Hamburg. Der Muster-Stimmzettel für die Bürgerschaftswahl ist ziemlich dick – und eine Kandidatin kommt mit Foto ganz groß raus.
Postboten haben es auch nicht leicht – vor allem in diesen Tagen: Genau 1.323.116 Hamburger bekamen in den vergangenen Wochen Post vom Landeswahlamt. Darin befanden sich die heiß ersehnte Wahlbenachrichtigung und ein umfangreicher Muster-Stimmzettel. Er ist Teil einer Kampagne mit einem so lobenswerten wie wichtigen Ziel: die Wahlbeteiligung zu steigern. Bei der Bürgerschaftswahl 2015 gingen gerade einmal 56,5 Prozent der Hamburger zur Wahl. Offenbar halten manche Zeitgenossen schon einen sonntäglichen Spaziergang in die Schule um die Ecke für Freiheitsberaubung.
Für die große Freiheit Wahlfreiheit muss man heutzutage also Werbung wie für Waschmittel schalten. Es stört offenbar auch niemanden, dass eine Bürgerschaftswahl doch etwas komplexer ist als Entscheidungen wie „Elphi oder Kiez?“ beziehungsweise „Alster oder Elbe?“ Mit dem Slogan #wähldichwarm lagen die Kreativen auch knapp daneben. Da riecht das Hochamt der Demokratie schnell nach Aufwärmübung in der Schulturnhalle.
Carola Veit lacht die Leser von Seite 3 an
Etwas seltsam mutet zudem an, dass plötzlich wie beim Werbemailing des Reisebüros die Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit die Leser von Seite 3 im Muster-Stimmzettel mit Foto anlacht. Und damit nicht genug: Schon ihr erster Satz strotzt vor hamburgischem Krähwinkel: „Es ist ein großes Glück, in einer der schönsten und attraktivsten Städte der Welt zu leben“. Und so geht es weiter: „Wählen Sie sich also schon einmal warm – für ein starkes, tolerantes und demokratisches Hamburg.“
Frageportal und Kandidatencheck von abgeordnetenwatch.de
Da dürften nur wenige etwas dagegenhaben, aber muss das Anschreiben so plump daherkommen? Carola Veit ist nicht nur Präsidentin der Bürgerschaft, sondern eben auch Zweitplatzierte auf der Landesliste der SPD. 2015 hatte Veit übrigens schon einmal ein Vorwort geschrieben, damals noch ohne Foto und so staubtrocken, wie Demokratie-Puristen es wünschen. Sie kann es also.
Ein Blick auf die Kandidaten für das Landesparlament
Aber sei’s drum – immerhin bekommt mit dem Muster-Stimmzettel jeder Wähler die Chance, schon einmal einen Blick auf die Kandidaten für das Landesparlament zu werfen. Und da rücken trotz aller Hausbesuche, Wahlplakate und Twitter-Zwitschereien ganz schnell zwei Dinge in den Blick: Wie alt die Bewerber sind – und welchem Beruf sie nachgehen. Immerhin ist die Flut der Rettungssanitäter abgeebbt: Früher besuchten manche Kandidaten einen 48-stündigen Sanitäterkurs plus dreistündiger Prüfung, um dann als berufener Sanitäter auf dem Stimmzettel zu punkten.
Die weiteren Teile des Wahltagebuchs:
- Teil 9: Hamburgs bunte Wahlplakate: Blümchen, Big Brother, bunte Bilder
- Teil 8: Wollen wir wetten, Katharina Fegebank?
- Teil 7: Wo die AfD in Hamburg vorne liegt
- Teil 6: Wahlkampf kann auch cool sein – DJ Brosda sei Dank
- Teil 5: "Hau den Lukas" heißt jetzt "Hau die Grünen"
- Teil 4: FDP im Wahlkampf: Von den Grünen droht "Unsinn und Mist"
- Teil 3: Der grüne Stachel im Fleisch der Grünen
- Teil 2: Kampf um Stimmen im Othmarscher Kleingarten
- Teil 1: Das Dilemma der SPD
Heute betonen die Partei einerseits ihre Vielfalt, andererseits ihre Verbundenheit zum Milieu: Bei der SPD finden sich also Hafenfacharbeiter, Betriebsräte und eine Referentin für Kindertagespflege, bei der CDU Geschäftsführer, Kaufleute und ein Landwirt. Die Grünen nehmen’s ganz genau: Man ist nicht nur Berater, sondern Migrationsberater, nicht nur Projektleiter, sondern Projektleiter Nachhaltigkeit, man arbeitet nicht nur in der Kampagnenleitung sondern in einer Tierschutzkampagnenleitung, nicht als Journalistin, sondern als Umweltjournalistin. Die letzte verbliebene Arbeiterpartei ist die Partei für Tierschutz: 100 Prozent Verkäufer und Schlosser!
Volt ist die jüngste Partei auf dem Wahlbogen
Die jüngste Partei auf dem Wahlbogen? Volt mit einem Durchschnittsalter von gut 32 Jahren. Die Grünen sind inzwischen auf gut 40 Jahre gereift, die FDP mit 42,5 Jahre etwas älter. Die CDU kommt auf 45 Jahre, die SPD auf 46 Jahre – und die AfD mit einem Durchschnittsalter von fast 52 Jahren ist die Seniorenpartei. Die Linkspartei liegt mit 41,3 Jahren fast ein Jahrzehnt darunter, auch weil einige Jungpolitiker den 23er-Kader auffüllen. Dass dieses Konzept seine Schattenseiten hat, musste die Linke mit den seltsamen Vergleichen ihres jungen Kandidaten Tom R. gerade erleben.