Hamburg. Einige Wahlplakate der Vergangenheit stehen für die Ewigkeit. Doch wie sieht es mit der Werbung für die Bürgerschaftswahl 2020 aus?

Es gibt Plakate, die haben Wahlkämpfe überdauert – und stehen für die Ewigkeit: „Keine Experimente“, warnte einst die CDU unter Konrad Adenauer, „Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau“ wusste die Schwesterpartei CSU.

Später schuf die SPD mit „Willy wählen“ oder „Hausfrau sein ist schön. Für den Mann“ Sprüche fürs Museum der Zeitgeschichte. Auch in Hamburg haben manche Slogans noch heute einen besonderen Klang: „Kohle von Beust“, warben die Grünen 2008 und die FDP überraschte 2015 mit "Katja Suding – unsere Mann für Hamburg".

Die Grünen bringen Farbe in die Februartristesse

Blicke ich heute auf Plakate, die sich an Laternenpfähle oder Bäume klammern, hält sich die Begeisterung doch in engeren Grenzen. Seit einer Woche dürfen die Parteien im Stadtraum für sich werben und die Konkurrenz ein wenig madig machen – aber die ganz große Plakatkunst regiert dort noch nicht, eher das kleine Karo.

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Etwas Farbe in die Februartristesse bringen die Grünen – das ist ein Blümchenwahlkampf, aber ein gut gelaunter: „Demokratie ohne Alternative“ heißt es da. Oder etwa unterkomplex „Für Mieten ohne Wahnsinn“. Oder ganz pfiffig: „Erste Frau, Erste Grüne, Erste Wahl“. Erstmals setzen die Grünen in der Hansestadt auf Porträts ihrer Frontfrau. Gleich auf acht Plakatmotiven ist die 42-Jährige zu sehen.

"Die ganze Stadt im Blick": Big Tschentscher is watching you

Bei der SPD hat der personalisierte Wahlkampf schon eine lange Geschichte. Die Bürgermeisterpartei, die Fotos vor fünf Jahren Olaf Scholz so scharf anschnitt, dass ihn manche gar nicht mehr erkannten, setzt nun auf das Konterfei von Peter Tschentscher.

„Die ganze Stadt im Blick“, ist ein cleverer Slogan, mit dem gestrengen Blick des Bürgermeisters erinnert es aber auch an „Big Brother is watching you“, eine Assoziation an Orwell, auf die man besser verzichtet hätte.

Marcus Weinberg überlebensgroß, Anna von Treuenfels im "Tatort"-Look

Überlebensgroß ist noch vorsichtig formuliert: Marcus Weinberg unübersehbar an einer Hausfassade.
Überlebensgroß ist noch vorsichtig formuliert: Marcus Weinberg unübersehbar an einer Hausfassade. © dpa | Christian Charisius

Die Union plakatiert Marcus Weinberg. Überlebensgroß prangt er an einem Bürohaus am Gänsemarkt, etwas geschrumpft lächelt er tausendfach von Plakaten und verspricht „Politik für die, die den Laden am Laufen halten“. Oder gibt eine vage Richtung vor: „Nach links? Nach rechts? Nach vorne!“ Etwas genauer darf es dann aber schon sein.

Anna von Treuenfels, FDP-Spitzenkandidatin, im
Anna von Treuenfels, FDP-Spitzenkandidatin, im "Tatort"-Look. © imago/Chris Emil Janßen

„Die Mitte lebt“, verspricht die FDP. Das könnte ein spannendes Analysethema für ein Soziologie-Seminar werden: Warum ist das eine Nachricht? War die Mitte schon halbtot? Und wer ist das eigentlich, diese Mitte? Eine Denksportaufgabe im Wahlkampf – immerhin, die schwarz-weißen Bilder mit dem Parteinamen in Magenta kennt man schon.

Der NDR spottete nicht ganz zu Unrecht, auf einem der Plakate sehe Spitzenkandidatin Anna von Treuenfels aus wie eine TV-Kommissarin, die gleich in einem Mordfall ermittelt: „mit schwarzem Rollkragen-Pullover, schwarzer Lederjacke und entschlossenem Blick.“

Ungewöhnliches Lob für die Linken – AfD wirbt kopflos

Spitzenkandidatin Cansu Özdemir vor einem Wahlplakat der Linken – für das es Lob ausgerechnet von Werbestrategen gab.
Spitzenkandidatin Cansu Özdemir vor einem Wahlplakat der Linken – für das es Lob ausgerechnet von Werbestrategen gab. © dpa | Christian Charisius

Werber loben hingegen die Plakate der Linken. „Sie haben einen hohen Wiedererkennungswert aus den letzten Wahlen, die Corporate Identity ist klar“, sagte der Kommunikationsexperte Martin Fuchs in der „Welt am Sonntag“. „Soziale Gerechtigkeit! Einfach machen“, heißt es da. Na, wenn das man so einfach wäre! Dann wären vermutlich schon ein paar andere Parteien darauf gekommen. Und Plakate gegen Rüstungsexporte klingen zwar gut, wirken im Hamburger Wahlkampf aber doppelt deplatziert: Daran kann die Bürgerschaft kaum etwas ändern. Und die Linke sieht ihre Rolle ohnehin in der Opposition.

Dirk Nockemann präsentiert die Plakatkampagne der AfD – sie kommt ganz ohne Köpfe aus.
Dirk Nockemann präsentiert die Plakatkampagne der AfD – sie kommt ganz ohne Köpfe aus. © HA | Michael Rauhe

Die Alternative für Deutschland spart sich die Köpfe und setzt auf Sprüche: „Ohne Kritik keine Demokratie.“ „Freitags wieder Schule.“ „Hummel, Hummel Stau Stau.“ Naja. So richtig „hanseatisch. mutig. unbequem“ ist das nicht, aber es ist eben auch nicht böse.

Volt im internationalen Städtevergleich

Interessanter macht es Volt, die kleine Europapartei, die sich in Hamburg erstmals in einen Landeswahlkampf stürzt. Sie plakatieren kleine Widerhaken an den großen Straßen. Rotterdam. Wien. Kopenhagen als Vorbilder: „Hamburg - mach's wie Kopenhagen. Sag Tschüss zum Auto“. Oder "Hamburg - mach's wie Wien - bau gemeinwohlorientierter“.

Die weiteren Teile des Wahltagebuchs:

Gute Ideen aus anderen Metropolen als Best-Practice-Beispiel für Hamburg. Das macht neugierig und vermag den Horizont zu weiten. Nur die Aufforderung „Hamburg mach's wie Rotterdam – Eine Hafenallianz für die Umwelt“ dürfte kaum mehrheitsfähig sein,

Eigenwillige Forderungen – oder zumindest sehr, sehr viele

Manche mäkeln ja, dass insgesamt zu wenig Inhalte auf den Plakaten stehen. Wie es anders, aber nicht besser geht, zeigt die Bürgerschaftskandidatin Bérangère Bultheel. Ihre Forderungen hat sie rund um ihr Gesicht auf DIN-A 2 drapiert: „Mehr Umweltschutz für Altona! Wohnen als Grundrecht! Klimawandel stoppen! GEZ abschaffen! Bus und Bahn kostenfrei für alle! Rette die Umwelt! Rette Deine Stadt! Mehr Freiheit, Demokratie & Wohlstand für alle! Günstige Mieten! Mehr bezahlbarer Wohnraum! Das Wahlrecht für Migranten/Innen.“

Das alles passt nicht nur in ihre Partei namens SLDP, sondern auch auf ein Plakat.

Eigenwillige Wahlwerbung von der Partei für Gesundheitsforschung.
Eigenwillige Wahlwerbung von der Partei für Gesundheitsforschung. © imago/STPP

Ein anderer Aufsteller schreibt in großen Lettern: „Krebs, Alzheimer, Herzinfarkt, Schlaganfall, Diabetes Typ 2“ Das alles kann man dann gottlob nicht wählen, aber immerhin die dazu passende „Partei für die Gesundheitsforschung“. Und „Die Partei“ ulkt: Vattenfall die Kohle nehmen. Kohle ist zum Grillen da.“ Haha. Weniger witzig: Mit so halbgaren Scherzen kommt man bei manchem Wähler an.