Hamburg. Nach heftigem Streit präsentiert der Schulsenator eine angepasste Fassung der Pläne. Die Kritik reißt trotzdem nicht ab.
Es waren eher ungewöhnliche und ausgesprochen versöhnliche Sätze, mit denen der kampferprobte und bisweilen robust auftretende Schulsenator Ties Rabe (SPD) die Präsentation der neuen Bildungspläne garnierte. „Wir sind nicht beratungsresistent. Wir wollen nicht mit dem Kopf durch die Wand“, sagte Rabe am Montagmittag im Rathaus.
Im März hatte Rabe die Entwürfe seines Hauses für die neuen Bildungspläne vorgestellt, die die zwölf Jahre alten Vorgänger ersetzen sollen. Die stärkere Leistungsorientierung und verbindlichere Vorgaben für die Lerninhalte hatten einen Sturm der Kritik bei Lehrern, Eltern und Schülern, bei Kammern, Verbänden und Gewerkschaften ausgelöst. Nun kommt Rabe mit den überarbeiteten Plänen seinen Kritikern in zentralen Punkten entgegen, aber der Widerstand bleibt.
Schule Hamburg: Bildungspläne hatten für massiven Protest gesorgt
Für massiven Protest hatte unter anderem der Plan gesorgt, die Zahl der Klausuren und Klassenarbeiten in den Klassenstufen drei bis 13 zu erhöhen und den höheren Vorgaben in Schleswig-Holstein und Niedersachsen anzupassen. „Die geplante Klausurenregelung ist vom Tisch“, sagte Rabe jetzt. Es bleibe bei der bisherigen Anzahl von Klausuren.
Das bedeutet zugleich, dass es die sogenannten Klausurersatzleistungen – Referate oder Präsentationen – ebenfalls weiterhin gibt. Mit einer Ausnahme: In Mathematik sollen schriftliche Leistungsüberprüfungen nun Standard werden.
Notengebung: Anteil mündlicher Leistungen wird nicht verringert
„Die Präsentationen sind den Schulen sehr wichtig. Einzelne Standorte haben eine moderne Prüfungskultur entwickelt, die wir nicht zerstören wollen“, gab sich Rabe einsichtig. Allerdings will er nun einen Dialog mit Eltern-, Schüler- und Lehrerkammer sowie Verbänden starten, um die Qualität der Klausurersatzleistungen weiterzuentwickeln. „Gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern wollen wir gute Beispiele aus der Praxis sammeln und Qualitätsvorgaben entwickeln“, sagte der Schulsenator.
Noch ein weiteres seiner ursprünglichen Vorhaben hat Rabe abgeräumt: Bei der Notengebung wird das Schriftliche nicht gegenüber dem Mündlichen gestärkt. „Eine 50:50-Regel wird es nicht geben. Es bleibt bei der Formulierung, dass das Schriftliche bei den Zeugnisnoten nicht überwiegen darf“, sagte der SPD-Politiker. In der Praxis der meisten Schulen liegt der Anteil mündlicher Leistungen an der Gesamtnote bei etwa 60 Prozent. Dabei soll es auch künftig bleiben. Einzige Ausnahme: das Fach Mathematik.
Ties Rabe: "Haben uns die Kritik zu Herzen genommen"
„Wir haben uns die Kritik an der Stofffülle zu Herzen genommen und sie deutlich reduziert“, sagte Rabe. Konkret bedeutet das, dass die verbindlichen Vorgaben der Lerninhalte gegenüber den Entwürfen zurückgefahren wurden. Nach Berechnungen der Behördenexperten wird der fest vorgegebene Kern dessen, was die Schüler lernen müssen, künftig rund 50 Prozent der Unterrichtszeit in Anspruch nehmen.
An den Grundschulen wird der Kanon nur etwa ein Drittel der Unterrichtsstunden umfassen. „In der übrigen Zeit können die Lehrkräfte die vorgegebenen Themen entweder vertiefen oder auf andere Themen setzen“, sagte Rabe.
Lerninhalte an vielen Stellen konkreter formuliert
Der Schulsenator machte deutlich, dass die neuen Pläne aus seiner Sicht dennoch einen Fortschritt bedeuten, weil die Lerninhalte an vielen Stellen konkretisiert seien. So habe es für die dritten und vierten Klassen bislang in den Bildungsplänen nur die sehr allgemeine Vorgabe gegeben, dass der Schüler Texte „plant, schreibt und überarbeitet“.
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Künftig müssen eigene Texte in mindestens fünf unterschiedlichen Textformen geschrieben werden – zum Beispiel eine Fantasiegeschichte oder eine Beschreibung. Neu ist auch die Vorgabe, dass die Kinder mindestens zwei Märchen und sechs Gedichte kennenlernen sollen. Und in Klassenstufe acht muss in Mathematik die Zinsrechnung unterrichtet werden.
Rabe zu Fachvorgaben: "Wir können uns da nicht wegdrücken"
Mit Blick auf seine Kritiker betonte der SPD-Politiker, dass sich Hamburg nicht von der bildungspolitischen Entwicklung abkoppeln könne. „Wir können uns da nicht wegdrücken. Die Kultusministerkonferenz macht in immer stärkerem Maße Fachvorgaben, die für die bundeseinheitlichen Prüfungen wichtig sind“, sagte Rabe.
Der Schulsenator wies darauf hin, dass der Beteiligungs- und Beratungsprozess, der zum Teil „temperamentvoll“ gewesen sei, mit einer Dauer von mehr sechs Monaten umfassender war als in anderen Ländern oder auch vor zwölf Jahren, als nur sechs Wochen Beratungszeit zur Verfügung standen.
Kritiker monieren fehlende Einbindung: "Wurden nicht beteiligt"
Rabe hat seine Kritiker trotz seines Entgegenkommens wohl nicht überzeugt. Kammern und Verbände monierten, nicht genügend eingebunden gewesen zu sein. „Das demokratische Miteinander ist der erste große Verlierer. Die nun vorgelegten Pläne sind weit von den Vorstellungen der Kammern und Verbände einer zukunftsfähigen Bildung in Hamburg entfernt“, sagte Yvonne Heimbüchel, die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). „Wir wurden nicht beteiligt. So geht man mit Hamburger Eltern nicht um“, sagte die Elternkammer-Vorsitzende Alexandra Fragopoulos.
„Die Entwürfe aus dem Sommer sind ein bildungspolitischer Rückschritt. Leider müssen wir davon ausgehen, dass sich daran nichts seitdem geändert hat“, sagte Charlotte Schmiedel, die Vorsitzende der Schülerkammer. Bildungspläne „über die Köpfe der Beteiligten hinweg im Alleingang“ lautet das Urteil der Lehrerkammer. Kammern und Verbände prüfen jetzt, ob sie eine Volksinitiative gegen die Bildungspläne starten.
Schule Hamburg: Bildungspläne eine "gute Grundlage"
Ivy May Müller, schulpolitische Sprecherin der Grünen-Bürgerschaftsfraktion, die sich kritisch zu den ersten Entwürfen geäußert hatte, nannte die veränderten Pläne „eine gute Grundlage für eine zeitgemäße Prüfungskultur, die nicht zu verschärftem Leistungsdruck führt“.
Die Bildungspläne, die in einem ersten Schritt die Grundschulen und die Hauptfächer der weiterführenden Schulen umfassen, sollen zum 1. August 2023 eingeführt und zunächst drei Jahre erprobt werden.