Hamburg. Spitzenkandidatin Anna von Treuenfels setzt auf Wirtschaftsexpertise – Katja Suding auf markige Worte gegen die Grünen.
Anna von Treuenfels lässt sich dieser Tage ohne Lederjacke kaum noch denken: Auf Plakaten, Aufstellern und Handzetteln trägt die FDP-Spitzenkandidatin das tote Tier, und auch an diesem Freitagabend in der Hanse Lounge präsentiert sie die neue Lässigkeit der Liberalen.
„Heute habe ich zum letzten Mal die Lederjacke an“, sagt sie, und freut sich über den Zuspruch: Immer wieder neue Stühle müssen in den Raum getragen werden, weil gleich drei Wirtschaftsminister der FDP der Kandidatin ihre Aufwartung machen. Auch ihre in der Hansestadt bekannten Wirtschaftsberater sind gekommen: Der Ökonom Thomas Straubhaar und der langjährige Hamburg-Süd-Chef Ottmar Gast mischen sich unter die Gäste.
Die FDP will sich als Wirtschaftspartei profilieren
Die Botschaft ist klar: Die FDP will sich im Bürgerschaftswahlkampf als die Wirtschaftspartei profilieren: Angela Merkel hat diese einstige Kernkompetenz längst aufgegeben, und auch in den Bundesländern überlässt die Partei von Ludwig Erhard diesen Job inzwischen gern ihren Koalitionspartnern: Die Union stellt in den Ländern gerade drei Wirtschaftsminister — die kleine FDP genau so viele. Mit Bernd Buchholz (Schleswig-Holstein), Andreas Pinkwart (Nordrhein-Westfalen) und Volker Wissing (Rheinland-Pfalz) sind alle in die Hanse Lounge gekommen.
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Es geht um den Standort Deutschland und die Hoffnung, mit einer FDP im Hamburger Senat mehr liberales Gewicht im Bundesrat zu erlangen. „Wir müssen das Planungsrecht verändern“ fordert Treuenfels in ihrer etwas hanseatisch-vernuschelten Art. „Es braucht uns im Bundesrat.“ Ihr Anliegen ist eine Beschleunigung der Infrastrukturprojekte.
"Die Dänen fragen inzwischen: Habt Ihr sie noch alle?"
Damit rennt sie beim Wirtschaftsminister in Kiel offene Türen ein. Die Fehmarn-Belt-Querung wird für ihn langsam zu einer unendlichen wie unerträglichen Geschichte - aber nur auf deutscher Seite. „Wir haben dasselbe europäische Recht“, sagt Buchholz. „Wie kann es da sein, dass es in Dänemark 44 Einwendungen gibt und in Deutschland 12760?“, ruft er in den Raum. Eine Antwort hat keiner. „Die Dänen fragen inzwischen: Habt Ihr sie noch alle? Wenn wir das Planungsrecht nicht ändern, werden wir den Anschluss verlieren.“
Eine Warnung, die auch Pinkwart in den Raum schleudert. „Wir müssen das Land neu denken und neu bauen“, fordert der Minister aus Nordrhein-Westfalen, distanziert sich aber von der nassforschen Besserwisserpartei früherer Jahre. „Die FDP hat sich verändert“, sagt er, sie sei moderner, sozialer, ökologischer geworden.
"Wir deindustrialisieren unser Land"
Anschaulich macht Volker Wissing das Problem analoger Planung in digitalen Zeiten. Eine wichtige Rheinbrücke in Ludwigshafen sei so marode, dass sie dringend erneuert werden müsse. Aber dafür bedürfe es zweier Planfeststellungsbeschlüsse - einer für den Abriss und einer für den Aufbau. „Das ist doch Irrsinn.“ Der eloquente Pfälzer liefert gleich ein weiteres Beispiel: Wer heute eine neue Bahnstrecke bauen wolle, dürfe nicht mit der Fertigstellung vor 2050 rechnen.
Einerseits wandele sich die Wirtschaft immer schneller, auf der anderen Seite dauerten Infrastrukturprojekte immer länger. „Wir deindustrialisieren unser Land“, warnt Wissing. Er wirft den Blick in die Zukunft: Ab 2030 werden in Deutschland schon wegen des demografischen Wandels deutlich mehr Leistungsempfänger leben. „Deshalb brauchen wir massive Produktionssteigerungen, mehr Innovationen, mehr Investitionen.“
Die bisher erschienenen Teile des Wahltagebuchs:
- Teil 3: Der grüne Stachel im Fleisch der Grünen
- Teil 2: Kampf um Stimmen im Othmarscher Kleingarten
- Teil 1: Das Dilemma der SPD
Hier in der Hanse Lounge treffen die Warnungen und Forderungen auf viel Zustimmung - doch im Land spüren nur wenige den Reformbedarf; angesichts einer Vollbeschäftigung spielen ökonomischen Fragen anders als früher kaum eine Rolle. Wie sediert genießen die Deutschen die Abendsonne eines langen Aufschwungs.
"Mit den Grünen riskieren wir noch mehr Unsinn und Mist"
Es ist kaum davon auszugehen, dass sich daran bis zum 23. Februar viel ändert. „Was die FDP denkt, kommt nicht rüber“, kritisiert dann auch ein Mitglied. Pinkwart hält dagegen: „Deutschland ist ein Stück ärmer, wenn wir nicht dabei sind.“ Das dürfte nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch gemeint sein. Die Gefahr steht seit der letzten Umfrage im Raum - sie taxiert die Liberalen nur noch auf sechs Prozent. Katja Suding, inzwischen stellvertretende Bundesvorsitzende, fürchtet die Zuspitzung des Wahlkampfs auf die beiden Bürgermeisterkandidaten. Viele FDP-Sympathisanten überlegten, dieses Mal Peter Tschentscher zu wählen, um die Grünen zu verhindern. „Wichtig ist aber, dass die FDP stark wird.“ Für eine mögliche Koalition von CDU, FDP und SPD.
Gebannt, mit einer Mischung aus Neid und Unverständnis, blicken die Liberalen auf den Aufschwung der Grünen, die bis vor Kurzem mit der FDP doch noch auf Augenhöhe waren. Wie ein roter Faden ziehen sich die Grünen durch den Abend. „Mit den Grünen riskieren wir noch mehr Unsinn und Mist“, warnt Suding zum Schluss. Das klingt etwas unterkomplex, aber es schließt die Reihen.