Hamburg. Keine Partei hat so viele Freunde auf Facebook wie die AfD. Und die Linke diskutiert hier offen den Rauswurf eines Kandidaten.
Soziale Netzwerke können politische Karrieren beflügeln – oder zerstören: Am Dienstag schaffte es der 18-jährige Tom R., Platz 20 der Linken-Liste, zur nationaler Berühmtheit. Es waren die berühmten „15 Minuten Ruhm“, von denen Andy Warhol einmal sprach. Aber ein entbehrlicher Ruhm, denn der junge Mann stand im Fokus eines Shitstorms, angefacht von Rechten. Anlass war sein Facebook-Post, in dem er einen unsäglichen Vergleich zwischen dem Holocaust und einem „Klima-Holocaust“ zog. Das war eine Entgleisung, die allerdings in der Klimabewegung nicht die erste ihrer Art war: Der Mitbegründer von „Extinction Rebellion“, Roger Hallam, zog einen ähnlich kranken Vergleich, wie auch der Bestseller-Autor David Wallace-Wells.
Die Linke reagierte schnell und radikal: „Antifaschismus ist Grundkonsens unserer Partei. Wer ihn nicht mitträgt, ist in der Linken falsch. Nach intensiver Beratung beenden wir die Zusammenarbeit mit Tom R., fordern ihn auf, seine Kandidatur zurückzuziehen und beraten ein ordentliches Parteiverfahren bis hin zum Ausschluss.“ Die Linke (5767 Freunde) nutzt die Chance der sozialen Netzwerke (184 Likes, 92 Kommentare, 43 Mal geteilt) und diskutierte die Entscheidung offen mit den Hamburgern. Dass Tom R. allerdings erst 18 Jahre ist, ging im Wettlauf der Distanzierungen ziemlich unter.
Chancen und Risiken sozialen Netzwerke
Das Beispiel zeigt wie unter einem Brennglas die Chancen und Risiken in sozialen Netzwerke. Ein falsch gesetzter Link, ein unpassender Daumen, ein verunglückter Beitrag beenden Karrieren, eine gute Krisenkommunikation aber vermag Brandherde einzuhegen.
Die weiteren Teile des Wahltagebuchs:
- Teil 6 Wahlkampf kann auch cool sein – DJ Brosda sei Dank
- Teil 5: "Hau den Lukas" heißt jetzt "Hau die Grünen"
- Teil 4: FDP im Wahlkampf: Von den Grünen droht "Unsinn und Mist"
- Teil 3: Der grüne Stachel im Fleisch der Grünen
- Teil 2: Kampf um Stimmen im Othmarscher Kleingarten
- Teil 1: Das Dilemma der SPD
So kontrovers geht es sonst selten zu. Die SPD versteht Facebook eher als bunte Marketingplattform. Fraktionschef Dirk Kienscherf darf die Erfolge in der Wohnraumförderung feiern und jeder dritte Post zeigt einen Bürgermeister, der vom Johannes-Brahms-Gymnasium in Wandsbek über die Aids Hilfe in St. Georg zum Kulturpalast in Billstedt durch die Stadt eilt. Das Facebook-Schwarzbrot gefällt 10.399 Freunden.
Wahl-O-Mat zur Hamburg-Wahl: Welche Partei passt zu mir?
Bunter und unterhaltsamer ist der Auftritt der CDU – und mit 17.232 Followern beliebter. Karikaturen über das grüne Labor der Welt und ein Seitenhieb auf die Verkehrspolitik: „Wer wird Deutscher Meister, Hamburg leider nur beim Stau“ nutzt die Chance von Facebook: Ermunterung und Zerstreuung.
AfD ist bei Facebook mit der Keule unterwegs
Statt Florett ist die AfD bei Facebook mit der Keule unterwegs. Die Partei mit ihren 22.729 Freunden – einsamer Hamburg-Rekord – bedient Ressentiments: „Direkt am Öjendorfer See in allerbester Lage liegen die Designer-Neubauten für die meist illegal eingereisten „Flüchtlinge“... Sogar ein #Landschaftsschutzgebiet wurde dafür geopfert… Das ist rot-grüne Politik gegen die eigenen Bürger.“ Perfide Stimmungsmache, dafür ist Facebook seit der Trump-Wahl und dem Brexit berüchtigt. Überraschend ist, wie wenig auf der Seite passiert: Die AfD hatte erklärt, voll auf die sozialen Netzwerken setzen zu wollen. Daraus wurden in einer Woche ganze drei Beiträge...
Das schaffen Grüne und die FDP binnen Minuten: Sie nutzen die Möglichkeiten der sozialen Netzwerke am professionellesten, mischen Inhalte, Videos, Späße und Termine. Nur der Erfolg hält sich in Grenzen: 6412 Freunde haben die Liberalen, 5719 die Grünen. Das könnte daran liegen, dass jüngere Leute Facebook längst links liegen lassen