Hamburg. Nach dreitägigen Beratungen: Bürgerschaft beschließt Haushalt 2023/24. Schlagabtausch zwischen Rabe und Opposition.

Wenn man auf 6700 Seiten geplante Ausgaben von insgesamt 37 Milliarden Euro auflistet, löst das naturgemäß höchst unterschiedliche Reaktionen aus. „Maßlos, mutlos, mittelmäßig“, urteilt die FDP über den neuen Hamburger Doppelhaushalt für die Jahre 2023 und 2024, „verantwortungslos“ findet ihn die Linkspartei, und aus CDU-Sicht wird das Werk „den vielen Baustellen unserer Stadt nicht gerecht“. Für die Grünen hingegen ist dieser Etat „krisen- und zukunftsfest“, und Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) sieht darin „ein starkes Fundament für die Arbeit in schweren Zeiten“.

Hamburger Doppelhaushalt: Dafür gibt Hamburg 37 Milliarden Euro aus

Da Rot-Grün zusammen über eine Zweidrittelmehrheit in der Bürgerschaft verfügt, setzte sich erwartungsgemäß am Ende die Haltung der Koalition durch: Um 20.53 Uhr am Donnerstagabend beschloss sie den Haushaltsentwurf des Senats mit einigen kleinen Änderungen gegen die Stimmen von CDU, Linkspartei, AfD und FDP.

Doch zuvor ging es noch einmal über mehrere Stunden hoch her. Es war ausgerechnet Schulsenator Ties Rabe (SPD), sonst eher einer der bedächtigen Politiker, der sich in der Debatte über den Etat der Schulbehörde mächtig empörte. „Sie haben die Wirklichkeit völlig verdreht dargestellt. Das war im Grunde ein Beispiel für Fake News“, hielt Rabe der Opposition vor allem von CDU und Linken entgegen.

Was war geschehen? Birgit Stöver, die schulpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion, hatte darauf hingewiesen, dass laut der aktuellen bundesweiten Studie des Instituts für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) rund 20 Prozent der Viertklässler die Mindeststandards in den Bereichen Lesen, Schreiben und Rechnen nicht erreichen. „Der Etatentwurf für die Schulbehörde gibt keine Antworten auf die drängenden Fragen im Bildungsbereich wie diese“, hatte Stöver hinzugefügt.

"Kein anderes Bundesland hat einen so großen Sprung nach vorn gemacht"

Auch die Linken-Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus hatte auf das negative Ergebnis der Studie hingewiesen – „trotz einzelner Verbesserungsmaßnahmen“. Allerdings, so Boeddinghaus, sei es seit Langem bekannt, dass jeder fünfte Viertklässler die Mindeststandards nicht erfülle. „Seit dem Jahr 2000 wissen wir, dass der Bildungserfolg in Deutschland vom Elternhaus abhängt. Das sollte Ihnen, die Verantwortung für die Bildung tragen, Auftrag sein, die Probleme der Bildungspolitik zu beseitigen“, sagte Die Linke in Richtung Rabe und rot-grüne Koalition.

Das war dem Schulsenator dann doch zu wenig Anerkennung eigener Leistungen. „Hamburg lag bei den bundesweiten Schülervergleichsstudien 2011 auf dem drittletzten Platz“, sagte Rabe. Das habe auch mit der Sozialstruktur der Stadtstaaten zu tun, die sich im Übrigen im vergangenen Jahrzehnt nicht verändert habe. Es sei also zu erwarten gewesen, dass Hamburg weiterhin auf Platz 14 der 16 Länder stehen würde. „Beim letzten Bundesvergleich standen Hamburgs Kinder aber plötzlich auf Platz sechs“, sagte der Senator. „Kein anderes Bundesland hat einen so großen Sprung nach vorn gemacht. Das haben Sie verschwiegen“, rief Rabe in Richtung Opposition.

Rabe: Die Politik ist nicht machtlos

Einmal in Fahrt setzte der Schulsenator noch einen drauf. „Erstmals hat ein Land gezeigt: Die Politik ist nicht machtlos. Sie ist nicht der Sozialstruktur der Gesellschaft hilflos ausgeliefert. Das geht – wir haben es gezeigt“, sagte Rabe und fügte geradezu genüsslich Zitate überregionaler Medien und einiger seiner Amtskollegen anderer Länder hinzu, die die Vorbildrolle Hamburgs betonen. So hatte die nordrhein-westfälische Bildungsministerin Dorothee Feller (CDU) gesagt, Hamburg habe sich gegen den bundesweiten Trend positiv entwickelt. „Mit Hamburg ... sind wir bereits im Austausch, und ich würde sagen: Hier ist das Abschreiben eindeutig erlaubt“, zitierte Rabe seine Amtskollegin.

Boeddinghaus zeigte sich wenig beeindruckt. Die Linken-Politikerin sagte zwar, sie erkenne an, dass Rabe einiges auf den Weg gebracht habe. Aber zu dem vielfachen, von Rabe angeführten Lob für die Entwicklung des Hamburger Schulsystems bemerkte sie nur trocken: „Hängen Sie sich das übers Bett!“ Schon vorher hatte Boeddinghaus mit Blick auf die Schülerrankings und Ländervergleiche gesagt: „Man darf Bildungspolitik nicht als olympischen Wettbewerb missverstehen. Es geht nicht darum, einen Platz auf dem Treppchen zu erringen, sondern um Beteiligung und Gerechtigkeit für jeden einzelnen jungen Menschen.“

Ende 2022 läuft die in der Pandemie festgestellte „Notsituation“ aus

Um Zahlen ging es auch: Der Etat der Schulbehörde steigt um 236 Millionen Euro auf 3,028 Milliarden Euro im kommenden Jahr (2024: 3,264 Milliarden Euro). Unter anderem werden 700 zusätzliche Vollzeit-Lehrerstellen geschaffen. Kosten: knapp 200 Millionen Euro. Außerdem will Rot-Grün in die digitale Ausstattung der Schulen investieren und die rund 4000 Grund-, Haupt und Realschullehrkräfte besser bezahlen (plus 450 Euro, A13 statt A12).

„Viele Millionen mehr im Schulhaushalt machen allein noch keine gute Bildung“, sagte die FDP-Abgeordnete Anna von Treuenfels-Frowein, die deutlich mehr Anstrengungen im Bereich Digitalisierung forderte. Der AfD-Fraktionsvize Alexander Wolf forderte „verpflichtende Tests“ bei den Untersuchungen zum Entwicklungsstand der Viereinhalbjährigen. „Kinder, die Defizite aufweisen, sollen verpflichtend die Vorschule besuchen, um Defizite bis zur Einschulung möglichst auszugleichen“, sagte Wolf.

Mit dem Jahreswechsel endet eine finanzpolitische Ausnahmesituation

Mit dem Jahreswechsel endet eine finanzpolitische Ausnahmesituation: Die aufgrund der Corona-Pandemie von der Bürgerschaft festgestellte „Notsituation“ läuft Ende 2022 aus, Ausnahmen von der Schuldenbremse sind dann nicht mehr gestattet. Für 2024 peilt der Senat sogar trotz der immer noch krisenhaften Lage ein historisches Ziel an: Dann soll der Etat erstmals auch nach kaufmännischen Grundsätzen ausgeglichen sein.

Hamburg stellt als einziges Bundesland neben Hessen seinen Haushalt nach diesen unternehmerischen Prinzipien auf. Im „Gesamtaufwand“ von gut 37 Milliarden Euro – rund 18,3 Milliarden in 2023 und 18,8 in 2024 – sind daher auch Positionen wie Abschreibungen und Rückstellungen enthalten, die nichts am Kassenbestand ändern. Gegenüber 2022 (17,7 Milliarden Euro) steigt der Aufwand um rund 3,3 Prozent. Die geplanten Investitionen in neue Gebäude, Straßen, Brücken und U-Bahnen summieren sich über beide Jahre auf 4,8 Milliarden Euro – laut Tschentscher „ein Rekordwert in der Geschichte Hamburgs“.