Essen. Standort-Umbau, Stellenabbau, HKM-Verkauf: An vielen Stellen macht Thyssenkrupp-Chef López Druck, beim Thema Grünstahl bremst er aber.
In einem Imagefilm, den Thyssenkrupp im Frühjahr vergangenen Jahres präsentierte, begegnete das Unternehmen möglichen Zweiflern noch mit Optimismus. Bei einer Plauderei vor einem fiktiven Ruhrgebietskiosk war die Nachrichtenlage klar. „Glaubste nicht? Kannste aber! Die Anlage wird gebaut“, sagte ein Schauspieler in Diensten von Thyssenkrupp.
Kaum zwei Jahre später wird die filmische Darstellung einem Realitätscheck unterzogen. Lässt sich das historische Großprojekt, mit dem Thyssenkrupp ein Ende des Kohlezeitalters und den Start der Grünstahl-Produktion in Duisburg einläuten will, wirklich realisieren? Wie teuer wird die Direktreduktionsanlage? Macht der Konzern womöglich doch noch einen Rückzieher? Und folgen auf die erste DRI-Anlage – wie ursprünglich geplant – weitere Vorhaben dieser Art, um Europas größten Stahlstandort klimaneutral zu machen?
Mit einem Satz hatte Thyssenkrupp-Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm Ende August ein Thema auf die Agenda gesetzt, um das sich viele Fragen bei der Jahres-Pressekonferenz in der Essener Konzernzentrale drehen. „Bei dem erst im vergangenen Jahr angelaufenen Großinvestitionsprojekt DRI in Duisburg gibt es bereits nach kurzer Zeit Risiken ungeplanter Mehrkosten, die aktuell bewertet werden“, erklärte Russwurm im Zusammenhang mit dem abrupten Wechsel an der Spitze der Stahlsparte.
Bei seinem Auftritt formuliert es Vorstandschef Miguel López zwar etwas freundlicher, aber in der Sache übereinstimmend. „Gut ein Jahr nach Projektstart zeigt sich, was man bei Pionierprojekten nie ausschließen kann: Die Anlage wird womöglich teurer als zunächst erwartet.“ Es soll um mehrstellige Millionensummen gehen. Zur Größenordnung äußert sich López allerdings auch auf Nachfrage nicht.
Der Eigenanteil von Thyssenkrupp für das DRI-Projekt sollte frühen Unternehmensangaben zufolge bei rund einer Milliarde Euro liegen. Die Bundesregierung und das Land NRW wollten insgesamt etwa zwei Milliarden Euro beisteuern. Der Landesanteil – bis zu 700 Millionen Euro – ist dabei die größte Einzelförderung, die es jemals in NRW gegeben hat, wie Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) im Mai vergangenen Jahres im Beisein von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Duisburg betonte.
Ob er ein klares Bekenntnis zur DRI-Anlage ablege, wird Konzernchef López bei der Bilanz-Pressekonferenz gefragt? „Aktuell bewerten wir die Situation, gehen aber davon aus, dass die Anlage unter den gegebenen Rahmenbedingungen realisiert werden kann.“
Das DRI-Projekt hat eine große strategische Bedeutung für Thyssenkrupp und den Stahlstandort Duisburg. Die geplante rund 135 Meter hohe Anlage soll zumindest einen der aktuell vier klimaschädlichen Hochöfen in Duisburg verzichtbar machen. Im Jahr 2027 könnte der Betrieb des neuen Aggregats starten, zunächst mit Erdgas und Jahre später erst mit Wasserstoff.
Zweite DRI-Anlage? „Würde gerne erstmal die erste zu Ende bauen“
Der Bau mindestens einer zweiten Direktreduktionsanlage war unter dem mittlerweile geschassten Stahl-Management rund um Bernhard Osburg fest eingeplant. „Wir haben vor, bis 2030 noch eine zweite Anlage umzustellen“, sagte Osburg noch im vergangenen Jahr.
Bleibt es bei den Plänen für eine zweite DRI-Anlage? „Ich würde gerne erstmal die erste zu Ende bauen“, sagt Thyssenkrupp-Chef López dazu. Diese sollte in Betrieb sein, „bevor wir uns jetzt auf weitere Spekulationen einlassen“, fügt er hinzu. „Das steht jetzt im Vordergrund, und wir fokussieren uns erstmal auf die Umsetzung dieser Anlage.“ Von einer zweiten DRI-Anlage, die auch Arbeitnehmervertreter im Laufe der vergangenen Monate immer wieder vehement gefordert haben, ist aktuell also keine Rede mehr.
Stattdessen arbeitet das Management an Einschnitten in der Stahlproduktion. Die Details lässt López bei der Bilanzvorlage noch offen, aber er skizziert die Pläne zumindest. Beim anstehenden Umbau in der Stahlsparte dürften in erheblichem Umfang Jobs wegfallen.
Die IG Metall hat vor wenigen Wochen die Befürchtung geäußert, der Konzern könnte rund 10.000 der aktuell etwa 27.500 Arbeitsplätze in der Stahlsparte abbauen. López verweist in diesem Zusammenhang auf einen neuen „Business-Plan“, den der neue Stahlchef Dennis Grimm mit seinem Team derzeit erarbeite. „Wir werden in den nächsten ein, zwei Monaten soweit sein“, sagt López. Direkt auf die Sorge um 10.000 Stellen angesprochen, antwortete der Thyssenkrupp-Chef: „Das werden wir sehen, sobald der Plan vorliegt. Das ist ein Bestandteil des Plans.“
Thyssenkrupp-Chef: „Möglichst ohne betriebsbedingte Kündigungen“
Die „Neuaufstellung“ solle jedenfalls „möglichst ohne betriebsbedingte Kündigungen“ erfolgen, erklärt der Thyssenkrupp-Chef. Es werde einen „Zeitplan über viele Jahre“ geben, dabei spiele auch die „demografische Entwicklung“ eine Rolle.
Mit einem Verkauf will das Thyssenkrupp-Management eine Schließung der Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM) abwenden. Es gebe gute Gespräche dazu mit der Investmentfirma CE Capital, die Interesse an einer Übernahme des Standorts mit derzeit mehr als 3000 Arbeitsplätzen hat. Derzeit hält die Stahlsparte von Thyssenkrupp die Hälfte der HKM-Anteile. Der angestrebte Verkauf sei die „beste Lösung“, betont Thyssenkrupp-Chef López.
Ein Mitspracherecht zur Frage, wie es an den Stahlstandorten in Duisburg, Bochum, Dortmund und Südwestfalen weitergeht, dürfte auch der neue Großaktionär Daniel Kretinsky haben, der vor wenigen Monaten 20 Prozent der Anteile von Thyssenkrupp Steel übernommen hat. Die Zusammenarbeit mit der Kretinsky-Firma EPCG laufe „außerordentlich konstruktiv“, beteuert López. Das Ziel sei die Gründung eines Stahl-Gemeinschaftsunternehmens, an dem Kretinsky und Thyssenkrupp jeweils die Hälfte der Anteile halten.
Doch gibt es einen „Plan B“, sollten die Verhandlungen mit Kretinsky scheitern? „Es gibt jetzt keinen konkreten Plan B“, sagt Thyssenkrupp-Finanzchef Jens Schulte dazu. Ein solcher Plan sei im Moment „nicht erforderlich“ angesichts der guten Gespräche mit Kretinsky. In jedem Fall wolle das Thyssenkrupp-Management die Verselbstständigung der Stahlsparte fortzusetzen – also eine Herauslösung des Traditionsgeschäfts aus dem Gesamtkonzern realisieren.
Miguel López zitiert früheren Bundespräsidenten Gustav Heinemann
„Ein ,Weiter so‘ kann und wird es nicht geben“, sagt López. Als Kronzeugen führt er Gustav Heinemann an, einst Bundespräsident und auch Oberbürgermeister von Essen, der gesagt habe: „Wer nichts verändern will, wird auch das verlieren, was er bewahren möchte.“ Auf Thyssenkrupp bezogen bedeute das: „Stillstand wäre das sichere Aus.“
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