Hamburg. Die beerdigte HSH Nordbank kehrt auf die Bildfläche zurück. PUA und Staatsanwaltschaft interessieren sich für eine zentrale Frage.

Am 28. November 2018 um 12.26 Uhr ging ein Aufatmen durch das Hamburger Rathaus. Zu dem Zeitpunkt erreichte Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) und seine schleswig-holsteinische Amtskollegin Monika Heinold (Grüne) die erlösende Nachricht auf dem Handy, dass exakt 996.996.000 Euro auf einem Konto der Länder eingegangen sind: fast eine Milliarde Euro, der Kaufpreis für die HSH Nordbank, vor allem von US-Investoren überwiesen.

Mehr erleichtert als erfreut sagte Dressel damals: „Die HSH bleibt ein Mahnmal für verantwortungslose Finanzpolitik.“ Und Heinold räumte ein, dass sie sich erst mal daran gewöhnen müsse, nicht mehr für dieses „Milliardengrab“ verantwortlich zu sein.

Cum-Ex: HSH Nordbank wieder im Fokus

Zur Erinnerung: Die kleine Landesbank hatte sich zum größten Schiffsfinanzierer der Welt aufgeschwungen und dabei völlig übernommen, sie hatte in windige Immobiliendeals rund um den Globus investiert und Skandal an Skandal gereiht. Am Ende blieben für die beiden Bundesländer trotz des Verkaufs nichts als Ärger und Milliarden-Schulden. Und ausgerechnet diese HSH steigt nun wie ein Zombie aus ihrem Grab. Der parlamentarische Untersuchungsausschuss (PUA) zu den Cum-Ex-Geschäften der Warburg-Bank, der ursprünglich mit der Vernehmung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vor einer Woche hätte beendet werden sollen, soll nun doch fortgesetzt und erweitert werden – eben auf die Cum-Ex-Geschäfte der HSH.

Denn sowohl im PUA als auch bei der Staatsanwaltschaft Köln, die bundesweit in Cum-Ex-Fällen ermittelt, tauchte der Name der früheren Landesbank immer häufiger auf. Bereits 2021 hatten die Ermittler das Nachfolge-Institut Hamburg Commercial Bank (HCOB) durchsuchen lassen – gegen das selbst kein Verdacht besteht.

HSH zahlte 127 Millionen Euro zurück

Letztlich geht es um die Frage, ob das, was die HSH 2013 selbst eingeräumt hatte, wirklich alles war. Damals hatte sie mitgeteilt, dass die Kanzlei Clifford Chance in ihrem Auftrag die Cum-Ex-Deals untersucht habe. Laut dem Zwischenbericht mit dem Titel „Saturn“ wurden für 2008 bis 2011 insgesamt „29 Transaktionen identifiziert“, bei denen insgesamt rund 112 Millionen Euro an Kapitalertragsteuern zu Unrecht erstattet wurden. Das war der einzige Zweck von Cum-Ex-Geschäften: sich mithilfe komplexer Aktiendeals vom Fiskus Steuern erstatten zu lassen, die man nie gezahlt hat. Inklusive Zinsen zahlte die HSH später 127 Millionen Euro zurück.

„Erschreckend“, nannte der damalige Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD) das Ausmaß des Betrugs und kündigte an, man werde den Bericht „intensiv prüfen und die erforderlichen Konsequenzen ziehen“. Doch ist das wirklich geschehen? Oder hat der Senat hingenommen, was die HSH ihm erzählt hat? Und wollte er möglicherweise im Jahr 2016 mit Warburg deswegen nachsichtig umgehen und auf eine Steuer-Rückzahlung von 47 Millionen Euro verzichten, weil man mit der HSH ähnlich verfahren war?

Opposition beantragt Erweiterung des PUA

Solche Fragen würde vor allem die Opposition dem heutigen Bürgermeister und anderen Beteiligten gern stellen. Aber im derzeitigen PUA ist das nicht möglich, weil er nur den Auftrag hat, die Causa Warburg zu untersuchen. Daher haben CDU, Linke und die FDP-Abgeordnete Anna von Treuenfels-Frowein nun die Erweiterung beantragt.

Während bei Scholz und Tschentscher der Verdacht, dass sie politisch Einfluss auf den Fall Warburg genommen haben, trotz vieler Indizien bislang nicht belegt werden konnte, ist die Einflussnahme im Fall der PUA-Erweiterung offensichtlich: Es waren die Anwälte der Warburg-Bank und ihrer Gesellschafter, die die Abgeordneten mehrfach aufgefordert hatten, sich doch bitte auch die frühere Landesbank vorzuknöpfen.

Jeder Steuerfall ist geheim

Am deutlichsten wurden Peter Gauweiler und Thomas Fischer als Rechtsbeistände von Christian Olearius und Max Warburg am 3. Juni: In einer Erklärung, die sie im PUA verlasen, bezeichneten sie die Ausklammerung der HSH als „nicht vertretbar“ und drohten damit, der Befreiung der Zeugen vom Steuergeheimnis nicht mehr zuzustimmen.

Dazu muss man wissen: Jeder Steuerfall ist geheim und dürfte nicht in öffentlicher Sitzung behandelt werden – es sei denn, die Betroffenen befreien die Zeugen vom Steuergeheimnis. So geschieht es zu Beginn jeder PUA-Sitzung. Man sei gewillt, dies auch weiter zu tun, trugen die Anwälte vor, könne die bisherige Praxis „aber nur schwerlich aufrechterhalten“, wenn der Fall HSH Nordbank „unausgeleuchtet bleibt“. Auch daher entschieden sich CDU und Linke für die Erweiterung. Es gab schon subtilere Fälle von Erpressung.

HCOB will bei PUA "bestmöglich mitwirken"

Und die HSH? Wie die Nachfolgerin HCOB auf Abendblatt-Anfrage mitteilte, seien im 2014 an die Finanzbehörde übergebenen Schlussbericht von Clifford Chance „sämtliche von der HSH Nordbank AG durchgeführten Cum/Ex-Geschäfte aufgeführt, einschließlich zweier Transaktionen im Jahre 2006. Die diese beiden Geschäfte betreffenden Steuern in Höhe von 21.100 Euro hat die Bank ebenfalls an das Finanzamt zurückbezahlt.“

Diese Information, über die das ZDF zuerst berichtet hatte, überrascht, denn in der Mitteilung von Dezember 2013 hieß es noch, es habe „keinerlei Auffälligkeiten in den Jahren 2006 und 2007“ gegeben. Offensichtlich gibt es also Differenzen zwischen dieser Mitteilung auf Basis eines Zwischenberichts und dem dann später übergebenen Abschlussbericht -- den die Bürgerschaft bislang nicht kennt. Die HCOB betonte, man würde „auch in einem etwaigen Untersuchungsausschuss bestmöglich mitwirken“.

PUA enorme Belastung für Fraktionen

„Etwaig“ trifft es – und auch wieder nicht. Denn einen PUA gibt es ja schon. Doch möglich ist auch, dass es einen zweiten geben wird, mit Schwerpunkt HSH. Diese Vorstellung wabert wie ein Gespenst durchs Rathaus. Denn so ein Untersuchungsausschuss ist eine enorme Belastung für die Fraktionen, vor allem für die kleineren. Es muss Personal eingestellt werden, Tausende Seiten Akten gewälzt und Hunderte Stunden in Sitzungen verbracht werden. Die Kosten dafür liegen schnell bei mehr als einer Million Euro.

Dass dieses Szenario dennoch nicht ausgeschlossen ist, liegt an der ungewöhnlichen Genese des Erweiterungsantrags. Ursprünglich war es Norbert Hackbusch von der Linkspartei, der sich schon im Juni Gedanken darüber gemacht hatte. Über den Sommer klinkte sich dann auch die CDU ein und legte ein ausformuliertes Papier vor.

CDU reicht dritte Fassung des Antrags ein

Mitte August erreichte eine Neufassung das Parlament, auf der nun auch die Links-Fraktion sowie Treuenfels-Frowein als Antragsteller vertreten waren. Die SPD meldete schon damals Bedenken an: Der Antrag gehe für eine Erweiterung viel zu weit und sei zu unkonkret. Außerdem wunderte man sich bei Rot-Grün über einen merkwürdigen Passus: Sollte die Erweiterung nicht zustande kommen, solle die Bürgerschaft ersatzweise einen neuen PUA beschließen.

„Sollen sie doch!“ So wird die Stimmung in der SPD-Fraktionssitzung am Montag dieser Woche beschrieben. Bei den Grünen wollte man die Erweiterung dagegen unterstützen. Von Streit in der Koalition war die Rede. Am Dienstag war man dann wieder vereint im Ärger über die CDU: Die reichte nämlich keine 24 Stunden vor der Bürgerschaft eine dritte Fassung des Antrags ein.

Cum-Ex-Deal: Thema HSH wird wieder aufgenommen

Darin war zwar die Drohung mit dem PUA II nicht mehr enthalten, aber den Sozialdemokraten reichte es jetzt endgültig. So kurzfristig könne man nicht über so ein heikles Thema beraten. Doch erst unmittelbar vor der Bürgerschaftssitzung am Mittwoch plädierte Rot-Grün dann für einen Mittelweg: Das Papier wird zur Prüfung in den Verfassungsausschuss überwiesen. CDU-Fraktionschef Dennis Thering schäumte und warnte die Sozialdemokraten vor „juristischen Winkelzügen“. Man werde das Thema HSH so oder so aufklären.

Inzwischen haben sich die Wogen etwas geglättet. Schon am Donnerstag wird der Antrag im Ausschuss beraten. Eventuell wird man später externe Experten befragen, welche Rechte die Minderheit im Parlament hat und wie weit eine PUA-Ergänzung gehen darf, den Antrag dann etwas anpassen und ihn beschließen. In einigen Monaten wird dann das „Milliardengrab“ HSH Nordbank noch einmal geöffnet. Mit dieser Exhumierung hatte am Tag des Verkaufs niemand gerechnet.