Der Kieler Landtag hat in den vergangenen Jahren mehrfach politische Skandale erlebt. Der jüngste ist der Fall Christian von Boettichers.
Er wollte Ministerpräsident von Schleswig-Holstein werden, war Partei- und Fraktionschef. Er stürzte wegen der Beziehung mit einer Minderjährigen - und weil seine CDU ihn fallen ließ. Das ist die Affäre Christian von Boetticher. Ein Lehrstück über Parteifreundschaft, Verrat und Rache und über einen Machtkampf in einer demokratischen Partei. Ein Dossier von Ulf B. Christen , Volker ter Haseborg , Karsten Kammholz und Lars-Marten Nagel
Dies ist keine Geschichte über die Liebe eines Politikers zu einem minderjährigen Mädchen. Sondern eine Geschichte über Prozesse in einer demokratischen Partei. Über das alltägliche Handwerk von Parlamentariern jenseits von Wahlen und Fraktionssitzungen. Hier geht es um Seilschaften, das Spiel mit Gerüchten und Medien.
Es ist knapp ein halbes Jahr her, dass Christian von Boetticher, der Hoffnungsträger der schleswig-holsteinischen CDU, abstürzte.
Er ist nicht mehr Spitzenkandidat für die Wahlen im Mai 2012. Er ist auch nicht mehr Landesvorsitzender, nicht mehr Fraktionsvorsitzender. Christian von Boetticher ist einfacher Abgeordneter. Nach den Wahlen steigt er aus der Landespolitik aus.
Er ist gestürzt, weil er eine Beziehung mit einem Mädchen eingegangen ist. Weil er nicht verstanden hat, dass für Politiker andere moralische Ansprüche gelten als für andere. Weil er seine Macht falsch eingeschätzt hat.
Aber Christian von Boetticher ist auch gestürzt, weil er in seiner Partei Feinde hatte. Die "Lolita-Affäre" bot ihnen den richtigen Anlass.
Politische Unkultur wiederholt sich im nördlichsten Bundesland der Republik. In den 80er-Jahren gab CDU-Ministerpräsident Uwe Barschel "sein Ehrenwort" darauf, dass er seinen politischen Konkurrenten Björn Engholm nicht mit schmutzigen Tricks bekämpft habe. Eine Lüge. Später musste auch Engholm zurücktreten, weil er im Gegensatz zu seinen Beteuerungen schon sehr früh über Machenschaften der Kieler Staatskanzlei informiert war. 2005 scheiterte SPD-Ministerpräsidentin Heide Simonis bei ihrer Wiederwahl - ein Abgeordneter aus den eigenen Reihen verweigerte ihr in vier erniedrigenden Wahlgängen die Stimme.
Für diese Geschichte hat das Abendblatt das Gespräch mit allen politischen Protagonisten der Affäre Christian von Boetticher gesucht. Einige haben gesprochen, darunter Christian von Boetticher. Die meisten wollten zwar über die Affäre reden, sich jedoch nicht zitieren lassen. Andere schwiegen. Am 6. Mai 2012 sind Wahlen in Schleswig-Holstein. Da kann jedes öffentliche Wort zu einer Affäre aus dem Spätsommer 2011 schaden. Die Reihen in Kiel haben sich nach dem Durcheinander wieder geschlossen. Christian von Boetticher ist draußen.
Die Protagonisten dieser Geschichte sind neben Christian von Boetticher:
Peter Harry Carstensen, Ministerpräsident, der Boetticher fallen ließ.
Daniel Günther, Landesgeschäftsführer der CDU, der Boetticher zunehmend skeptisch gesehen hat.
Torsten Geerdts, Präsident des Kieler Landtags, ein Gegner Boettichers.
Johann Wadephul, CDU-Bundestagsabgeordneter, der selber Ambitionen auf die Spitzenämter in Schleswig-Holstein hegt.
Ingbert Liebing, CDU-Bundestagsabgeordneter, anfangs loyaler Begleiter, später ein Kritiker Boettichers.
Jost de Jager, der neue Spitzenkandidat und Landesvorsitzende der CDU, der vorläufige Profiteur der Affäre.
Die Vorgeschichte
Nach der Landtagswahl 2009 wird Christian von Boetticher Fraktionsvorsitzender der CDU im Landtag. Als Landwirtschafts- und Umweltminister hat er sich einen guten Ruf erarbeitet. Er kann gut reden, hat einen lockeren Umgang mit den Leuten im Land. Carstensen hat ihn zu seinem Kronprinzen erkoren. Noch ein anderer hatte sich große Hoffnungen gemacht, Carstensen zu beerben: Johann Wadephul, Ex-Parteichef, Ex-Fraktionschef.
Boetticher und Wadephul wissen seit Zeiten in der Jungen Union, dass sie nicht auf der gleichen Seite stehen.
Nachdem Wadephuls Ambitionen in Schleswig-Holstein vorerst gescheitert sind, zieht er nach Berlin. Er wird Bundestagsabgeordneter, hofft auf eine Karriere in einem Ministerium. Doch der Plan geht nicht auf. Als Chef des CDU-Kreisverbands Rendsburg-Eckernförde, des größten und mächtigsten im Bundesland, hat er aber weiter Einfluss in seiner Heimat.
Wadephul hat sich in Schleswig-Holstein eine Seilschaft aufgebaut: Da ist zum einen Torsten Geerdts, den Wadephul zu Zeiten seines Fraktionsvorsitzes zum parlamentarischen Geschäftsführer gemacht hatte. Zwischen Geerdts und Boetticher stimmt die Chemie nicht.
Und dann ist da CDU-Landesgeschäftsführer Daniel Günther, der wie Wadephul aus dem Kreisverband Rendsburg-Eckernförde kommt. Günther leitete Wadephuls Wahlkreisbüro, war Geschäftsführer des Kreisverbands, bevor er Chef in der Landesgeschäftsstelle wurde.
Geerdts und Günther haben Wadephul also viel zu verdanken, das eint. Und noch etwas schweißt zusammen: Günthers Bruder arbeitet als persönlicher Referent für Geerdts.
Günther, Geerdts und Wadephul bilden den harten Kern der Gegner. Später wird auch der Bundestagsabgeordnete Ingbert Liebing zu dem Trio stoßen. Er sitzt mit Wadephul zusammen im Bundestag. Liebing ist stellvertretender Landesvorsitzender der CDU.
Das ist die Ausgangslage, als Christian von Boetticher 2009 Fraktionschef wird. Um seine Gegner erst einmal ruhigzustellen, macht er Deals mit ihnen. Er setzt sich dafür ein, dass Wadephul einen Platz im Bundesvorstand der CDU bekommt.
Mit Geerdts vereinbart er, dass dieser Landtagspräsident bleiben soll, auch nach der Wahl 2012. Günther erhält ebenfalls eine Job-Garantie und soll so zur Solidarität verpflichtet werden. Liebing wird Boetticher zu dieser Zeit noch nicht gefährlich.
Der Deal mit den Gegnern ist Boettichers erster großer Fehler. Anstatt das Netzwerk seiner Gegner zu zerschlagen, hat er zugelassen, dass sie in Schlüsselpositionen bleiben.
Fortan lässt Geerdts kaum eine Gelegenheit aus, um Boetticher im kleinen Kreis schlechtzumachen. Auch Daniel Günther springt seinem Chef bei politischen Fehlern immer seltener zur Seite. Wadepuhl und Liebing halten Kontakt zu den Kielern und warten ab.
Weil Carstensen hinter ihm steht, ist Boetticher zu dieser Zeit politisch nicht angreifbar. Privat schon.
Über sein Liebesleben schweigt er hartnäckig. Deshalb entstehen Gerüchte: Er sei homosexuell. Ihn kümmert das wenig.
Dass er auf Facebook von einem edlen Wein schwärmt, auf Sylt ein Poloturnier besucht und darüber im Internet berichtet, kommt bei den nüchternen Funktionären und an der Parteibasis nicht gut an. Es passt in das Bild, das viele von ihm haben: in einer adligen Familie aufgewachsen, großer Siegelring, gebildet, rhetorisch begabt. Er selbst fühlt sich überlegen.
Freunde und Gegner beschreiben ihn als großen Jungen. Wenn Boetticher sich in eine Sache vertieft, dann vergisst er die Welt um sich herum. So ist das mit Facebook. So ist das mit dem Hund von Freunden, mit dem er eine halbe Stunde lang spielen kann, ohne die Freunde zu beachten. So ist das mit den jungen Mitarbeiterinnen, die er anstupst und dabei wie ein kleiner Junge "Pieks!" ruft. Vielen erscheint er einfach zu unreif.
März 2010
In einem Düsseldorfer Hotel beginnt eine Liebesbeziehung. Christian von Boetticher trifft sich mit einem 16-jährigen Mädchen. Die beiden haben sich im Herbst 2009 über Facebook kennengelernt, Nachrichten ausgetauscht, zunächst über politische Themen gesprochen. Der Kontakt wurde immer intensiver, persönlicher, privater. Jetzt kommt es zu einem ersten Treffen, auch zu Sex. Christian von Boetticher wird später sagen, die Beziehung habe einige Monate gedauert.
April 2010
Das Mädchen reist über Ostern zu Boetticher. Gemeinsam schlendern sie durch Hamburg. Dabei werden sie von mehreren Parteifreunden gesehen. Es ist gut möglich, dass die Gerüchte um das Privatleben des Politikers in diesen Tagen ihren Ursprung erfahren. Denn Boetticher ist eigentlich seit vielen Jahren mit Anna Christina Hinze liiert, der damaligen Sprecherin der Hamburger CDU. Viele in Hamburg und Schleswig-Holstein wissen von der Verbindung der beiden. Später wird Boetticher sagen, dass er im Frühling 2010 nicht mit Hinze zusammen gewesen sei. Die Eltern seiner 16-jährigen Freundin wissen von der Beziehung, sie haben nichts dagegen, sagt Boetticher später. Er sieht die Sache juristisch: Ab 16 ist eine Beziehung mit Minderjährigen legal. Die moralische Seite sieht er nicht. Eine krasse Fehleinschätzung für einen Politiker, der Ministerpräsident werden will.
Ende April, Anfang Mai 2010
Es ist aus. Boetticher sagt, dass er die Beziehung zu dem Mädchen beendet habe, um es vor den Medien zu schützen. Das Mädchen wird eine andere Geschichte erzählen: Boetticher habe ihm signalisiert, dass sie sich weiter treffen könnten, jedoch diskret, bis es volljährig sei. Es habe sich getrennt - weil er nicht zu ihm gestanden habe.
Die Mutter des Mädchens besteht darauf, dass der Kontakt zwischen den beiden abgebrochen wird. Er sagt heute, dass er sich daran gehalten hat.
August 2010
Nur ein Jahr nach den Landtagswahlen ordnet das Landesverfassungsgericht Neuwahlen an. Teile des Landtagswahlrechts waren nicht verfassungsgemäß. Peter Harry Carstensen kündigt an, nicht wieder als CDU-Landeschef anzutreten. Er schlägt Christian von Boetticher als Nachfolger vor.
+++ Carstensen verliert und siegt: Neuwahlen im Norden +++
+++ Peter Harry Carstensen verzichtet auf CDU-Landesvorsitz +++
18. September 2010
Christian von Boetticher wird Landesvorsitzender der CDU. Carstensen bekräftigt, nicht wieder als Ministerpräsident kandidieren zu wollen. Damit ist klar: Boetticher ist auch als Spitzenkandidat gesetzt. Schon im Verlauf der kommenden Wochen werden Geerdts und Günther gegenüber anderen Abgeordneten sagen, dass die Landtagswahl mit Boetticher kaum zu gewinnen sei. Schon damals gibt es viele in der CDU, die auf einen anderen Kandidaten setzen, der sich aber selbst nicht in den Vordergrund drängt: Wirtschaftsminister Jost de Jager.
+++ Der König der Küste und sein junger Kronprinz +++
+++ Carstensen verzichtet - von Boetticher neuer Vorsitzender +++
15. Oktober 2010
Wenige Monate nach seiner Beziehung mit der 16-Jährigen heiratet Christian von Boetticher in Las Vegas seine langjährige Freundin Anna Christina Hinze. Selbst enge Freunde werden erst später davon erfahren. Zu dieser Hochzeit verweigern sowohl der Bräutigam als auch die Braut jegliche Auskunft. Heute sind die beiden nicht mehr zusammen. Hinze arbeitet weiterhin für die Hamburger CDU.
Anfang 2011
Das 16-jährige Mädchen hat angeblich Auszüge aus seinem Kontakt mit Boetticher an den Plöner CDU-Politiker André Jagusch weitergeleitet. Warum es das getan haben soll und warum gerade Jagusch der Empfänger sein soll, ist unklar. Jagusch ist in der Jungen Union aktiv, für die CDU sitzt er im Plöner Kreistag, auch er kommuniziert viel über Facebook. Als die Affäre öffentlich wird, taucht Jagusch ab. Für das Abendblatt war er nicht zu erreichen.
Februar 2011
Am Rande einer Landtagssitzung wird CDU-Landesgeschäftsführer Daniel Günther von einem Mann aus der Jungen Union angesprochen. Es ist nicht André Jagusch. Der Mann sagt, dass von Boetticher eine Beziehung zu einer Minderjährigen habe, die 14 oder 15 Jahre alt sei. Günther fordert Beweise, doch der Mann liefert keine. Günther, der engste Mitarbeiter von Boettichers, entscheidet, seinem Chef nichts zu erzählen. Das Verhältnis der beiden ist ohnehin nicht ungestört. Günther muss den Wahlkampf organisieren, er fühlt sich manchmal alleingelassen.
Später werden ihm seine Fraktionskollegen kritische Fragen stellen. Der Vorwurf: Als loyaler Mitarbeiter hätte Günther etwas sagen müssen. Zu diesem Zeitpunkt hätte man eine Kür Boettichers zum Spitzenkandidaten noch verhindern können.
Freitag, 6. Mai 2011
Auf dem Parteitag in Norderstedt wird Boetticher zum Spitzenkandidaten gewählt. Carstensen gibt eine Parole aus: "Ärmel aufkrempeln, gemeinsam kämpfen!" Die Stimmung ist alles andere als euphorisch. Vom Spitzenkandidaten sind viele nicht überzeugt. Boetticher bekommt 87 Prozent der Stimmen - kein starkes Ergebnis.
+++ CDU-Nord kürt von Boetticher zum Spitzenkandidaten +++
+++ Hoffnungsträger unter Druck +++
Juni 2011
Auch Johann Wadephul hat mittlerweile von der Sache gehört.
Vermutlich im Juni, in einer Fraktionssitzung, geraten Boetticher und der Landtagsabgeordnete Werner Kalinka aneinander. Kalinka ist ein Querkopf im Landtag, der früher als Journalist gearbeitet hat. Boetticher staucht Kalinka zusammen. Nach der Auseinandersetzung will ein CDU-Abgeordneter Kalinka auf dem Landtagsflur getroffen haben. Kalinka soll außer sich gewesen sein und gesagt haben, dass Boetticher so nicht mit ihm umgehen könne. Und er deutet angeblich an, dass da noch etwas komme. Kalinka kommt aus Plön - wie André Jagusch, der die Mails angeblich besitzt. Wenn man Kalinka heute auf die Sache anspricht, so streitet er jegliches Mittun beim Sturz Boettichers ab. Auch die Begegnung auf dem Flur hat es Kalinka zufolge nicht gegeben.
Anfang Juli 2011
Torsten Geerdts erfährt von einem Journalisten von den Gerüchten.
Mittlerweile geht in der CDU auch das Gerücht um, dass die SPD von der Affäre weiß. Und mehr noch: CDU-Leute befürchten, dass die SPD sogar den pikanten E-Mail-Verkehr vorliegen hat. Die Angst geht um vor dem Horrorszenario, dass die Sozialdemokraten mit ihrem Partei- und Fraktionschef Ralf Stegner kurz vor der Wahl ihre Informationen öffentlich machen.
Mittwoch, 13. Juli 2011
Peter Harry Carstensen erfährt von den "Lolita"-Gerüchten. Er versucht, Boetticher zu erreichen, vergeblich. Carstensen erkundigt sich bei Parteifreunden, ob sie von den Gerüchten gehört haben. Sie bestätigen das.
Dienstag, 19. Juli 2011
Carstensen konfrontiert Boetticher. Später wird der Ministerpräsident sagen, Boetticher habe "zögerlich, hinnehmend" reagiert. Der seinerseits erlebt einen zögerlichen Ziehvater, er fühlt sich in diesem Telefonat nicht zum Rücktritt gedrängt. Die beiden verabreden, dass sie nach Boettichers Urlaub in Dubai über die Sache reden.
Donnerstag, 28. Juli 2011
Boetticher, wieder in Deutschland, ruft bei Carstensen an. Er gibt die Beziehung mit dem Mädchen zu und erklärt, dass diese juristisch in Ordnung sei und Medien nicht über seine Privatsphäre berichten dürften. Carstensen wird später sagen, dass er schon in diesem Gespräch auf die politische Dimension hingewiesen habe. Er habe Boetticher zum Handeln aufgefordert. Der fühlt sich auch jetzt noch nicht bedrängt. Er glaubt, sein Förderer stehe weiter zu ihm. In diesen Tagen spricht auch Daniel Günther den Spitzenkandidaten auf die Gerüchte an. Boetticher sagt, das gehe niemanden etwas an.
Dienstag, 2. August 2011
Boetticher ist auf Sylt. In der Kleinen Teestube in Keitum ist er mit dem Bundestagsabgeordneten Ingbert Liebing verabredet. Liebing sagt heute, dass er an diesem Tag noch nichts von den Gerüchten gewusst habe. Er ist Boettichers Stellvertreter in der Partei. Er ist an der Westküste einer der mächtigsten CDU-Politiker und sieht sich innerhalb des Landesvorstands in einer besonderen Rolle. Er ist ebenfalls unzufrieden mit Boetticher. Liebing möchte mehr Verantwortung, sich mehr einbringen. Doch er fühlt sich von Boetticher nicht ernst genommen.
Die beiden plaudern über den bevorstehenden Landtagswahlkampf. Das Gespräch dauert zwei Stunden. Liebing bietet Boetticher seine Unterstützung an. Er will im Landtagswahlkampf mithelfen.
Boetticher könnte Liebing in seine Sorgen einweihen. Er tut es nicht. Das wird ihm Liebing später übel nehmen.
Montag, 8. August 2011
Erst jetzt erfährt Carstensen, dass Boetticher geheiratet haben soll. Er ist entsetzt. Der Ministerpräsident ist kein Mann der schnellen Entscheidungen. Er will seinen Kronprinzen nicht alleine fallen lassen. Er ruft Vertraute zu sich, darunter Finanzminister Rainer Wiegard und Innenminister Klaus Schlie. Sie besprechen die Situation und beschließen: Boetticher muss die Sache selbst klären - oder notfalls dazu gezwungen werden. Die Zeit drängt: Die Schulferien sind fast vorbei, in einer Woche ist die nächste Parlamentssitzung. Und der Wahlkampf naht.
Jost de Jager, der gerade aus dem Urlaub zurückgekehrt ist, wird darauf vorbereitet, die Nachfolge als Spitzenkandidat anzutreten.
Er fällt aus dem Rahmen in dieser Geschichte. Er gilt in allen Lagern der CDU als uneitler, fleißiger und erfolgreicher Minister. Zu ihm als Spitzenkandidaten gäbe es nach Boettichers Sturz keine Alternative. Er selbst spielt beim dabei keine aktive Rolle - so versichern es alle Protagonisten.
Dienstag, 9. August 2011
Carstensen und Boetticher telefonieren. Der Landesvater wirkt verändert. "Ich glaube, du kannst kein Spitzenkandidat mehr bleiben", sagt er laut Boetticher. Der versteht nicht, warum Carstensen plötzlich gegen ihn ist. Aber er weiß: Jetzt muss er handeln.
Am gleichen Tag informiert der Ministerpräsident Bundeskanzlerin Angela Merkel über die Affäre. Die ist wenig amüsiert und fragt Carstensen, ob er nicht noch einmal antreten will. Carstensen lehnt ab. Sein Krisenmanagement läuft, doch sein Nachfolge-Kandidat stellt jetzt Ansprüche: Jost de Jager pocht darauf, neben der Spitzenkandidatur auch den Parteivorsitz zu übernehmen. Er weiß nur zu gut, dass es Quertreiber in seiner Partei gibt, diese hätte er als Parteivorsitzender besser im Griff.
Der Münsteraner Medienberater Jost Springensguth bekommt einen Anruf. Ein Freund sagt ihm, dass Boetticher seine Hilfe benötige. Springensguth kennt Schleswig-Holstein und die CDU dort gut: Ende der 70er-Jahre war er Pressesprecher der CDU-Fraktion, danach berichtete er für die "Kieler Nachrichten" über die Landespolitik, später war er Chefredakteur des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlags. Nach seiner Karriere als Journalist wechselte er wieder die Seiten. 2009 hat Springensguth Peter Harry Carstensen im Wahlkampf beraten und dabei auch Boetticher kennengelernt.
Springensguth ruft Boetticher an. Er sagt ihm, dass die Presse nicht über die Beziehung zu der 16-Jährigen berichten wird. Es sei denn, seine Parteifreunde machen ein politisches Thema daraus.
Mittwoch, 10. August 2011
In Kiel kommt die Wahlkampfkommission zusammen. Es geht um organisatorische Fragen. Es ist absurd: Der Spitzenkandidat weiß, dass er angezählt ist; Wahlkampfmanager Günther und auch andere wissen, dass sie Boetticher wohl nicht auf die Wahlplakate drucken werden. Aber trotzdem werden die Gerüchte in der Sitzung nicht angesprochen, Boetticher lässt sich nichts anmerken.
Auch Liebing ist nach Kiel gekommen. Nach der Sitzung spricht er Boetticher auf die Beziehung mit der Minderjährigen an. Dieser räumt die Sache ein und verspricht, sich darüber Gedanken zu machen, ob er alles offenlegen werde.
Donnerstag, 11. August 2011
Im Kieler Landgasthof Falkenhorst veranstaltet die CDU-Fraktion ihre "Stallwachenparty". Die Feier gilt als Gerüchte-Börse. Das Privatleben Boettichers ist d a s Tuschelthema. Vordergründig geht es um die angebliche Hochzeit des Spitzenkandidaten, aber auch die Affäre mit der Minderjährigen wird kolportiert. Wenn Gerüchte erst einmal kursieren, nehmen sie merkwürdige Gestalt ein. Ob Zufall oder Böswilligkeit - bald heißt es, dass der verheiratete Boetticher seine Frau mit einer 14- oder 15-Jährigen betrogen habe.
Einem Landtagsabgeordneten fällt die gute Laune von Torsten Geerdts auf. Der soll sich über die Tuscheleien sehr freuen, lächelnd umhergehen und sagen: "Alles wird gut, alles wird gut." Geerdts sagt heute, dass ein solcher Satz von ihm gefallen sein kann. "Mein Optimismus ist eben unerschütterlich."
Schon früher hatte er bei einem CDU-Treffen in einem Biergarten in Kiel-Gaarden über Boetticher hergezogen, ihn als "Prinz Charles" bezeichnet. Geerdts erklärt dazu heute: "Ich bin sicher, dass in der Partei über mich auch der eine oder andere Kosename kursiert. Ich empfinde das aber nicht als Lästerei."
Freitag, 12. August
Erst jetzt erfährt die stellvertretende Landesvorsitzende der CDU, Angelika Volquartz, von den Gerüchten. Volquartz ist die dienstälteste Politikerin im Landesvorstand, eine Art moralische Instanz. Es ist Günther, der sie informiert. Er bringt eine Sondersitzung des geschäftsführenden Landesvorstands ins Gespräch. Volquartz ist einverstanden.
Günther informiert alle Mitglieder des Gremiums über die Lage und die Sondersitzung. Um 17 Uhr ruft er Boetticher an. Der scheint auf den Anruf vorbereitet zu sein. Die beiden einigen sich, dass die Sitzung am kommenden Sonntag, 14. August, 18 Uhr, stattfinden soll.
Boetticher soll selbst zu der Sitzung einladen. Er verschickt SMS an die sieben Mitglieder: an die Vize-Parteichefs Reimer Böge, Ingbert Liebing, Rasmus Vöge und Angelika Volquartz, an Daniel Günther, den Schatzmeister Hans-Jörn Arp und den Vize-Schatzmeister Johannes Callsen.
Normalerweise werden zu solchen Sitzungen noch andere Funktionsträger eingeladen: Boetticher-Freund Ole Schröder, der parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium. Oder Axel Bernstein, der parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion, ebenfalls ein Freund des Parteichefs. Auch Ministerpräsident Carstensen und Landtagspräsident Geerdts kommen normalerweise zu den Sitzungen.
Boetticher lädt sie alle nicht ein. Er glaubt, ohne Unterstützung auskommen zu können. Er rechnet Volquartz und Liebing zu seinen Verbündeten. Eine Fehleinschätzung.
Sonnabend, 13. August
Boetticher und Springensguth arbeiten im Münsteraner Büro des Medienberaters die Kommunikationsstrategie für den folgenden Tag aus. Der Plan: die Parteifreunde beschwichtigen.
Um 18.13 Uhr schickt Günther eine E-Mail nicht nur an die Medien, sondern auch an viele Parteimitglieder. Der Betreff der Mail: "Von Boetticher kündigt persönliche Erklärung an". Neben dem Termin steht dort der folgende Satz: "Er sieht sich dazu veranlasst, weil er sich mit Gerüchten und daraus resultierenden Wertungen konfrontiert sieht, die zum Teil auf Spekulationen beruhen, die seine Privatsphäre berühren."
Die Vorlage zu dieser Mail kommt aus dem Büro des Medienberaters Springensguth. Der Berater liefert den Medien also die Steilvorlage.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatten auch Journalisten nur von Gerüchten gehört. Gerüchten aus dem Privatleben eines Politikers. In Deutschland gilt die Devise: Das Privatleben geht die Öffentlichkeit nichts an, solange es privat ist. Wenn das Private jedoch politisch wird, gehört es an die Öffentlichkeit.
Christian von Boettichers Affäre wird in dem Moment politisch, in dem der Landesgeschäftsführer verbreitet, dass das höchste Parteigremium sich mit "Gerüchten", "Spekulationen" und der "Privatsphäre" des Spitzenkandidaten befasst. Mit der Zurückhaltung der Medien ist es vorbei. Um 19.27 Uhr verschicken die "Lübecker Nachrichten" einen Vorab-Bericht an die Nachrichtenagenturen, in dem sie auf ihre Berichterstattung des nächsten Tages verweisen: "Schleswig-Holsteins CDU-Parteichef und Spitzenkandidat Christian von Boetticher, 40, muss sich am Sonntagabend vor seinen Parteifreunden zu einer Liebesbeziehung zu einer Jugendlichen erklären."
Die Journalisten mehrerer am Sonntag erscheinender Zeitungen fragen bei Carstensen eine Stellungnahme an. Und Carstensen gibt seinen politischen Ziehsohn endgültig zum Abschuss frei, indem er unmissverständliche Zitate zur Veröffentlichung freigibt: "Ich habe auf die Brisanz dieser Gerüchte hingewiesen und ihm empfohlen, sehr offen und sehr offensiv mit diesen Gerüchten umzugehen. Ich bin davon überzeugt, dass Christian von Boetticher auch aus diesen Gesprächen die richtigen Schlüsse ziehen wird."
Der Ministerpräsident bestätigt damit nicht nur die Affäre, er legt Boetticher öffentlich den Rücktritt nahe.
+++ Spitzenkandidat von Boetticher wegen Affäre mit 16-Jähriger unter Druck +++
+++ Rücktrittsgerüchte: Wie tickt Christian von Boetticher? +++
Sonntag, 14. August
Drei Sonntagszeitungen berichten über die Affäre. Die Schlagzeilen lauten: "Der Kandidat und das Mädchen" oder "Liebes-Affäre mit Schülerin". Auch in Neumünster kommt die Nachricht an. Sabine Krebs ist stellvertretende Vorsitzende des CDU-Kreisverbandes. Sie ist empört über Boetticher.
Am 20. August soll der Spitzenkandidat die Neumünsteraner CDU auf ihrem Sommerfest beehren. Krebs findet: Boetticher ist nicht mehr erwünscht.
Später an diesem Tag wird ein Kamerateam des NDR Sabine Krebs und ihre Parteifreundin Anna-Katharina Schättiger dabei filmen, wie sie den Namen Boettichers auf den Sommerfest-Plakaten überkleben. Die Bilder zeigen: Die Partei will Boetticher nicht mehr. Und Bilder sind sehr mächtig.
Bis zu diesem Zeitpunkt hat Boetticher die Affäre nicht öffentlich eingestanden. Die Plakat-Aktion ist ein klarer Fall von Vorverurteilung - dafür werden Krebs und Schättiger später auch in ihrem Kreisverband Ärger bekommen. Die beiden stellen ihre Aktion heute als eigenmächtig dar. Sie sagen aber auch, dass sie im Kreisverband darüber gesprochen haben.
Welche Rolle spielte dabei Torsten Geerdts? Ein Mitglied aus dem Kreisvorstand schreibt per Facebook: "Ich hätte diese Aktion in jedem Fall verhindert, aber da außer dem ehemaligen Kreisvorsitzenden und den beiden Damen niemand informiert wurde und ich erst Sonntagabend gegen 21 Uhr davon erfuhr, ergab sich keine Möglichkeit mehr, einzuschreiten." Geerdts sagt auf Abendblatt-Anfrage: "Es handelt sich wohl um eine sehr spontane Aktion einzelner Mitglieder, in die ich nicht eingebunden war." Er wolle die Aktion vier Monate später "nicht mehr bewerten".
Interessant ist ein Blick auf die Facebook-Seite der Jungen Union Neumünster. Am Vorabend der Aktion, ab 18 Uhr, hatte die JU ihre Freunde zu einer "Sommerbowle" geladen. Während der Party hat Landesgeschäftsführer Günther in Kiel die pikante Einladung für die Pressekonferenz abgeschickt. Auf der Facebook-Seite der JU sind die Fotos der Party dokumentiert. Auf einem der Bilder: Torsten Geerdts, zusammen mit Sabine Krebs und Anna-Katharina Schättiger, die ihm gegenüber auf einer Holzbank sitzen. Wenige Stunden später werden Krebs und Schättiger die Boetticher-Plakate überkleben.
Kiel, gegen 17.30 Uhr. Boetticher trifft mit Springensguth in der CDU-Landesgeschäftsstelle ein.
Auf dem Tisch liegen, für jeden Teilnehmer ausgedruckt, die kritischen Zeitungsartikel des Tages. Der Europaabgeordnete Reimer Böge ist als Einziger nicht erschienen.
Boetticher beginnt mit einem selbstbewussten Vortrag. Zehn, 15 Minuten spricht er. Er beschuldigt seine Parteifreunde eines Komplotts: Sie hätten Details aus seinem Privatleben an die Medien gegeben. Er sagt, dass er bereit sei, die Spitzenkandidatur aufzugeben, wenn er den Landes- und Fraktionsvorsitz behalten kann. Seine Zuhörer schweigen erst mal.
Ingbert Liebing, der vermeintliche Verbündete, erwidert als Erster. Er sagt, dass die Affäre nicht zu akzeptieren sei. Daniel Günther, sein engster Mitarbeiter, sagt, dass er nicht mehr mit Boetticher zusammenarbeiten könne. Einer nach dem anderen lässt ihn fallen. Keiner verteidigt ihn. Dieser ist, nach eigenen Worten, verwundert darüber, wie aggressiv er in die Enge getrieben wird. Er hat die Situation völlig falsch eingeschätzt. Plötzlich stellen die Parteifreunde Fragen zu seiner Hochzeit, sie wollen wissen, ob er verheiratet sei. Er blockt die Fragen ab.
Am Ende der Runde fragt er, welche politische Perspektive er habe. Die Antwort seiner Parteifreunde: keine.
Es geht um mehrere Ämter, die jetzt für andere greifbar werden: Da ist die Spitzenkandidatur - an Jost de Jager führt kein Weg vorbei. Da ist der Parteivorsitz - für den auch Liebing oder Geerds infrage kommen könnten.
Und da ist der Fraktionsvorsitz, auf den zu dieser Zeit auch zwei Anwesende hoffen: Hans-Jörn Arp und Johannes Callsen.
Boetticher glaubt festzustellen, dass seine Gegner selbst damit leben könnten, dass er auch sein Landtagsmandat zurückgibt. Dann hätte die schwarz-gelbe Koalition keine Mehrheit mehr, die Regierung wäre am Ende. Für ihn ist in diesem Moment klar, dass er sein Mandat behalten wird. Er möchte nicht der Sündenbock für alles sein.
Nach drei Stunden Debatte steht fest: Boetticher verzichtet auf die Spitzenkandidatur und den Landesvorsitz.
Über den Fraktionsvorsitz soll die Fraktion bei ihrer Sitzung zwei Tage später entscheiden, Boetticher gewinnt also Zeit. Er soll im Gegenzug darauf verzichten, seine Parteifreunde öffentlich der Illoyalität zu bezichtigen.
Der gesamte geschäftsführende Landesvorstand soll sich vor die Journalisten stellen, Boettichers Verdienste sollen gewürdigt werden. Die Alternative wäre ein getrennter Auftritt nach der Sitzung: eine Art fristlose Kündigung, nach der sowohl Partei als auch der Gestürzte wesentlich schärfer über die andere Seite gesprochen hätten. Auch auf dieses Szenario hat sich Boetticher vorbereitet.
Weil so viele Journalisten erwartet werden, findet die Pressekonferenz im Hotel Steigenberger Conti-Hansa statt.
Um 21.05 Uhr stellt sich Christian von Boetticher vor die Mikrofone, die Mitglieder des geschäftsführenden Landesvorstands stehen neben ihm. Seine Stimme stockt, er atmet tief durch und sagt: "Ja, es ist wahr: Ich hatte mich im Frühjahr 2010 in einer junge Frau verliebt und bin mit ihr mehrere Monate zusammen gewesen." Die Beziehung sei keine Affäre gewesen. "Es war schlichtweg Liebe." Boetticher äußert Verständnis dafür, dass die Verbindung auf moralische Vorbehalte treffen kann und dass "ein Bedrohungs- und Erpressungspotenzial gegenüber meiner Partei, mir und damit auch Personen, die ich liebe und schätze, entstehen" könnte. Schließlich sagt er, dass er auf die beiden Ämter verzichtet.
Angelika Volquartz reicht Boetticher ein Taschentuch. Dann erfüllt sie ihren Teil der Abmachung. Sie sagt, dass die Liebesbeziehung zwischen Boetticher und dem Mädchen "unstrittig rechtlich zulässig gewesen ist". Der Rücktritt diene dem Schutz der Privatsphäre Boettichers. "Für den geschäftsführenden CDU-Landesvorstand ist sein politisches Talent unstrittig." Sie huldigt dem Gefallenen, erwähnt seine Zeit als Europaabgeordneter, als Minister, als Fraktionschef. "Deshalb bedauert der geschäftsführende Landesvorstand die aktuelle Entwicklung zutiefst." Dann gehen die sieben Vorstandsmitglieder auseinander.
+++ Rücktritt: Von Boetticher stolpert über Beziehung mit Jugendlicher +++
+++ Eine Frage der Moral +++
Montag, 15. August 2011
Am Morgen glaubt Boetticher noch daran, dass er seinen Fraktionsvorsitz halten kann. Um 8.30 Uhr erscheint er im Kieler Landeshaus zu einer Mitarbeiterehrung. Es ist der einzige Routine-Termin an diesem Tag. Danach zieht er sich mit Springensguth in sein Fraktionsvorsitzenden-Zimmer mit Blick auf die Kieler Förde zurück.
Offenbar dringt nach außen, dass Boetticher noch kämpfen will. Und so helfen seine Gegner nach, indem sie die Zukunft vorhersagen. Um 14.22 Uhr tickert die Deutsche Presseagentur: "Boetticher tritt auch als Fraktionschef zurück". Zitiert wird ein Bericht der Zeitung "Die Welt". Das Blatt beruft sich auf "ein Mitglied des CDU-Landesvorstandes".
Boetticher ist entsetzt. Doch den Rücktritt öffentlich dementieren? Einen Tag vor der schwierigen Fraktionssitzung? Er müsste Truppen um sich sammeln für einen aussichtslosen Kampf.
Es ist vorbei. Er richtet ein Schreiben an die Abgeordneten seiner Fraktion: "Um weiteren Schaden von meinem Umfeld, von meiner Fraktion und von meiner Person abzuwenden, habe ich mich heute um 17.10 Uhr entschieden, auch als Vorsitzender der CDU-Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag zurückzutreten." Die Uhrzeit schreibt er bewusst in den Brief. Seinen Ärger verbirgt er nicht: "Eine bereits zuvor aus Reihen des Landesvorstandes abgegebene diesbezüglich Erklärung hat mich allerdings sehr irritiert."
Boetticher taucht ab. Viele Journalisten wollen mit ihm, seiner Familie, seinen Freunden sprechen. Er versteckt sich an wechselnden Orten. Ein Freund von ihm, er ist Richter an einem Amtsgericht, sieht keinen anderen Ausweg, sich der wartenden Journalisten zu entziehen, als sich liegend im Kofferraum eines Kombis aus der Tiefgarage fahren zu lassen.
Scheibchenweise wird Boettichers Medienberater Springensguth in den Tagen danach Boettichers Geschichte an die Medien geben. Das eine Blatt darf ihn als Erstes treffen, ein anderes bekommt das erste Foto nach dem Sturz, ein weiteres das erste Interview.
Sein Kunde schafft es später noch einmal in die Klatschspalten, als er auf dem CDU-Bundesparteitag mit Anette Fröhlich tanzt. Fröhlich ist die Ex-Geliebte von CSU-Chef Horst Seehofer.
+++ CDU-Chef tritt nach Affäre mit Teenager zurück +++
+++ Wenn das Privatleben zum Politikum wird +++
Dienstag, 16. August 2011
Der dienstälteste aller CDU-Kreisvorsitzenden, Timm Hollmann aus Dithmarschen, ruft alle weiteren Kreisvorsitzenden an. Ohne sie geht nichts in der Kandidatenfrage. Johann Wadephul gibt zu bedenken, dass es in seinem Kreisverband Rendsburg-Eckernförde Stimmen gebe, die sich eine Trennung der Ämter mit einem Spitzenkandidaten de Jager und einem Parteichef Geerdts vorstellen könnten. Doch er kann sich nicht durchsetzen. Das Stimmungsbild ist klar: Jost de Jager soll nicht nur Spitzenkandidat, sondern auch Parteichef werden.
Die Fraktion tagt an diesem Tag ohne Boetticher. Ein neuer Fraktionschef soll erst in zwei Tagen gewählt werden. Es ist klar, dass Arp sich nicht durchsetzen wird. Die Entscheidung soll zwischen Callsen und Finanzpolitiker Tobias Koch fallen.
Die Abgeordnete Ursula Sassen meldet sich. Sie will wissen, ob aus der Partei Informationen an die Presse durchgestochen wurden. Sie fordert Aufklärung vom Parteivorstand. Ihr Ansinnen wird zu Protokoll genommen.
Am Abend einigt sich der erweiterte Landesvorstand darauf, dass Jost de Jager neuer Landesvorsitzender und Spitzenkandidat werden soll.
+++ Landesvorstand: Jost de Jager wird CDU-Spitzenkandidat +++
+++ Der neue CDU-Spitzenkandidat de Jager ist erleichtert +++
Donnerstag, 18. August 2011
Die CDU-Fraktion wählt Johannes Callsen in seiner Sondersitzung zum neuen Fraktionschef. Unverhofft steigt er zu einem der mächtigsten Männer in Kiel auf. Er gilt als bescheiden, unabhängig. Deshalb hat sich Jost de Jager für ihn stark gemacht.
Nur vier Tage nach dem Rücktritt Boettichers hat die CDU alle drei Spitzenpositionen neu besetzt. Für die einen ist das ein gelungenes Krisenmanagement. Für die anderen ein Hinweis auf eine Intrige.
+++ Johannes Callsen ist neuer Fraktionschef der Nord-CDU +++
+++ Nord-CDU nach vier Affären-Tagen wieder komplett +++
Dienstag, 13. September 2011
Christian von Boetticher kehrt als Abgeordneter in den Landtag zurück. Er sitzt jetzt in der dritten Reihe. Er bekommt häufig Mails. Darin versichern ihm Parteifreunde, dass sie nichts mit seinem Sturz zu tun haben. Das wisse er doch, oder?
+++ Boetticher erstmals nach Rücktritt im Landtag +++
+++ Rückkehr ins Rampenlicht +++
Freitag, 16. September 2011
Der Elmshorner Landtagsabgeordnete Michael von Abercron meldet sich im Landesvorstand zu Wort. Er fordert die Aufklärung der Affäre. Er befürchtet, dass in den E-Mails von Boetticher und seiner minderjährigen Ex-Freundin weitere belastende Fakten stehen, die im Wahlkampf hochkommen könnten. Abercron scheitert mit seinem Vorstoß. Volquartz erwidert: Ein Offenlegen der Hintergründe sei nicht hilfreich. Das würde der Partei schaden. Es sei schließlich Landtagswahlkampf.
Christian von Boetticher schaut sich in diesen Tagen nach einem neuen Job um. Er hat Angebote aus der Wirtschaft. Für seine CDU sieht es nicht gut aus für die Landtagswahlen im Mai. Wenn Jost de Jager die Wahl verliert, steigen die Chancen, dass Männer wie Geerdts, Liebing, Wadephul und Günther in die erste Reihe kommen. Aus der Opposition heraus lässt sich gut Politik machen. So manch einer hat einkalkuliert, dass die Union auch bei der Bundestagswahl 2013 abgewählt werden kann. Aus der Opposition im Bund heraus gewinnt man besser Landtagswahlen, das hat die Geschichte gezeigt. Vielleicht erst im Jahr 2017. So mancher Protagonist der Affäre Christian von Boetticher hat noch genug Zeit.