Hamburg. Für Betrug mit Röntgenkontrastmitteln für die Radiologie-Gesellschaft Hanserad muss Thomas Sch. fünf Jahre in Haft. Doch er wehrt sich.

Der Unmut über das Urteil war Dr. Thomas Sch. schon im Gerichtssaal anzumerken: Er schüttelte den Kopf, dann knallte er einen Stift mit Karacho auf den Tisch vor sich. Wenig später auf dem Flur ließ der 67-Jährige, von einem Justizbeamten in Handschellen abgeführt, seinem Zorn über den Schuldspruch freien Lauf. Das Urteil sei „ein eklatantes Fehlurteil“, erboste sich der Angeklagte, das Ganze eine „Unverschämtheit sondergleichen“. Spätestens nach dem Gefühlsausbruch stand fest: Das letzte Wort in der Sache ist noch nicht gesprochen. „Wir werden gegen das Urteil in Revision gehen“, sagte sein Verteidiger Ingmar Gerke.

Nach Überzeugung des Landgerichts war Apotheker Dr. Sch. ein wichtiges Rädchen im Getriebe eines gewerbsmäßigen Betrugs mit Röntgenkontrastmitteln. Um die drohende Pleite der Radiologie-Gesellschaft Hanserad abzuwenden, hatte der frühere Hanserad-Chef Professor Wolfgang Auffermann das dem Betrug zugrunde­liegende Modell 2010 entwickelt. Kurz bevor der Skandal aufflog, tauchte der Arzt unter. Das Gericht verurteilte nun Dr. Sch. wegen Betrugs zu einer Haftstrafe von fünf Jahren, der ebenfalls angeklagte Ex-Hanserad-Mitgeschäftsführer Dr. Michael H. (59) muss wegen Beihilfe viereinhalb Jahre ins Gefängnis – sofern das Urteil rechtskräftig wird.

Apotheker strich Prozente ein

Im Gegensatz zu Dr. H. profitierte Dr. Sch., Chef eines Arzneimittelgroßhandels, nach Überzeugung des Gerichts direkt vom Handel mit den Kon­trastmitteln. Zwischen Juli 2011 und November 2012 kaufte Hanserad die Ware in großen Mengen bei ihm ein. Die Mittel erhielt der Apotheker zu Rabattkonditionen, gegenüber der Krankenkasse rechnete er zu Listenpreisen ab. So weit, so legal. Keineswegs legal war die mit der Hanserad vereinbarte stille Betei­ligung: 95 Prozent der Rabattgewinne flossen an die Radiologie-Gesellschaft – fünf Prozent strich der Apotheker ein.

Das Gesetz verbietet derartige Kick-Back-Zahlungen, auch verdeckte Provision genannt: Der Arzt, der ein Medikament verordnet, darf am Handel mit Medikamenten nichts verdienen, in diesem Punkt sei das Sozialgesetzbuch eindeutig, sagte der Vorsitzende Richter Stephan Sommer. Und das sei natürlich auch dem erfahrenen Dr. Sch. klar gewesen. Daran änderten auch Expertisen renommierter Juristen nichts, die dem Betrugsmodell tatsächlich eine Rechtmäßigkeit bescheinigten. Dass Dr. Sch. blind ihrem Urteil vertraute und glaubte, alles ginge schon mit rechten Dingen zu, nahm ihm das Gericht nicht ab.

Auffermann muss große Mengen bestellt haben

Die Krankenkassen, so errechnete die Wirtschaftsstrafkammer, seien durch den Betrug um mindestens zehn Millionen Euro geschädigt worden. Ursprünglich war die Staatsanwaltschaft sogar von 34 Millionen Euro ausgegangen. Für einen Teil der bestellten Röntgenkontrastmittel hatten jedoch nicht Auffermann, sondern angestellte Ärzte unterschrieben. Ob die Angeklagten erkannt hatten, dass auch diese Bestellungen nicht in Ordnung waren, konnte nicht geklärt werden. Deshalb blieb es für die Schadensberechnung bei den Kontrastmitteln, die von Auffermann verordnet worden waren. Den größten Schadensposten von mindestens acht Millionen Euro machen aber die Bestellungen aus, die über den Bedarf der Röntgenpraxen weit hinausgingen.

Es müssen exorbitante Mengen gewesen sein, die Auffermann und Co. orderten. Der Liquiditätsbedarf von Hanserad war so enorm, dass ungefähr doppelt so viel Röntgenkontrastmittel bestellt wurden, als in den medizinischen Versorgungszentren in Neumünster, Geesthacht, Dannenberg und Boizenburg benötigt wurde. Die schlichte Logik: Je mehr der teuren Mittel bestellt wurden, desto höher fiel der Gewinn aus. Der Betrug, eine „groß angelegte Schummelei“, so Sommer, habe den zur Wirtschaftlichkeit verpflichteten Krankenkassen schweren Schaden zugefügt.

Die Beschaffung von mehr und mehr Kontrastmitteln zur Profitmaximierung habe beim flüchtigen und per Haftbefehl gesuchten Ex-Chef der Hanserad eine zentrale Rolle gespielt, so Sommer. Mehrere Zeugen hatten Auffermann in dem Verfahren als „skrupellos“ beschrieben – als jemand, der sich nicht um Konventionen schert. Um die Mittel unterzubringen, mietete die Gesellschaft Lagerräume in Bergedorf und Bargteheide an. Sogar zwei Umkleidekabinen seien für die Lagerung zweckentfremdet worden, gaben Zeugen an.

„Es ist Betrug, aber wir brauchen das Geld“

Dass Geschäftsführer Dr. Michael H. von dem Schmu nichts mitbekommen haben will, kaufte ihm das Gericht nicht ab. Der 59-Jährige habe gewusst, dass Auffermann die Bestellung betrügerischer Mengen des Kontrastmittels veranlasst habe. Dr. H. sei bestens im Bilde gewesen über den Lagerbestand und über die Motive des Professors. Einzig durch den auf betrügerische Weise erzielten Profit habe die drohende Pleite des Unternehmens abgewendet werden können. Einem Jahresumsatz von zehn Millionen Euro standen damals 23 Millionen Euro Schulden gegenüber.

„Einen wie Sie übergeht man nicht. Sie sind zu klug und zu professionell, als dass man es hätte vor Ihnen verschweigen können“, sagte der Richter und zitierte eine Zeugin, die in dem Prozess ausgesagt hatte: Auf ihre Frage, ob der massenweisen Bestellung der Kontrastmittel eine Betrugsabsicht zugrunde liege, habe Dr. H. erwidert: „Ja, es ist Betrug, aber wir brauchen das Geld.“ Den Passus kommentierte der Angeklagte gestern mit heftigem Kopfschütteln.

Mit den Strafen blieb das Gericht deutlich unter den Anträgen der Staatsanwaltschaft, die sieben und acht Jahre Haft gefordert hatte. Strafverschärfend falle ins Gewicht, dass der von den Angeklagten mitverursachte Schaden gravierend sei. Richter Sommer: „Wenn die Versichertengemeinschaft so geschädigt wird, muss das spürbare Strafen nach sich ziehen.“