Die Mitangeklagte Nicole D. hat offenbar bereits Ende März gestanden, eine Scheinehe mit Kenal T. eingegangen zu sein. Der Prozess ist vertagt.
St. Georg. Überraschende Wende im Prozess gegen den SPD-Bürgerschaftsabgeordneten Bülent Ciftlik. Die Mitangeklagte Nicole D. hat nach Angaben der Staatsanwaltschaft bereits Ende März gestanden, eine Scheinehe mit Kenal T. eingegangen zu sein. Ciftlik wird vorgeworfen, eine Scheinehe zwischen den beiden vermittelt zu haben. Er bestreitet das.
Nach nicht einmal einer Stunde wurde heute morgen das Verfahren vor dem Amtsgericht St. Georg gegen den 37-Jährigen und die Mitangeklagten für zwei Wochen unterbrochen. Grund: Die Verteidigerin von Bülent Ciftlik, Annette Voges, hatte ihr Mandat kurz vor Prozessbeginn niedergelegt. Die neuen Anwälte haben die Vertretung von Ciftlik erst gestern Nachmittag übernommen. Sie erhalten nun die Gelegenheit, sich in die Akten einzuarbeiten.
Im Zusammenhang mit der Niederlegung des Mandats durch Voges könnte eine plötzlich aufgetauchte Email stehen, die anonym und als Ausdruck bei der Staatsanwaltschaft Hamburg abgegeben worden ist. Inhalt der angeblich von Nicole D. abgesandten Mail sei laut Oberstaatsanwalt Wilhelm Möllers ein Widerruf ihres Geständnisses. „Sie hat bestritten Verfasserin der Email zu sein“, sagte Möllers. Der Prozess wird am 30. April fortgesetzt.
Ciftlik soll seine Ex-Freundin überredet haben, einen türkischen Bekannten zu heiraten, damit dieser eine Aufenthaltserlaubnis bekommt. Als Gegenleistung habe dieser 3000 Euro an die Frau bezahlt. Diese habe das Geld wiederum an Ciftlik als Kredit für seinen Wahlkampf weitergeleitet.
Auch die Eheleute Nicole D. und Kenan T. sind angeklagt. Die Staatsanwaltschaft ist davon überzeugt: Ciftlik hat eine Scheinehe zwischen seiner Bekannten und dem Türken angestiftet, damit Kenan T. eine Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland erhält. Ciftlik selbst bestritt diese Vorwürfe von Anfang an vehement, nannte sie haltlos und sprach zunächst sogar von einer Kampagne gegen ihn. Öffentlich sagte er aber bisher nichts, was ihn hätte entlasten können. Die Beweise will er im Prozess auf den Tisch legen. Will erstmals vollständig Rede und Antwort stehen, will sein öffentliches Schweigen brechen. Auch wenn ihm viele Menschen zuhören, ihm zusehen und jede seiner Gesten bewerten werden - es wird ein einsamer Kampf für Ciftlik.
Kämpfen an sich ist der 37 Jahre alte Abgeordnete aus Altona gewöhnt. Es ist quasi der rote Faden, der sich durch seine gesamte Laufbahn in der Hamburger Politiklandschaft zieht. Auch wenn SPD-Mitglieder es nicht gern hören und schon gar nicht offen zugeben würden - bei einigen Genossen gab es 2004 Vorbehalte gegen einen türkischstämmigen Parteisprecher. Sein Ziehvater und jetziger SPD-Landeschef Olaf Scholz holte ihn dennoch. Damit begann der Aufstieg Ciftliks.
Noch 2007 galt er als Hoffnungsträger der Hamburger SPD. Im Bürgerschaftswahlkampf 2008 wurde er medial zum "Obama von Altona" gemacht. Durch seinen unermüdlichen Einsatz im Straßenwahlkampf schaffte Ciftlik es, SPD-Urgestein Walter Zuckerer zu übertrumpfen und von einem als aussichtslos geltenden Listenplatz in die Hamburgische Bürgerschaft einzuziehen. Eine Tatsache, die ihm vor allem in den eigenen Reihen nicht nur Freunde eingebracht hatte.
Den ersten offenen Riss zwischen Ciftlik und seiner Partei gab es nach dem Stimmzettelklau im Jahr 2007, der den damaligen SPD-Chef Mathias Petersen um seine Bürgermeisterkandidatur gebracht hat. Auch wenn es niemals entsprechende Beweise oder sogar nur zwingende Indizien dafür gegeben hätte, hegten einige Genossen den Verdacht, Ciftlik sei daran beteiligt gewesen. Die wahren Täter sind nie gefunden worden, die Polizei stellte die Ermittlungen ohne Ergebnisse ein. Dennoch: Etwas blieb hängen, waberte weiter durch die Hinterzimmer und durch einige Köpfe in der SPD. Es waren wohl dieselben Köpfe, die nichts unversucht ließen, den Nachwuchspolitiker immer wieder in die Negativ-Schlagzeilen zu bringen.
Im März 2009 durchsuchten Ermittler dann Ciftliks Wohnung, wegen des Verdachts, eine Scheinehe vermittelt zu haben. Kurze Zeit später geriet er erneut ins Visier der Fahnder, wird verdächtigt, Polizeivermerke gefälscht und zwei Parteikollegen angeschwärzt zu haben. Ciftlik zog sich immer weiter zurück, verlor erst sein Sprecheramt, ließ dann sein Bürgerschaftsmandat ruhen. Selbst langjährige Parteifreunde und Förderer distanzierten sich von ihm. Ciftlik wirkt isoliert in der Hamburger Politiklandschaft, wird nur noch gestärkt durch seine Altonaer Gemeinschaft. Aufgegeben hat Ciftlik trotzdem nicht. Ab heute kämpft er seinen härtesten Kampf.