CDU und Grüne lehnen Vorschlag vom Chef der Polizeigewerkschaft ab. Polizei-Großeinsatz gegen Demonstranten wird Thema im Innenausschuss.
Hamburg. Nach dem Aufmarsch von Neonazis und Ausschreitungen bei Protesten von Gegendemonstranten am Sonnabend soll der Innenausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft die Arbeit der Polizei untersuchen. Grüne und Linke hatten die Beamten für ihr „rabiates Vorgehen“ scharf kritisiert, die Alternativ-Route durch ein eng bebautes Wohngebiet sei eine Fehlentscheidung gewesen. FDP und CDU erklärten, sie hätten noch zahlreiche Fragen zu dem Großeinsatz. Auch die alleinregierende SPD befürwortet die Sondersitzung, die möglichst noch vor der Sommerpause stattfinden soll. Arno Münster, Fachsprecher für Inneres der SPD, sagt: "Ich persönlich sehe zwar keine Notwendigkeit für eine solche Sitzung, aber wenn diese Forderung besteht, werden wir dem natürlich stattgeben." Ein Vorschlag der Deutschen Polizeigewerkschaft, künftig Gummigeschosse gegen Demonstranten einzusetzen, stieß am Montag auf überwiegend negative Resonanz.
Was den Einsatz am Sonnabend betrifft, sprach Antje Möller, Innenpolitikerin der Grünen-Fraktion, von Einkesselung hunderter Gegendemonstranten, die ein „massiver Eingriff in die Freiheitsrechte“ gewesen sei. Die Polizei hingegen lobte den gesamten Einsatz als großen Erfolg.
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Die Kritik von Antje Möller richtet sich insbesondere gegen den Einsatz der Reiterstaffel. Diese sei mit ihren Pferden in eine Sitzblockade geritten, um diese aufzulösen. Wie viele Menschen dabei verletzt wurden, konnte ein Sprecher der Polizei am Montag noch nicht sagen. Auch das Hamburger Bündnis gegen Rechts, das die Demonstrationen in Wandsbek organisiert hatte, kritisiert das Vorgehen der Polizei. Sie habe "den Neonazi-Aufmarsch unter Einsatz von Pfefferspray, Wasserwerfern, Schlagstöcken durchgesetzt", sagte Bündnissprecher Olaf Harms. Auch Augenzeugen berichteten vereinzelt von hartem Vorgehen der Polizisten gegen friedliche Demonstranten. Nach Abendblatt-Informationen sollen nicht Hamburger Polizisten, sondern Beamte aus anderen Bundesländern durch besonders hartes Auftreten aufgefallen sein.
Am Dienstag soll begonnen werden, einen möglichen Termin für die Sondersitzung zu finden.
Für die Polizei war es indes ein schwieriger Einsatz. Bereits im Vorfeld hatte man mit Krawallen und Ausschreitungen gerechnet. Rund 4.400 Einsatzkräfte - unter anderem aus anderen Bundesländern - waren im Einsatz. Linksextreme warfen mit Böllern und Flaschen auf die Beamten, zündeten Autos an und errichteten Barrikaden. 38 Beamte erlitten Verletzungen, die meisten von ihnen mussten mit Prellungen, Schürfwunden und Knalltraumata behandelt werden.
Der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt bewertet das Vorgehen entgegen der Kritik als einen "äußerst gelungenen Einsatz". Um die Sicherheit seiner Einsatzkräfte zu schützen, schlägt er sogar vor, noch weitere Methoden gegen gewaltbereite Demonstranten einzusetzen. Als wirkungsvolle Waffe nannte er gegenüber "Bild" den Einsatz von Gummigeschossen. Die Auseinandersetzungen würden immer brutaler und es fehle eine wirkungsvolle Distanzwaffe, sagt er. "Wasserwerfer sind ein sehr sehr gutes Einsatzmittel. Damit kann man aber zum Beispiel keine Hinterhöfe erreichen." Wenn dann einzelne Demonstranten gezielt auf die Einsatzkräfte losgingen, wäre Pfefferspray nicht optimal. Sicherer für die Einsatzkräfte wäre eine Waffe, die bereits aus der Distanz eingesetzt werden könnte. Er fürchte auch um das Leben seiner Beamten, sagt Wendt. "Wenn mit Schleudern Schrauben und Glaskugeln verschossen werden, können die natürlich tödlich wirken", ist er überzeugt. "Dieses Mal ist die Polizei glimpflich davon gekommen."
Gummigeschosse gegen Demonstranten? „Diese Forderung ist populistisch und gefährlich. Wir lehnen eine weitere Aufrüstung der Polizei ab“, erklärte die innenpolitische Sprecherin der Bürgerschaftsfraktion der Grünen, Antje Möller. Auch der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Kai Voet van Vormizeele, lehnt Gummigeschosse als Einsatzmittel ab. Die FDP reagierte zurückhaltend, will die Polizei erst zu dem Vorschlag befragen. Die Hamburger Polizeigewerkschaft hält Gummigeschosse für „ein adäquates Mittel, um Demonstranten auf Abstand zu halten“. In welchen Situationen der Einsatz sinnvoll sei, müsse aber immer wieder individuell geprüft werden. In engen Straßen eigneten sich Gummigeschosse beispielsweise nicht, weil die Gefahr bestehe, dass Unbeteiligte getroffen werden.
Auf die Kritik am Polizei-Einsatz am Sonnabend reagierte DPolG-Chef Wendt fassungslos. Das sei "aberwitzig", sagt er im Gespräch mit abendblatt.de. Die Polizei habe einen öffentlichen Auftrag - beide Demonstrationen zu schützen. Beide Demonstrationen seien gelungen und ein Aufeinandertreffen der extremen Gruppen sei verhindert worden. "Die Polizei hat den gesetzlichen Auftrag hervorragend erfüllt", sagt Wendt. Natürlich sei man konsequent gewesen, aber das sei ja wichtig und positiv. Und wenn Demonstranten die Sitzblockade nicht freiwillig auflösen, dann tue es eben auch mal weh. Das sei beabsichtigt. "Wer nicht weggeht, der muss die Konsequenzen tragen." Schwere Verletzungen erlitten Demonstranten aber nach ersten Erkenntnissen nicht.
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Am Sonnabend waren viele friedliche, aber auch gewaltbereite Gegendemonstranten zusammen gekommen, um gegen den Aufmarsch von rund 700 Rechtsextremen zu protestieren. Insbesondere Linksextreme sorgten für Ausschreitungen, zündeten Autos an und schmissen mit Böllern und Flaschen auf Beamte. Um beide Gruppen auseinander zu halten, waren rund 4.400 Polizisten im Einsatz. Sie setzen Wasserwerfer, Pfefferspray und eine Reiterstaffel ein. Bei den Ausschreitungen wurden 26 Personen festgenommen und 62 in Gewahrsam genommen. 20 der Festgenommenen gehörten zur linken Szene, sechs waren Neonazis. Es wurden Verfahren wegen schweren Landfriedensbruchs eingeleitet.
(Mit Material von dpa und dapd)