Hamburg. Der Umweltsenator stellte Eckpunkte des neuen Klimaplans vor. Welche Bereiche am stärksten von Einsparungen betroffen sind.

Das Ziel ist ehrgeizig: Bis 2030 sollen in Hamburg 70 Prozent weniger des klimaschädlichen CO2 ausgestoßen werden als 1990. Bis 2045 sollen es sogar 98 Prozent sein, um damit die Klimaneutralität zu erreichen. Dabei ist bis 2020 erst eine Einsparung von rund 36 Prozent gelungen. Wie das große Ziel dennoch erreicht werden soll, legt der neue Klimaplan fest, dessen erste Eckpunkte Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) nun am Dienstag im Rathaus präsentierte.

Um zu klären, wie der Ausstoß in nur noch sieben Jahren um weitere gut 30 Prozent gesenkt werden kann, haben die Experten vom Hamburg Institut in Zusammenarbeit mit Prognos und dem Öko-Institut in den unterschiedlichen Bereichen nach besonders wirksamen Maßnahmen gesucht. Insgesamt identifizierten der Senat und die Fachleute laut Umweltsenator Kerstan 40 „Maßnahmenbereiche“ in den vier Sektoren Industrie, Gewerbe-Dienstleistung-Handel (GHD), Private Haushalte (PHH) und Verkehr – und konnten deren CO2-Einsparungspotenzial ermitteln.

Klima Hamburg: Private Haushalte sollen massiv CO2 einsparen

Danach soll der Sektor Private Haushalte (inklusive Gebäude) den Ausstoß (ausgehend von 2020) bis 2030 um weitere knapp 1,7 Millionen Tonnen CO2 senken, der Sektor Gewerbe, Handel, Dienstleistungen ebenfalls um 1,7 Millionen Tonnen. Die Industrie soll den Ausstoß des Klimagases im selben Zeitraum um 2,2 Millionen Tonnen reduzieren – und der Verkehr um rund 820.000 Tonnen.

Rund 600.000 Tonnen CO2-Einsparung sind nach den Klimaplan-Eckpunkten keinem Sektor direkt zugeordnet, sondern sollen als „Gemeinschaftsleistung“ bis 2030 erbracht werden. Der CO2-Ausstoß Hamburgs betrug im Jahr 1990 laut Senat rund 21 Millionen Tonnen und soll bis 2030 auf 6,1 Millionen Tonnen reduziert werden. Da die CO2-Emissionen bis 2020 bereits um rund 36 Prozent auf 13,5 Millionen Tonnen gesunken seien, verlange das neue Reduktionsziel demnach eine weitere Minderung um etwa sieben Millionen Tonnen bis 2030.

Kerstan: "2045 soll ganz Hamburg CO2-neutral leben"

„Das Eckpunktepapier zur zweiten Fortschreibung des Klimaplans steht auf einem festen wissenschaftlichen Fundament“, sagte Umweltsenator Kerstan. „Die Ziele, die Hebelmaßnahmen sowie deren grundsätzliche Machbarkeit haben wir von renommierten Instituten untersuchen lassen und zusätzlich die Expertise aus verschiedenen Fachbehörden eingebunden. Da die Klimakrise deutlich schneller voranschreitet und härter ausfällt als zunächst prognostiziert, wollen wir den CO2-Ausstoß bis 2030 um 70 Prozent gegenüber 1990 reduzieren und sind damit noch etwas ehrgeiziger als der Bund. 2045 und damit fünf Jahre schneller als bislang vorgesehen, soll ganz Hamburg CO2-neutral leben und wirtschaften.“

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Wichtig dafür sei es, „dass wir alle Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Bürgerinnen und Bürger gemeinsam mit aller Kraft am gleichen Strang ziehen“, so Kerstan. „Denn Hamburg kann diese Aufgabe nicht allein bewältigen, wir sind darauf angewiesen, dass gerade auch der Bund seine Ziele umsetzt."

Klima Hamburg: Gebäude modernisieren, Verkehrswende voranbringen

Mit der neuen Bundesregierung und den gründlichen und umfassenden Vorarbeiten in Hamburg ständen die Zeichen gut, "dass wir jetzt schneller vorankommen können", so Kerstan. "Wir werden alles dafür tun, unseren Beitrag zu leisten: Gebäude müssen modernisiert und die Verkehrswende weiter vorangebracht werden."

Viele Hamburger Industrieunternehmen hätten sich bereits verpflichtet, die Prozesse effizienter zu gestalten und weiter zu dekarbonisieren – genau wie bei der Fernwärme. Als Dekarbonisierung bezeichnet man die Umstellung von der Nutzung fossiler Brennstoffe wie Kohle, Erdgas oder Öl auf kohlenstofffreie auf erneuerbare Energiequellen.

Eckpunktepapier wird in detaillierten Klimaplan übersetzt

Hier sei Hamburg auf einem guten Weg, der neue Energiepark Hafen nehme Gestalt an und der Brennstoffwechsel im Kraftwerk Tiefstack sei beschlossen und werde durch technologische Weiterentwicklungen wie der größten Flusswärmepumpe ergänzt. „Mit unseren öffentlichen Unternehmen treiben wir die Energie- und Wärmewende voran und nehmen dabei bundesweit eine Vorreiterrolle mit vielen nationalen Leuchtturmprojekten ein“, so der Umweltsenator.

„Nun gilt es, in den nächsten Monaten das Eckpunktepapier in einen detaillierten Klimaplan mit konkreten Maßnahmen zu übersetzen, damit wir im Klimaschutz weiter nachlegen können.“

Energetische Sanierung der Gebäude im Zentrum bei privaten Haushalten

Als übergreifende Beispiele für wichtige „Hebelmaßnahmen“ nannte Kerstan die Dekarbonisierung und den Ausbau der Fernwärme sowie die Dekarbonisierung des Bundestrommix und die Bereitstellung von grünem Wasserstoff. Bei den privaten Haushalten stünden die energetische Sanierung der Gebäudehüllen und die Optimierung der Gebäudeanlagentechnik im Zentrum – ebenso die Umstellung der Wärmeversorgung auf Wärmepumpen und Fernwärme, sowie der klimaneutrale und ressourcenschonende Neubau.

Im Bereich der Industrie geht es laut Senat um die „energetische Prozessoptimierung, betriebliche Abwärmenutzung, Umstellung von Prozesswärme auf Strom, Wasserstoff und E-Fuels und erneuerbare Energien“. Im Sektor Gewerbe, Handel, Dienstleistungen stünden „Effizienzmaßnahmen bei Prozessenergie und die Dekarbonisierung der Prozessenergie“ im Mittelpunkt der Maßnahmen. Auch hier wird zusätzlich die „energetische Sanierung der Gebäudehüllen, Optimierung der Gebäudeanlagentechnik, Umstellung der Wärmeversorgung auf Wärmepumpen/Fernwärme“ angesterbt.

Klima Hamburg: Verkehr – Umstieg von Pkw auf ÖPNV und Rad

Im Verkehrsbereich setzt der Senat vor allem auf den „Modal Shift zum Umweltverbund“, also auf einen Umstieg der Hamburgerinnen und Hamburger vom Pkw auf Busse, Bahnen, Fahrrad und den Fußverkehr. Außerdem geht man davon aus, dass immer mehr E-Autos in Hamburg unterwegs sein werden und außerdem verstärkt Fahrzeuge mit Wasserstoff und „E-Fuels“ durch die Stadt fahren.

Anfang 2023 soll laut Umweltbehörde die Beteiligung der Öffentlichkeit beginnen, auch hier wolle der Senat neue Wege gehen und erstmals auch auf eine breite Online-Beteiligung setzen, hieß es. Von Wirtschaft und Verbänden aber auch von der „interessierten Öffentlichkeit“ erhoffe sich der Senat „weitere Anregungen zu Maßnahmenvorschlägen für den Klimaplan“.

2 Milliarden Euro für Klimaschutz und klimagerechte Mobilität

Die Bedeutung des Themas Klimaschutz werde auch mit Blick auf den neuen Doppelhaushalt 2023/2024 deutlich, betonte Kerstan. „Derzeit sind rund zwei Milliarden Euro für Klimaschutz und klimagerechte Mobilität vorgesehen. Der weitere Mittelbedarf bis 2030 wird auch Thema bei der Erstellung des fortgeschriebenen Klimaplans und der erforderlichen Maßnahmen sein.“ Der fertige Klimaplan solle bis Mitte des kommenden Jahres vorliegen. Parallel erfolge auch die Novellierung des Hamburgischen Klimaschutzgesetzes, das die neuen Klimaziele nach Befassung der Bürgerschaft gesetzlich festlegt.

Neben den schon laufenden und neu zu entwickelnden Maßnahmen in den Sektoren soll der fortgeschriebene Klimaplan laut Senat auch „sektorübergreifende Wirkungsfelder“ enthalten. So sollen unter dem Motto „Klimafreundliche Stadt“ die Themen „Klimakommunikation und Beteiligung“ sowie „Bildung“ zusammengefasst werden. „Die Stadt versteht sich zudem als Vorbild“, so der Senat. „Dazu soll das Ziel einer bis 2030 CO2-neutralen Verwaltung weiterverfolgt und der Klimaschutz in den öffentlichen Unternehmen gestärkt werden. Zusammen mit den Bezirken setzt der Senat auf eine klimagerechte Stadtwicklung schon bei den Quartiers- und Fachplanungen.“

Neue Klimaziele: "Sonst sind große Teile Hamburgs unbewohnbar"

Kerstan betonte mehrfach, dass in diesem ersten Schritt noch keine Einzelmaßnahmen vorgestellt würden. „Bei konkreten Maßnahmen sind wir noch nicht, das ist die Aufgabe bis zum Sommer“, so der Senator. Dabei sei es auch für Hamburg entscheidend, dass der Bund seine Ziele erreiche – sonst schaffe auch Hamburg dies nicht, da etwa der Bundesstrommix und andere Faktoren auch großen Einfluss auf Hamburg hätte.

Auf Nachfragen, ob er daran glaube, dass Industrie, Vermieter und Autofahrer freiwillig mitziehen würden oder ob auch schärfere Vorgaben nötig seien, antwortete der Umweltsenator eher ausweichend. Er sei optimistisch, dass die Hamburgerinnen und Hamburger beim Klimaschutz ihren Anteil leisten würden, zugleich gebe es ja bereits Vorgaben etwa bei Heizungen oder bei der Solardachpflicht. „Wir müssen diese Ziele erreichen“, appellierte Kerstan. „Das sage ich auch als Senator, der für Hochwasserschutz zuständig ist. Sonst sind irgendwann große Teile der Stadt nicht mehr bewohnbar.

Kritik von Umweltverbänden: "Gibt keinen Plan vom Klimaplan“

Angesprochen auf den Wunsch der Grünen, künftig alle zwei Jahre in einer Zwischenbilanz den Grad der Zielerreichung zu kontrollieren und notfalls nachzuschärfen, sagte Kerstan, dieser Punkt sei derzeit Gegenstand von den Gesprächen in der Koalition mit der SPD. Zudem betonte Kerstan, dass man sich um aktuellere Daten zur Kontrolle der Zielerreichung bemühe. Bisher bekommt Hamburg vom Statistikamt die Daten zum CO2-Ausstoß stets mit fast zweijähriger Verspätung.

Umweltverbände und Opposition warfen Kerstan vor, er sei viel zu unkonkret geblieben, was nötige Maßnahmen angehe. „Noch gibt es keinen Plan vom Klimaplan“, sagte der Hamburger Vorsitzender des Naturschutzbundes Deutschland Nabu, Malte Siegert. „Um die Klimaziele zu erreichen, braucht es die klimapolitische Bazooka. Warme Worte reichen so langsam nicht mehr, um einen immer wärmeren Planeten schönzureden. Statt mit dem Finger auf andere zu zeigen und zu erwarten, dass Industrie, Gewerbe und private Haushalte sich von sich aus bewegen, sollte die Stadt lieber das machen, worauf sie selber Einfluss nehmen kann: Solaranlagen auf alle städtischen Gebäude, auf Parkplätze und andere versiegelte Freiflächen.“

Auch Fridays for Future übt Kritik

Auch der Umweltverband BUND zeigte sich wenig begeistert. „Es ist immer die Politik des Senats, nichts zu versprechen, was er nicht halten kann“, habe Umweltsenator Kerstan verkündet, so Hamburgs BUND-Chef Lucas Schäfer. „In eine solche Schieflage schießt der Senat jedoch mit Vollgas, wenn man die angekündigte 70-Prozent-Reduktion von Kohlendioxid bis 2030 mit den vorgestellten Maßnahmen vergleicht.“

Auch Fridays for Future (FFF) übte Kritik. “In dem gefeierten Eckpunktepapier steht nichts weiter als die Basics der Klimapolitik“, sagte FFF-Pressesprecherin Annika Rittmann. „Dass der rot-grüne Senat 1,5 Jahre gebraucht hat, um sich auf diese Selbstverständlichkeiten zu einigen, ist bitter und geradezu grotesk. Hebelmaßnahmen wie Effizienzsteigerung und Sanierung klingen zwar nett, sind ohne konkrete Ziele und im Anbetracht der aktuellen Senatspolitik nichts als Worthülsen. Wie diese Regierung ihre eigenen Ziele, geschweige denn die Verpflichtungen des Pariser Klimaabkommens, einhalten will, hinterlässt noch immer ein großes Fragezeichen.”

CDU: "Senat ist weiterhin Ankündigungsmeister“

CDU-Umweltpolitiker Sandro Kappe betonte, dass der Senat das Ziel, zwei Millionen Tonnen CO2 bis 2020 einzusparen nur durch Corona und CO2 Zertifikate aus Nigeria erreicht habe. „Jetzt will der Senat in sieben Jahren mehr als dreimal so viel einsparen. Bisher hat der Senat noch keinen Maßnahmen benennen können. Auch steht immer noch nicht fest, was passiert, wenn Behörden die eigenen Ziele nicht erreichen“, so Kappe. „Der Senat ist weiterhin Ankündigungsmeister.“

Die CDU erwarte „einen Klimaplan, der aufzeigt, wann durch wen wie viel eingespart werden soll und was passiert, wenn die jeweiligen Akteure die Ziele nicht erreichen. Auch brauchen wir endlich einen Plan B, sollte die Annahmen des Senats nicht aufgehen.“

Klimaplan: Den Linken fehlen "konkrete Maßnahmen"

Linken-Umweltpolitiker Stephan Jersch sagte, die vorgestellten Eckpunkte entsprächen „mehr dem Prinzip der Hoffnung als einem klaren Handeln“. Es fehlten „konkrete Maßnahmen, wie wir etwa den Autoverkehr mit seinem immensen CO2-Ausstoß nachhaltig reduziert können“. Auch bei der Umstellung der Industrie auf klimafreundliche Energie bleibe „vieles im Dunkeln“. Der Senat trete jetzt schon die Flucht nach vorn an, wenn er dem Bund die Schuld gebe für den Fall des Scheiterns der Klimaziele, so Jersch. „Das ist mir definitiv zu wenig Verantwortung, die der Senat für das Klima übernimmt. Diese schwammigen Eckpunkte helfen jedenfalls nicht bis 2030.“

Industrieverband Hamburg warnt vor Abwanderung der Industrie

Die FDP-Abgeordnete Anna von Treuenfels-Frowein warf Senator Kerstan ebenfalls vor, er verschärfe Hamburgs Klimaziele ohne deren Erreichung mit konkreten Maßnahmen zu unterfüttern. „Das ist Klimapolitik als Luftschloss“, so die FDP-Politikerin.

„Kerstan kann auch nicht sagen, wo genügend Geld herkommen soll, um Wirtschaft und Bürger bei der Dekarbonisierung wirksam zu unterstützen – von den nötigen Fachkräften und Materialen für klimafreundliche Sanierungen ganz zu schweigen. Das und verschärfte Auflagen könnte besonders bei energieintensiv arbeitenden Betrieben eine Abwanderungswelle aus Hamburg auslösen.“

Der Vorsitzende des Industrieverbandes Hamburg, Matthias Boxberger, warnte vor einer „massiven Deindustrialisierung“, sollte es nicht zu einem „schnellen Anwachsen erneuerbarer Energien zu wettbewerbsfähigen Preisen“ kommen.