 2025/26.

Bildungspläne: Ein Meilenstein sorgt für Diskussion

Einen noch größeren Meilenstein hat Schulsenator Ties Rabe (SPD) am Montag erreicht, als er die finale Version der neuen Bildungspläne vorstellte, die vom Sommer 2023 an gelten sollen. Anders als in der Finanzpolitik werden die Vorgaben, was an den Schulen zu lehren ist, nämlich nicht alle zwei, sondern nur etwa alle zehn Jahre überarbeitet. Im Unterschied zum Haushalt werden Bildungspläne nicht von der Bürgerschaft beschlossen und haben keinen Gesetzesrang, sondern den Charakter einer Anordnung des Senators.

Gemeinsam ist Haushalts- und Bildungsplänen allerdings, dass sie stets heftig umstritten sind. Rabe erster Entwurf im März hatte wegen der deutlich stärkeren Fokussierung auf Leistung noch einen Sturm der Entrüstung – auch vom grünen Koalitionspartner – ausgelöst und dem Schulsenator einige Hausaufgaben beschert. Mehr als 200 Stellungnahmen mit Verbesserungsvorschlägen mussten bearbeitet werden. Bis zur finalen Präsentation am Montag hatte Rabe etliche Positionen verändert, etwa die verpflichtende Zahl von Klausuren wieder reduziert.

Beim Klimaplan geht der Streit erst richtig los

Doch ganz beendet ist das Thema damit noch nicht: Denn Eltern-, Schüler- und Lehrerkammer beklagten lautstark, dass sie sich zwar zu den Entwürfen äußern durften, die endgültigen Bildungspläne ihnen aber noch vorenthalten wurden. Da ist also über die Feiertage Lektüre von hunderten Seiten angesagt – und 2023 dürfte das Thema erneut hochkochen.

Beim Klimaschutz ist das in gewisser Hinsicht sogar beabsichtigt. Denn das, was Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) am Dienstag sehr ausführlich im Rathaus vorgestellt hat, war noch nicht die seit langem erwartete Fortschreibung des städtischen Klimaplans, sondern zunächst nur die Eckpunkte dafür.

Wirtschaft warnt vor „Deindustrialisierung“

Anders ausgedrückt: Der Senat hat sich zwar darauf verständigt, in welchen „Sektoren“ die CO2-Emissionen so stark gesenkt werden können, dass die Stadt bis 2045 – fünf Jahre schneller als bislang vorgesehen – praktisch klimaneutral funktioniert. Er hat auch ein ganzes Bündel an Maßnahmen benannt, die das ermöglichen sollen: von der energetischen Gebäudesanierung über die Förderung von grünem Wasserstoff als Energieträger bis zur bekannten Mobilitätswende hin zu mehr Fuß-, Rad- und Nahverkehr. Aber er hat sich noch nicht im Detail festgelegt, welche konkreten Schritte gegangen werden sollen. Die Debatte ist also eröffnet.

Dabei gilt: Auf all diesen Feldern gibt es bereits ein mehr oder weniger großes Engagement. Nun geht es darum, wo noch wie viele Schippen drauf gelegt werden müssen, und das ist naturgemäß umstritten. So warnte der Industrieverband Hamburg umgehend vor „einer massiven Deindustrialisierung“, während Kerstan beschwichtigte, er wolle überhaupt kein Unternehmen aus Hamburg vertreiben, im Gegenteil. Die Stadt wolle zum Beispiel deren Abwärme stärker nutzen, was den Betrieben neue Einnahmen erschließe. Ob man sich da einig wird? Die Zeit drängt jedenfalls: Bis Mitte des Jahres soll der neue Klimaplan stehen.

Cum ex: „Freispruch erster Klasse“ für Scholz und Tschentscher

Eine ziemlich abschließende Entscheidung dürfte dagegen für Aufatmen im Rathaus und im Bundeskanzleramt gesorgt haben. Die Staatsanwaltschaft Köln hat jüngst entschieden, dass sie in Zusammenhang mit den Cum-ex-Geschäften der Warburg-Bank keine Ermittlungen gegen Bundeskanzler Olaf Scholz und Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher aufnehmen wird – weil gegen die beiden Sozialdemokraten nicht mal ein Anfangsverdacht bestehe.

Das war einerseits erwartbar, da es auch in Hamburg bereits diverse Strafanzeigen in der Sache gegen Scholz und Tschentscher gegeben hatte, die ebenfalls alle nicht zu Ermittlungen geführt hatten. Andererseits war es bemerkenswert, denn Kritiker hatten den Strafverfolgern in der Hansestadt vorgeworfen, sie gingen zu lasch mit der Politik um und ihre Hoffnung in die Kölner Ermittler gesetzt. Die haben in Sachen Cum ex die bundesweite Federführung und treten zumindest im Fall Warburg äußerst unnachgiebig auf.

Ein früherer Mitarbeiter des Bankhauses wurde verurteilt, und gegen den Mitgesellschafter Christian Olearius wurde inzwischen Anklage erhoben. Daher hatte der Hamburger Anwalt Gerhard Strate auch in Köln eine Strafanzeige eingereicht.

Warum Scholz und Tschentscher Ungemach droht

Dass nun auch diese Staatsanwaltschaft, der sämtliche Akten und Mails aus den Jahren 2016/17 vorliegen, keinerlei Anzeichen dafür sieht, dass der damalige Finanzsenator und heutige Bürgermeister sowie sein Vorgänger sich in unzulässiger Weise in die Causa Warburg eingemischt haben, sei „ein Freispruch erster Klasse“, sagt ein Parteifreund der beiden.

Allerdings auch hier mit zwei Haken. Erstens betrifft die Entscheidung nur den Hauptvorwurf der Beihilfe zur Steuerhinterziehung. Strates zweiter Vorwurf, Scholz habe vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) der Bürgerschaft falsch ausgesagt, wurde von den Kölner Ermittlern an die Kollegen in Hamburg abgegeben – das könnte also noch ein Nachspiel haben.

Zweitens will der von CDU und Linkspartei eingesetzte PUA ja noch ermitteln, ob sich die Politik bei den Cum-ex-Geschäften der früheren HSH Nordbank die Finger schmutzig gemacht hat. Das dürfte das ganze Jahr 2023 in Anspruch nehmen, vielleicht auch erst 2024 abgeschlossen werden. Dann sind übrigens Bezirkswahlen, und Anfang 2025 Bürgerschaftswahl – ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Absurd: Eimsbüttel zwei Jahre führungslos?

Ein zumindest vorläufiges Ende hat kurz vor Weihnachten auch das Gezerre um die Leitung des Bezirksamts Eimsbüttel gefunden – mit dem absurden Ergebnis, dass die Behörde mit ihren 1000 Mitarbeitern voraussichtlich zwei Jahre lang überhaupt keine Führung haben wird. Das kam so: Nachdem die Grünen, die in der Bezirksversammlung seit 2019 mit Abstand stärkste Kraft sind, zwei Mal daran gescheitert waren, gemeinsam mit der CDU den Amtsinhaber Kay Gätgens (SPD) durch eine Grüne zu ersetzen, sollte es nun doch wieder – wie in den 20 Jahren vor 2019 – eine Zusammenarbeit mit der SPD geben.

Der „Kooperationsvertrag“ war fertig ausgehandelt und sah unter anderem vor, Gätgens, dessen Amtszeit am 5. Januar ausläuft, noch einmal wiederzuwählen – aber mit der ausdrücklichen Option, nach der Wahl im Mai 2024 im Lichte der neuen Mehrheitsverhältnisse gegebenenfalls eine andere Person zu wählen. Doch im letzten Moment sah eine knappe Mehrheit der Grünen-Fraktion nicht mehr ein, warum sie als stärkste Kraft einen SPD-Mann wählen sollten, zumal ihnen das inhaltliche Entgegenkommen der roten Seite vor allem im Verkehrsbereich deutlich zu knauserig war. Da half es auch nicht, dass der Bezirksamtsleiter passionierter Radfahrer und für grüne Themen durchaus aufgeschlossen ist.

Nun ist das Entsetzen bei den Führungsfiguren auf beiden Seiten groß. Gätgens ist in ein paar Tagen weg und seine Stellvertreterin Sonja Böseler muss seinen herausfordernden Job nebenbei mit ausfüllen, vermutlich mindestens bis Herbst 2024. Wie es dann weitergehen soll? Völlig offen. Aber erstmal kommt ja 2023...