Im Abendblatt-Gespräch verriet der CDU-Politiker, dass der politische Ausstieg eine Option ist. Am Dienstag trat er erstmals öffentlich wieder auf.
Kreis Pinneberg. Nach ersten öffentlichen Auftritten als Zaungast (wir berichteten), kehrt CDU-Politiker Christian von Boetticher als Akteur auf die politische Bühne zurück. Am Montagabend kam der Pinneberger zur Nominierung von Landtagskollegin Barbara Ostmeier nach Wedel. Am gestrigen Dienstag nahm er erstmals wieder an der Sitzung der Landtagsfraktion in Kiel teil. Die neuerliche offizielle Anfrage der Pinneberger Redaktion des Hamburger Abendblatts wegen eines Gesprächs wurde nicht erhört - aber wir trafen den über die Lolita-Affäre gestürzten Politiker auf offener Straße und konnten kurz mit ihm sprechen.
Er ist sichtlich nervös, schaut sich wiederholt um, wirkt gehetzt: Ganz wohl fühlt sich Christian von Boetticher im öffentlichen Alltagsleben offensichtlich noch nicht. Gerade hatte die Redaktion bei seiner Parteifreundin und Mitarbeiterin Natalina Boenigk abermals wegen eines Gesprächs angefragt, da kommt es zur (Zufalls-)Begegnung mit von Boetticher in der Pinneberger Innenstadt. Gegenseitiges Erkennen und Zunicken, danach sieht es für einen Augenblick so aus, als wolle er, das Handy am Ohr, weiter laufen. Dann aber beendet der Pinneberger Politiker, der vor gut einem Monat wegen einer Affäre mit einem 16 Jahre alten Mädchen bundesweit in die Schlagzeilen geraten war, sein Telefongespräch und begrüßt seinen Gegenüber. Wie es so gehe, möchte er wissen. "Dass muss man doch wohl Sie fragen." "Ja, klar", so von Boetticher lachend. Er kehre ins Leben zurück, sagt der 40 Jahre alte Berufspolitiker und erzählt, wie wohl ihm der freundliche Empfang während einer Kulturveranstaltung in Haseldorf getan habe. Es gehe ihm jetzt besser - "aber die erste Zeit war der Hammer!"
Die "erste Zeit", damit meint von Boetticher die Tage im August, nachdem bekannt geworden war, dass er eine Liebesbeziehung mit einer seinerzeit 16 Jahre alten Internetbekanntschaft gehabt hatte. Da waren auch Freunde und vor allem die Familie in den Sog der Ereignisse gerissen worden. Gerade das hat von Boetticher besonders zu schaffen gemacht: "Als Politiker muss ich selbst wohl damit leben."
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Ein älterer Mann kommt von seitlich heran, von Boetticher guckt ihn irritiert an. "Ich muss ihnen mal was sagen", hebt der Senior lautstark an, der den Politiker auf der Straße erkannt hat, "was ihre Partei mit ihnen gemacht hat, ist wirklich eine Riesensauerei gewesen. Ich jedenfalls gehe nicht mehr zur Wahl!" Von Boetticher bedankt sich artig für diese spontane Sympathiebekundung.
"Von der Opposition hätte man das vielleicht erwarten können, aber doch nicht von der eigenen Partei." Von Boetticher zielt darauf ab, dass im Raum steht, Parteifreunde könnten gezielt Informationen zu seinem Privat- und Liebesleben gesammelt und an entscheidenden Stellen platziert haben.
Nach seinen Rücktritten als Landesvorsitzender und Fraktionschef der schleswig-holsteinischen CDU und als Spitzenkandidat seiner Partei für die Landtagswahl im kommenden Jahr, hatte der Pinneberger sich absolut rar gemacht, war nicht mehr in der Öffentlichkeit erschienen. Selbst hiesige Parteifreunde wussten nicht, wo er steckte. Er habe alle Medienanfragen abgelehnt. "Ich hätte mich in allen Talkshows ausheulen können."
Stattdessen meldete sich von Boetticher für die Augustsitzung des Landtags krank, und zwar ohne Gelben Zettel: "Ich hätte mir das aber jederzeit von einem Arzt bestätigen lassen können." Dass er jetzt zurückkehrt und seine Tätigkeit als Landtagsabgeordneter aufnimmt, stand für von Boetticher selbst außer Frage. "Ich wollte bestimmt nicht der sein, der die Mehrheit der Landesregierung stürzt!"
Am Abend zuvor: Während der Nominierung von Barbara Ostmeier zur Kandidatin für den Wahlkreis 24, genießt von Boetticher den Zuspruch der Basis sichtlich. Zwar gibt es hinter vorgehaltenen Händen auch die eine oder andere frotzelnde Bemerkung, die man einem Parteifreund nicht ins Gesicht und schon gar nicht in der Öffentlichkeit sagt, doch nach außen ist alles eitel Sonnenschein und von Boetticher spielt seinen Charme aus: Lächeln, keine Bemerkung der Verbitterung oder Kritik. Statt dessen reichlich "Dankeschöns" fürs Schulterklopfen.
Viel Zeit nimmt sich der Fast-Zwei-Meter-Mann für Elly Löchert aus Uetersen. Sie ist 80, kann schlecht gehen und von Boetticher beugt sich minutenlang zu ihr herunter, um ihr zuzuhören. Ist das schon der Beginn eines neues Wahlkampfes?
Mit stehenden Ovationen wird die Hetlinger Bürgermeisterin Barbara Ostmeier im Schulauer Fährhaus gefeiert: Mit 90 von 91 Stimmen küren die Mitglieder aus Wedel, Uetersen, aus Holm, Heist, Hetlingen, Haseldorf, Haselau, Heidgraben und Moorrege die Bürgermeisterin von Hetlingen zur Kandidatin des Wahlkreises 24. Sie will sich in ihrer zweiten Amtszeit unter anderem der "Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung" widmen.
Lässt sich auch von Boetticher wie von seinem Heimatkreisverband geplant als Direktkandidat im Wahlkreis 25 auf den Schild heben? Er werde sich noch in dieser Woche entscheiden, ob er in der Landespolitik weiter mache, kündigt der Abgeordnete an. "Ich führe Gespräche dazu innerhalb und außerhalb der Politik", sagt von Boetticher, "ehrlicherweise muss man sagen, dass es schwer ist jemanden zu finden, der aus der Politik ausgestiegen ist, und hinterher wieder zurück will". Endlich freie Wochenenden haben, endlich nicht beinahe ständig von Journalisten beobachtet zu werden: Darauf hatte der heute 40-Jährige selbst lange verzichten müssen. Zu lange? Von Boetticher macht keinen Hehl daraus, dass für ihn auch der Ausstieg aus der Politik eine Option ist. Er muss los Richtung Kiel. Händedruck, dann eilt von Boetticher über die Straße Richtung seines Wahlkreisbüros. Und es bleibt der Eindruck eines Gehetzten.