Exklusiv auf abendblatt.de: die Festnahme der PKK-Anhänger auf Video. Und der Bericht der 31-jährigen Carola M. über die Zeit der Angst an Bord.

Sie pendelt täglich auf ihrem Arbeitsweg zwischen Finkenwerder und der Hamburger City mit der Linie 62. Doch am Donnerstag Abend wurde der Rückweg für die 31 Jahre alte Carola M. (Name von der Red. geändert) aus Finkenwerder zum Albtraum. Sie war einer der Passagiere der Hafenfähre "Elbmeile", die von Kurden gekapert wurde. Im Gespräch mit Abendblatt.de schilderte die junge Frau die schrecklichen Momente. Sie klingt gefasst, doch an einigen Stellen des Gesprächs ist deutlich zu spüren, wie viel Kraft es sie kostet, zu berichten. Doch es erscheint auch wie der Versuch, mit einem Ereignis fertigzuwerden, das im Rückblick fast irreal erscheint - und das Leben verändert. Carola M. sagt über die Entführung : "Es war beklemmend. Ich wollte nur weg!"

Donnerstag, später Nachmittag auf der Elbe. Die Hadag-Fähre "Elbmeile" der Linie 62 soll kurz vor halb sechs Uhr Finkenwerder erreichen. Carola M. steht unter Deck, dort, wo sie – wie sonst auch immer auf dem Weg nach Hause – ihr Fahrrad abgestellt hat. Die Szenerie an Bord ist zunächst wie an anderen Tagen auch. Touristen und Einheimische, darunter ältere Leute und Mütter mit Kindern, plaudern und blicken auf die grauen Elbwellen.

Carola M.: "Plötzlich gab es eine seltsame Durchsage. Ich dachte zunächst: Da hat sich jemand einen Scherz erlaubt, und der Kapitän hätte einen Freund ans Mikrofon gelassen."

Die Durchsage lautet etwa so: "Wenn ihr mich hört, einmal die Hände hochhalten!" Die Passagiere blicken sich verwundert um, einige reagieren. "Dann war eine Frauenstimme zu hören", so Carola M. weiter.

"'Bitte schenken Sie uns eine Minute Ihrer Aufmerksamkeit', hat sie ganz höflich gesagt", so M. Dann geht es um das Anliegen der Entführer, die Anhänger der verbotenen kurdischen Arbeitspartei PKK fordern die Freilassung ihres Anführers Öcalan in der Türkei. Sie entrollen Spruchbänder und wollen ein Anlegen des Schiffes in Finkenwerder verhindern, wollen angeblich Richtung Nordsee. Es handelt sich um sechs türkische und drei deutsche Staatsangehörige, im Alter zwischen 16 und 26 Jahren, wie sich später herausstellt.

Carola M.: "Das Schiff trieb führerlos auf der Elbe. Wir haben das aber zunächst überhaupt nicht realisiert, was da passiert." Die Lage wird angespannter. "Ein Hund hat angefangen zu bellen, die Strömung trieb uns Richtung Teufelsbrück. Ein Mädchen begann zu weinen, ich habe versucht, sie zu beruhigen." Doch das Kind ist offenbar wie seine Großmutter, die es begleitet, ausländischer Herkunft und versteht wohl gar nicht genau, worum es geht.

Dass die führerlose "Elbmeile" von einem anderen Schiff gerammt werden könnte, darüber macht sich Carola M. erst später Gedanken. "Wir haben richtig Glück gehabt. Und das haben wir vor allem dem Kapitän zu verdanken. Er war unglaublich cool. Wer weiß, was ohne ihn noch passiert wäre..." An dieser Stelle versagt Carola M. die Stimme. Dann fasst sie sich wieder. "Wir sind doch alle als völlig Unschuldige dort in diese Situation hineingezogen worden. Wir wurden plötzlich aus dem Alltag gerissen."

Dann geht alles ganz schnell. Die Polizei, die von Passagieren benachrichtigt worden ist, geht mit einem Schiff längsseits, die unbewaffneten Entführer ergeben sich. Die Passagiere werden an Land gebracht. Carola M.: "Wer nichts weiter beobachtet hatte, durfte nach Feststellung der Personalien gehen. Die anderen wurden nach ihren Beobachtungen befragt." Auch Carola M., die auf der Wache in Finkenwerder ihre Beobachtungen mitteilt. "Die Finkenwerder Polizisten haben sich rührend um uns gekümmert. Sie haben uns Tee und Kaffee und Süßigkeiten angeboten. Dann wurden wir vernommen. Aber es waren nur zwei Polizisten dabei, so dauerte das Ganze etwas länger."

Erst gegen 23.30 Uhr trifft die Angestellte aus Finkenwerder zu Hause bei ihrem Freund ein. Dort fließen bei ihr die Tränen, nach dem Schock. Wie geht es jetzt weiter? Carola M. ist krankgeschrieben und muss das Erlebte erst einmal verarbeiten. "Die Polizei hat uns geraten, uns an den Weißen Ring zu wenden, auch, was psychologische Betreuung betrifft."

Carola M. wirkt wie eine Frau, die mitten im Leben steht. Sie hatte sogar noch Fotos von den Entführern an Bord gemacht: "Man muss ja Beweise sichern." Doch ihre Welt ist auf der Elbe am Donnerstagabend ins Wanken geraten. Hoffentlich spürt sie bald wieder Boden unter den Füßen.

Nachtrag: Acht der neun Entführer kamen am Freitag wieder auf freien Fuß , gegen sie wird weiterhin ermittelt, es liegen jedoch keine Haftgründe vor. Ist mit weiteren Anschlägen aus Kreisen der PKK zu rechnen? Manfred Murck, Chef des Hamburger Verfassungsschutzes: „Wir rechnen damit, dass es in den kommenden Wochen weitere Aktionen geben wird.“ Die Bürgerschaftsfraktion der Linken warf der Polizei vor, sie habe mindestens drei Festgenommenen den Kontakt zu ihren Anwälten verweigert. Zudem hätten die Beamten die Beschuldigten dazu gedrängt, von der Polizei diktierte Aussagen zu Protokoll zu geben.