Hamburg. „Nur Bänke aufzustellen? Das reicht nicht!“ Präses Norbert Aust und Hauptgeschäftsführer Malte Heyne machen ungewöhnliche Vorschläge.

Einladung ins Präseszimmer. Früher hing hier noch ein überdimensionierter Wandteppich. Früher, das war als die sogenannten Rebellen das Sagen in der Handelskammer hatten. Das ist nun knapp drei Jahre her. Seitdem versucht sich die Spitze der Kammer wieder auf die Arbeit zu konzentrieren. Machtkämpfe gehören der Vergangenheit an. So geht es beim Interview unserer Zeitung mit Präses Norbert Aust und Hauptgeschäftsführer Malte Heyne auch ausschließlich um Inhalte: Die Verödung der Innenstadt, den schwächelnden Hafen, die Wünsche an die neue Wirtschaftssenatorin.

Ach ja. Und was wird aus der riesigen weißen Fläche an der Wand im Präseszimmer? Man überlege noch, sagt Aust vor dem Interview. Vielleicht ein großes Hafenbild. Auf jeden Fall irgendwas mit Hamburg.

Ukraine-Krieg, hohe Inflationsraten, Lieferkettenprobleme und massive Nachwirkungen der Corona-Pandemie – ist die Stimmung in Hamburgs Betrieben so schlecht, wie die äußeren Umstände es vermuten lassen?

Norbert Aust: Die Mehrheit der Unternehmen in der Stadt ist aktuell eher zögerlich, abwartend, nicht wenigen geht es wirtschaftlich schlecht. Das liegt auch an den Nachwirkungen der Corona-Krise und den Rückzahlungsverpflichtungen von staatlichen Zuschüssen. Und nun kommen die hohen Energiekosten dazu.

Die Energiepreise explodieren – wie zufrieden sind Sie hier mit den Hilfen des Staates für Unternehmen?

Aust: Der Staat macht viel, aber im Verhältnis zu den Kostensteigerungen sind die Zahlungen dennoch kein kompletter Ausgleich. Wir müssen jetzt neben schnellen Hilfen aber auch vorsorgen und langfristig Maßnahmen ergreifen, nicht nur auf bundes- sondern auf europäischer Ebene. Das zeigt die Diskussion um die Ansiedlung einer Batteriefabrik von Northvolt in Schleswig-Holstein. Die USA locken Northvolt und andere Unternehmen mit großzügigen Subventionen und garantieren zudem Strompreise, die deutlich unter denen in Deutschland liegen. Mit Blick auf die hohen Energiepreise warnen wir als Kammer vor der Deindustrialisierung eines Standortes wie Hamburg. Industrielle Fertigung hierzulande ist – zurzeit – im internationalen Vergleich einfach zu teuer geworden.

Malte Heyne: Für mehr als 70 Prozent der Hamburger Unternehmen sind die hohen Energiepreise ein Geschäftsrisiko. Das muss die Politik ernst nehmen und Lösungen finden. Die Deindustrialisierung wird nicht von heute auf morgen stattfinden, das ist ein schleichender Prozess. Fakt ist: Viele Investitionen werden wegen der hohen Energiepreise bereits nicht mehr in Deutschland getätigt. Und das ist alarmierend. Die Politik muss sich zum einen um die Bestandspflege kümmern, also dafür sorgen, dass die alteingesessenen Betriebe hier am Standort bleiben. Aber sie muss auch attraktive Rahmenbedingungen schaffen, damit sich innovative, energieintensive Betriebe weiterhin hier ansiedeln. Das sind große Herausforderungen.

Die Industrie in Hamburg leidet unter hohen Energiepreisen, zugleich schwächelt der Hafen. Wegen der massiven Schlickprobleme bezeichnen Kritiker die Elbvertiefung bereits als gescheitert. Sehen Sie das auch so?

Aust: Nein, die Elbvertiefung ist nicht gescheitert. Es muss jetzt aber alles Notwendige unternommen werden, um die geplanten Tiefen wieder zu erreichen. Und das ist vor allem die Aufgabe des Bundes. Die Elbe zu vertiefen war richtig und wichtig, auch als Signal an die internationalen Reedereien, dass Hamburg auch in Zukunft die richtige Anlaufstation für voll beladene, große Frachter ist.

Im Ranking beim Containerumschlag rutscht der Hafen global immer weiter ab, liegt nun nur noch auf Platz 20. Wie kann man den Hafen attraktiver machen?

Heyne: Der Hafen muss vor allem effizienter, innovativer und nachhaltiger werden. Wir haben im internationalen Vergleich ein Kostenthema. Die Preise müssen sinken, die Effizienz muss steigen, wenn man Reeder anlocken will. Das schafft man vor allem durch Automatisierung und Digitalisierung.

... auf Kosten von Arbeitsplätzen.

Heyne: Uns fehlen doch ohnehin Fachkräfte – auch im Hafen. Deshalb sehe ich durch die Automatisierung keine Gefahr für bestehende Jobs.

Hamburg bekommt nun mit Melanie Leonhard eine neue Wirtschaftssenatorin. Wie beurteilen Sie den Wechsel an der Behördenspitze und welche Themen sollte Frau Leonhard aus Ihrer Sicht umgehend angehen?

Aust: Wir freuen uns sehr auf die weiter gute Zusammenarbeit mit Frau Dr. Leonhard. Sie hat als Senatorin für Arbeit, Gesundheit, Soziales, Familie und Integration in der Corona-Pandemie gezeigt, dass sie Krisenmanagement beherrscht. Aus unserer Sicht gibt es eine große Anzahl von Aufgaben, die nun angegangen werden müssen. Nur drei Beispiele: Das Schlickproblem muss schnell gelöst, die Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland einfacher werden – und der Hafen muss sich wandeln, hin zu einem innovativen Industriestandort. Hier hat Michael Westhagemann bereits eine hervorragende Vorarbeit mit seiner Wasserstoffinitiative geleistet, die ja unter anderem einen Elektrolyseur in Moorburg vorsieht. Insgesamt muss man aber sagen, dass wir endlich aus dem Krisenmanagement herauskommen müssen. Es muss wieder gestaltet werden – und zwar vom gesamten Senat. Hamburg ist im Gesamtranking nicht mehr unter den zehn attraktivsten Städten weltweit – inzwischen hat uns auch Kopenhagen überholt. Wir müssen unsere Stärken, noch besser nach außen deutlich machen. Die Schwester der Krise ist die Chance und genau sie müssen wir jetzt gemeinsam ergreifen.

Die Leerstände in der Innenstadt machen den Standort Hamburg aktuell nicht gerade attraktiver. Während die alte City zu veröden droht, gibt es große Pläne für die HafenCity. Ein gefährliches Ungleichgewicht?

Heyne: Wir dürfen die alte, traditionsreiche Innenstadt nicht vernachlässigen. Die Zuständigkeiten für die Entwicklung der Innenstadt sind im Senat immer noch auf zu viele Behörden verteilt. Hier brauchen wir schlüssige und nachhaltige Konzepte. Nur neue Bänke in der City aufzustellen? Das reicht nicht! Es ist doch jetzt schon klar, dass das riesige Überseequartier in der HafenCity Kaufkraft und Touristen anziehen wird. Deshalb muss man endlich eine Entscheidung treffen, wie man das alte Zentrum der Stadt und die HafenCity gut miteinander verbindet. Wir haben im Rahmen unserer Standortstrategie „Hamburg 2040“ Vorschläge und Ansätze für eine zukunftsfähige Innenstadt vorgelegt. Ob mit einem Tunnel unter der Willy-Brandt-Straße hindurch oder auf anderen Wegen – das wollen wir als Handelskammer nicht vorgeben. Aber die Zeit drängt für detaillierte Planungen des Senats. Die Barriere Willy-Brandt-Straße muss intelligent überwunden werden.

Was soll an die Stelle der geschlossenen Einzelhandelsflächen im alten Zentrum treten?

Aust: Auf jeden Fall muss in der Innenstadt mehr Wohnraum geschaffen werden – gerade für jüngere Leute. Ich würde es zum Beispiel begrüßen, wenn sich Hochschulen dort ansiedeln. Warum nicht über einen Fachbereich und Wohnungen für Studierende nachdenken? Das würde die Innenstadt zusätzlich beleben. Die Handelskammer war sehr erfolgreich mit der Ansiedlung ihres Weiterbildungscampus am Rödingsmarkt.