Hamburg. Die beiden Stadtteile sind keineswegs vernetzt, sie führen ein Parallelleben. Stadtplaner André Poitiers schlägt grüne Boulevards vor.
Zehn Millionen ausgestopfte Vögel und Reptilien, in Gläsern konservierte Quallen, 90.000 mineralogische Ausstellungsstücke, davon einige vom Mond, 138.000 paläontologische Schätze wie fossile Tintenfische – es ist beeindruckend, wie groß die Sammlungen sind, die nun endlich angemessen ausgestellt werden sollen in einem neuen Naturkundemuseum. In der HafenCity soll es stehen. Und nicht in der Innenstadt.
Die Wissenschaftsbehörde verkündet, dass die „Wegführung wasserseitig entlang der Elbtorpromenade ein hohes Besucher/-innenaufkommen“ für das Museum erwarten lasse. Eine schöne Utopie, denn tatsächlich geht praktisch niemand diese vollversiegelte, baum- und schattenlose und daher im Sommer unerträglich heiße Promenade entlang.
Im Winter übrigens auch nicht, weil der Nordwestwind hier ungebremst durchweht. Ebenso wenig wird auf der parallel verlaufenden Shanghaiallee flaniert, die nach den Broschüren der HafenCity Hamburg GmbH „boulevardartig ausgebaut“ sein soll – was ganz offensichtlich einen Boulevard für Autos meint.
Hamburger HafenCity und Innenstadt verbinden – aber wie?
Und woher sollen überhaupt die Fußgänger kommen? Aus der City, denn das Naturkundemuseum soll auch dazu dienen, so die Wissenschaftsbehörde, Innenstadt und HafenCity zu vernetzen. Das ist ein sehr guter Vorschlag, aber auch eine ziemlich große Aufgabe für das Museum. Denn schon die Neiddiskussion um den Museumsstandort zeigt: Innenstadt und HafenCity sind keineswegs vernetzt, sondern führen ein Parallelleben oder, schlimmer noch, sie machen sich gegenseitig das Leben schwer und verfolgen entgegengesetzte Strategien.
Die City soll autofrei werden, für das südliche Überseequartier werden hingegen Straßen vierspurig ausgebaut, damit die Menschen aus dem Umland staufrei zum Shoppen fahren können. Und manche wollen das Naturkundemuseum in der Innenstadt sehen, damit es der HafenCity Besucherinnen und Besucher abspenstig macht.
Es ist diese Kleinstaaterei, die Hamburg als Ganzes schadet. Das extrem verdichtete Beton-Überseequartier wird es schwer haben, wenn die Innenstadt grüner und freundlicher wird und Erholungswert auch beim Shoppen bietet. Denn es ist das Wesen neuer Urbanität, dass die Menschen sich auf kurze Wege machen, die sie autolos zurücklegen, und diese Wege müssen nach ihren Bedürfnissen ausgerichtet sein. Die HafenCity aber ist durchzogen von mehrspurigen Transitautobahnen.
Fußgänger müssen eine von Hamburgs schlimmsten Schneisen überwinden
Die für beide Seiten lebensnotwendige Vernetzung von Innenstadt und HafenCity setzt voraus, dass es auch eine Vernetzung der Wege gibt. Aber schon da beginnt das Problem: Auf den Brücken zur Innenstadt fehlen die Fahrradwege. Fußgänger, die in die HafenCity wollen, müssen eine von Hamburgs schlimmsten Schneisen überwinden, die Ludwig-Erhard-Straße.
Es gibt keine logischen Verbindungswege, es gibt keine Grünzüge, außer auf leider nie umgesetzten Landschaftsplänen für grüne Ringe oder Grünachsen, es gibt keine stadtplanerische Idee, warum überhaupt jemand durch die City zur HafenCity gehen sollte oder umgekehrt. Beton, Autoverkehr, kein Grün, kein Erholungswert, sterbende Geschäfte – wer hat Lust, hier zu flanieren, zu verweilen, zu shoppen, sich mit Freunden zu treffen?
Dabei steckt im Zusammendenken beider Quartiere eine große Chance: Wie wäre es, wenn man Hamburg tatsächlich zu der grünen Stadt am Wasser machen würde, die es sein möchte? Denn so wie die Kleinstaaterei zur gegenseitigen Blockade führt, so führt das kleinteilige Denken zum Stillstand.
Ein resilientes, attraktives Hamburg braucht große Lösungen, großes Denken, großen Willen und große Flexibilität. Denn die einzige Lampe, die wir haben auf unserer Reise in die Zukunft, so sagte es 1831 der britische Dichter Samuel Taylor Coleridge, befindet sich leider am Heck unseres Schiffes und beleuchtet die Vergangenheit.
Brooktorkai und Sandtorkai zur grünen Flanierstrecke machen
Jede Veränderung ist also eine Reise ins Ungewisse und damit ein Experiment. Anders geht es nicht, bewährte Lösungen der Vergangenheit sind eben: Vergangenheit. Wie wäre es also, wenn man den grünen Ring aus den Landschaftsplänen in die Realität holt und die HafenCity-Querachse Brooktorkai und Sandtorkai zu einer grünen Flanierstrecke macht, entlang des Weltkulturerbes Speicherstadt?
Wie wäre es, wenn die Willy-Brandt-Ludwig-Erhardt-Schneise unter der Erde verschwindet, wie die Initiative „Altstadt für alle“ oder die Handelskammer es seit Jahren fordern? Wie wäre es, wenn man verschiedene Wegeverbindungen schafft und diesen eine gestalterische Leitlinie gibt?: ein baumbestandener Kreativweg von der Kunsthalle über die Deichtorhallen zum Kreativquartier Oberhafen.
Alle-artige Straßen mit biodiversen Grünstreifen statt Minibaumscheiben von der Alster über den Lohsepark zum Baakenhöft, das wegen seiner einzigartigen Lage als Landzunge in der Elbe unbedingt ein sensationeller neuer Park für Hamburg werden sollte. Ein Wasserweg entlang der Fleete durch die Altstadt und die Speicherstadt, über den Großen Grasbrook bis zur Elbe.
Die gesamte innere Stadt muss radikal begrünt werden
Die Innenstadt selbst wird wieder zu Leben finden, wenn auch hier die grüne Stadt am Wasser erkennbar ist. Menschen lieben Bäume und Wasser, Brunnen und Grünflächen, das zeigen die Umfragen, das zeigen die vielen Initiativen, die sich zum Schutz von Hamburgs Grün gegründet haben.
Die Menschen lieben es, dort zu sein, wo andere Menschen sind. Daher muss die gesamte innere Stadt in einem großen Wurf radikal begrünt werden, damit man sich dort einfach gerne aufhält; zumal es aufgrund des Klimawandels sonst wochenlang unerträglich heiß sein wird in den vollversiegelten Straßenschluchten. Es müssen Familien hier wohnen, es muss Spielplätze geben.
Weniger Autos, weniger Lieferwagen, weniger Lastwagen – das führt nicht zu einem Weniger an Leben, sondern es entstehen ganz im Gegenteil neue Räume, die zu größerer Dichte und Lebendigkeit führen. Das Ökosystem Stadt befindet sich im Zustand dauernder Evolution.
HPA könnte in leer stehendes Kaufhaus ziehen
Und was macht man mit den großen, leer stehenden Gebäuden? Die Hamburg Port Authority sucht gerade nach einem Ort für eine neue Zentrale, sie hätte in der Innenstadt eine große Auswahl an leer stehenden Kaufhäusern. Das wäre ein optimistisches und zukunftsweisendes Signal für die City: Hier siedelt sich eine große Behörde an, mittendrin, in einem umgenutzten Gebäude.
Gerade die Stadt selbst ist verpflichtet, mit solchen Leuchtturmprojekten voranzugehen. Die Botschaft kann eben nicht heißen: Uns selbst gönnen wir einen Neubau für die HPA, sollen doch andere die leeren Gebäude in der City umbauen und umnutzen.
Oder wie wäre es mit einem Hamburg-Haus, in dem Hamburger Unternehmen ihre Produkte verkaufen, von Nivea bis zum Kaffee aus der Speicherstadt? Oder könnte man das Thema Sport des ehemaligen Karstadt-Sports-Hauses ernstnehmen und hier ein Sportzentrum ansiedeln mit kostenlosen Angeboten wie einer Kletterwand und kostenpflichtigen wie einem Spa, vielleicht nachhaltig geheizt mit Abwärme von Aurubis?
Und wäre es nicht schön, wenn auch die vielen Dächer genutzt werden könnten als öffentlich zugängliche Gründächer zum Erholen und Chillen? Und vielleicht hätten die vielen kreativen Köpfe in dieser Stadt gute Ideen, wenn man sie denn mal fragen würde?
Das Naturkundemuseum ist in der HafenCity genau richtig
Die grüne Stadt am Wasser: Wenn Hamburg dies endlich ernst nimmt und Wirklichkeit werden lässt, dann ist das eine große Chance für die Rückkehr des Lebens in die City – vielleicht die einzige Chance. Sie muss von allen gemeinsam ergriffen werden, und zwar genau jetzt. Von Politik und Behörden, von den Grundstückseigentümern, von einer engagierten Zivilgesellschaft, die mitdenkt, mitgestaltet und mithilft.
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Zu glauben, es würde an der heutigen Unwirtlichkeit der versiegelten, autofreundlichen und abweisenden und perspektivisch dahinsiechenden City irgendetwas ändern, wenn hier das Naturkundemuseum stünde, ist realitätsfern: Dafür braucht es schon einen deutlich größeren Wurf.
Im Übrigen ist das Naturkundemuseum in der HafenCity genau richtig, und zwar schon deshalb, weil der vor 20 Jahren erstellte und inzwischen unschön gealterte Masterplan ganz offensichtlich zum Ziel hatte, die Natur im dem Quartier zu eliminieren.
Eine Allee entlang der Speicherstadt
Und auch, weil es in der HafenCity die Chance gibt, das Naturkundemuseum um eine Außenfläche zu ergänzen, um einen 14.000 Quadratmeter großen Naturkunde-Museumspark auf der nahe gelegenen Brachfläche am Lohsepark, auf der einst das Verlagshaus Gruner+Jahr seine Zentrale errichten wollte, was doppelt Geschichte ist, da es auch Gruner+Jahr nicht mehr gibt.
Wäre das nicht schön, wenn man nach den vielen ausgestopften Tieren fünf Fußminuten entfernt lebende Tiere entdecken könnte, Vögel und Insekten zum Beispiel? Wenn man Natur live und in Farbe sinnlich erleben könnte?
Ich würde gerne mit meinem Sohn dorthin gehen zum Abschluss unseres gemeinsamen Museumsbesuchs: Natur ist nicht etwas, das der Vergangenheit angehört, sondern sie ist unsere Zukunft. Und wir können sie hier und jetzt bestaunen. Und dann flanieren wir zurück in die Innenstadt durch die Shanghaiallee, deren zwei mittleren Spuren inzwischen zu einem breiten baumgesäumten Boulevard umgebaut sind, durch eine Allee entlang der Speicherstadt – auf einer fußgängerfreundlichen Brücke überqueren wir den Zollkanal.