Essen. Thyssenkrupp-Chefkontrolleur Siegfried Russwurm geht hart mit der alten Bundesregierung ins Gericht – trotz Milliarden-Förderzusage.
Thyssenkrupp-Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm rechnet bei der Hauptversammlung des angeschlagenen Essener Stahl- und Industriegüterkonzerns mit dem Regierungsbündnis von SPD, FDP und Grünen ab. „Unter der generellen Wirtschaftspolitik der Ampel-Regierung in Berlin und insbesondere ihrer Uneinigkeit und Widersprüchlichkeit haben wir wie das gesamte Land gelitten“, kritisiert Russwurm in seiner vorab veröffentlichten Rede bei der virtuellen Hauptversammlung am 31. Januar. „Viel Zeit ist verloren worden. Das belastet auch unser Unternehmen“, sagt der Thyssenkrupp-Chefkontrolleur, der bis vor wenigen Wochen auch an der Spitze des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) stand.
„Dass inzwischen praktisch alle Parteien der demokratischen Mitte die Notwendigkeit einer grundlegenden wirtschaftspolitischen Neuorientierung erkennen und entsprechende Handlungsbereitschaft bekunden, gibt Hoffnung“, so Russwurm. „Aber bis aus den unterschiedlichen Absichten und Ankündigungen der Wahlkämpfer konkrete Entscheidungen einer neuen Regierungskoalition werden, wird das laufende Jahr weit fortgeschritten sein.“
Die Äußerungen Russwurms sind bemerkenswert. Schließlich hat Thyssenkrupp eine Förderzuge für bis zu zwei Milliarden Euro aus den Kassen von Bund und Land für den Aufbau einer Grünstahl-Produktion in Duisburg erhalten. Der Eigenanteil von Thyssenkrupp für das DRI-Projekt sollte frühen Unternehmensangaben zufolge bei rund einer Milliarde Euro liegen.
Den symbolischen Scheck hat Robert Habeck (Grüne), der Vizekanzler der damaligen Ampel-Regierung, in Duisburg überreicht. Bis zu 1,3 Milliarden Euro sagte der Bund zu. Der Landesanteil – bis zu 700 Millionen Euro – ist die größte Einzelförderung, die es jemals in NRW gegeben hat, wie Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) im Mai vergangenen Jahres im Beisein von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Duisburg betonte. Die Förderung aus Steuermitteln ist allerdings an den Hochlauf der Wasserstoff-Wirtschaft gekoppelt, und hier hakt es.
Was wird aus der geplanten Grünstahl-Anlage in Duisburg?
Bei der Bilanzpressekonferenz Ende vergangenen Jahres räumte Thyssenkrupp-Vorstandschef Miguel López ein, dass der Bau der sogenannten Direktreduktionsanlage (DRI-Anlage) teurer als ursprünglich erwartet werde. „Trotz aller bestehenden und neuen Herausforderungen halten wir an unserem Plan fest, die erste Direktreduktionsanlage fertigzustellen“, betont López nun bei der Hauptversammlung laut Redetext. „Gleichzeitig führen wir konstruktive Gespräche mit den zuständigen Stellen, um die Wirtschaftlichkeit dieses großen und neuartigen Investitionsprojekts sicherzustellen.“
Die Direktreduktionsanlage sei für den Betrieb mit Wasserstoff ausgelegt, so López, könne aber auch mit Erdgas betrieben werden. „Auch damit reduziert sie den CO2-Ausstoß gegenüber der heutigen Hochofen-Technologie bereits um rund 50 Prozent“, sagt der Manager. Somit sei der Start der Anlage „nicht ausdrücklich davon abhängig, dass zu diesem Zeitpunkt bereits hinreichende Mengen grünen Wasserstoffs“ verfügbar seien. Es gilt als wahrscheinlich, dass Thyssenkrupp mit der künftigen Bundesregierung über die Förderkriterien verhandeln will.
Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) sagte vor wenigen Tagen, er „glaube persönlich nicht daran, dass der schnelle Wechsel hin zum wasserstoffbetriebenen Stahlwerk erfolgreich sein wird. Wo soll der Wasserstoff denn herkommen?“
„So wie in den vergangenen Jahren kann und darf es nicht weitergehen“
Bei der virtuellen Hauptversammlung will sich Thyssenkrupp-Vorstandschef López entschlossen zeigen, den Konzern umzubauen. „So wie in den vergangenen Jahren kann und darf es nicht weitergehen“, sagt der Manager laut Redetext. „Wir dürfen jetzt nicht wieder anhalten, sondern müssen den eingeschlagenen Weg weitergehen – mit aller notwendigen Konsequenz. Denn unverändert lassen, was sich offenkundig seit langer Zeit im Niedergang befindet, kann und darf keine Lösung sein. Das wäre zerstörerisch, und deshalb wollen und müssen wir es abwenden.“
López verweist bei der Hauptversammlung auch auf die angespannte wirtschaftliche Lage in Deutschland. „Wie viele andere belastet auch uns das aktuell sehr herausfordernde Marktumfeld. Das betrifft vor allem Deutschland“, sagt López. „Viele unserer Kunden-Industrien sind selbst in der Krise – die Automobilindustrie, der Maschinen- und Anlagenbau, die chemische Industrie und die Bauwirtschaft.“ Das mache sich auch in der Bilanz von Thyssenkrupp bemerkbar. Für das vergangene Geschäftsjahr hat der Konzern einen Verlust von 1,4 Milliarden Euro verbucht.
López: „Unser Ziel ist es weiterhin, sozialverträgliche Lösungen zu finden“
Das Thyssenkrupp-Management will angesichts der schwierigen Lage der Branche rund 11.000 Stahl-Arbeitsplätze abbauen oder outsourcen. „Unser Ziel ist es weiterhin, sozialverträgliche Lösungen zu finden und betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden“, sagt López beim Aktionärstreffen.
Der Thyssenkrupp-Vorstandschef hat mit seinen Plänen den Zorn von Arbeitnehmervertretern auf sich gezogen, bekommt aber auch öffentlich Rückendeckung der Großaktionärin Krupp-Stiftung und von Aufsichtsratschef Russwurm. Wenn es sich „nicht vermeiden lässt, darf mangelnder Konsens notwendiges Vorankommen auch nicht unterbinden“, sagt Russwurm bei der Hauptversammlung. „Thyssenkrupp braucht weiterhin Entschlossenheit, Umsetzungsstärke und Tempo.“ Russwurm hatte einen Teilverkauf der Thyssenkrupp-Stahlsparte gegen den Willen der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat mit seiner sogenannten Doppelstimme als Vorsitzender des Gremiums durchgesetzt.
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