Berlin. Tesla kontrolliert krank gemeldete Mitarbeiter des Werks in Grünheide. Was dahintersteckt und wie sich Beschäftigte wehren können.

Wie krank macht die Arbeit bei Tesla in Grünheide? Im Vergleich zu anderen Unternehmen aus dem Fahrzeugbau ist der Krankenstand in dem Brandenburger Elektroautowerk hoch. Die dortige Personalleitung veranlasste das nun zu einer ungewöhnlichen Maßnahme: Sie führte Kontrollbesuche bei krank gemeldeten Mitarbeitern durch.

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Unangemeldet zu Hause vorbeikommen, um zu prüfen, ob der Beschäftigte wirklich krank ist – darf das ein Arbeitgeber?

Eine Rechtsgrundlage gibt es dafür nicht, sagt der Berliner Fachanwalt für Arbeitsrecht, Ulf Weigelt, unserer Redaktion. „Das ist ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des einzelnen Mitarbeiters. Ein solches Vorgehen ist in der Tat ungewöhnlich und begegnet mir in meiner über 20-jährigen arbeitsrechtlichen Tätigkeit das erste Mal.“ Sollte der Arbeitgeber tatsächlich Zweifel haben, ob der Mitarbeiter wirklich krank sei, stehe es ihm frei, den medizinischen Dienst der Krankenkasse zu informieren, so Weigelt. Mediziner überprüfen dann die Krankschreibung des betroffenen Mitarbeiters mit eigenen Untersuchungen.

Auch Fachanwalt Martin Bechert hält solche Hausbesuche für unzulässig. Auch er verweist auf das Persönlichkeitsrecht des Beschäftigten. „Bei erkrankten Arbeitnehmern kommt hinzu, dass ein solcher Besuch oder auch nur das Gefühl, einer wahllosen Kontrolle des Arbeitgebers zu unterliegen, dem Genesungsprozess beeinträchtigen kann“, sagt Bechert. Teslas Ziel sei es augenscheinlich gewesen, allen erkrankten Arbeitnehmern Angst zu machen.

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Anders sieht es Till Heimann, Arbeitsrechtler aus Frankfurt am Main. „Grundsätzlich ist das nicht verboten, jedenfalls dann, wenn der Arbeitgeber den Verdacht hat, dass mit der Krankmeldung etwas nicht stimmt. Zudem kommt es auch immer auf den Zweck an: Wenn der Vorgesetzte vorbeikommt, um Blumen und Genesungswünsche zu überbringen, ist das etwas anderes, als wenn er mit dem Feldstecher im nächsten Gebüsch steht.“

Der Bundesgerichtshof hat laut Heimann sogar verdeckte Ermittlungsmaßnahmen mithilfe eines Detektivs für möglich gehalten – wenn es einen begründeten Anfangsverdacht gibt. Entsprechendes gelte dem Arbeitsrechtler zufolge auch für eine offene Ermittlung durch den Vorgesetzten selbst.

„Wenn der Vorgesetzte vorbeikommt, um Blumen und Genesungswünsche zu überbringen, ist das etwas anderes, als wenn er mit dem Feldstecher im nächsten Gebüsch steht.“

Till Heimann
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Was genau ist bei Tesla in Grünheide passiert?

Die dortige Personalleitung soll krank gemeldete Mitarbeiter unangekündigt zu Hause aufgesucht haben, um zu prüfen, ob sie tatsächlich erkrankt sind. Zuerst hatte darüber das „Handelsblatt“ berichtet und sich dabei auf eine Tonbandaufnahme von einer Betriebsversammlung berufen. Mehrere Quellen aus dem Umfeld des Werkes bestätigten dieser Redaktion das Vorgehen.

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    Die Zeitung zitiert den Tesla-Personalchef in Grünheide, Erik Demmler, so: „Das hat nichts mit Generalverdacht zu tun. Wir haben uns einfach mal 30 Mitarbeiter ausgesucht, die entsprechende Auffälligkeiten hatten, die sich ziemlich lange im Krankenstand befinden, aber auch viele Erstbescheide. Und was wir vorgefunden haben, war sehr, sehr gemischt.“

    Warum entschloss sich Tesla zu diesem Schritt?

    Der Hauptgrund dafür ist der im Branchenvergleich ungewöhnlich hohe Krakenstand. Laut Statistischen Bundesamt meldeten sich 2023 durchschnittlich 6,1 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer krank. Im Fahrzeugbau lagen die Fehlzeiten bei 5,2 Prozent, so eine Statistik der Krankenkasse DAK 2023. Bei Tesla in Grünheide waren die Fehlzeiten zuletzt hingegen dreimal so hoch.

    Ulf Weigelt ist Fachanwalt für Arbeitsrecht.
    Ulf Weigelt ist Fachanwalt für Arbeitsrecht. © Privat | Privat

    Das „Handelsblatt“ berichtet über eine Präsentation, die auf der Betriebsversammlung gezeigt worden sein soll. Der internen Erhebung zufolge erreichte der Krankenstand in Grünheide Anfang August 15 Prozent, in der Folgewoche 17 Prozent. Im September sollen die Fehlzeiten zwischen zehn und elf Prozent gelegen haben.

    Wie reagierten die Mitarbeiter auf die Hausbesuche?

    Manche machten die Tür auf, einige auch nicht, wiederum andere wollten direkt die Polizei rufen, schreibt das „Handelsblatt“.  Man sei nicht gekommen, um Forderungen zu stellen oder Kritik zu üben, versicherte der Personalchef. Man habe einfach nur fragen wollen: „Wie geht es Dir? Können wir Dir irgendwie helfen?“ Die Reaktion von vielen der betroffenen Beschäftigten beschreibt Demmler laut Bericht als „aggressiv“.

    Warum hat Tesla mit derart hohen Fehlzeiten zu kämpfen?

    Der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer geht von internen Problemen in dem Werk aus. „Ein hoher Krankenstand kann durchaus ein Symptom dafür sein, dass das Betriebsklima schief hängt. Die Lösung dazu sind nicht Druck und Kontrolle, sondern die Arbeitsbedingungen und das Klima zu reparieren“, so Dudenhöffer gegenüber unserer Redaktion.

    Tatsächlich berichtet ein Insider gegenüber unserer Redaktion von einem hohen Druck. „Die Arbeit bei Tesla kann krank machen“, sagt er. Ein Grund: Bei der Montage der Fahrzeuge sind die Taktzeiten, also die Vorgaben, wie lange ein Angestellter für eine bestimmte Aufgabe Zeit hat, streng. Viele Beschäftigte seien überlastet. Möglicherweise hat ein im Frühjahr angekündigter Stellenabbau die Arbeitsbelastung noch verschärft. Damals hatte Tesla-Chef Elon Musk davon gesprochen, wegen der weltweit schleppenden E-Auto-Verkäufe jeden zehnten Arbeitsplatz in seinem Unternehmen streichen zu wollen. In Grünheide sollten davon rund 400 Arbeitsplätze betroffen sein.

    Wie reagieren Beschäftigtenvertreter?

    Unterschiedlich. Der von den Tesla-Beschäftigten gewählte Betriebsrat unterstützt eigenen Worten zufolge das Vorgehen der Geschäftsleitung am Standort. Die Chefin des Gremiums aber gilt als arbeitgebernah. Die Gewerkschaft IG Metall holte mit ihrer Liste bei der letzten Betriebsratswahl zwar die meisten Stimmen, das Tesla-Management tat aber viel, um den Einfluss der Gewerkschaft kleinzuhalten. Grundsätzlich will die IG Metall einen Tarifvertrag mit Tesla abschließen – so wie bei den anderen Autobauern in Deutschland auch. Zu der Firmenphilosophie des US-Unternehmens passt das allerdings nicht: Zu viel gewerkschaftlicher Einfluss ist darin nicht vorgesehen.

    Die IG Metall selbst reagiert erbost. „Die Hausbesuche bei Tesla-Mitarbeitern sind die nächste abwegige Aktion gegen den seit langem deutlich überdurchschnittlichen Krankenstand in der Gigafactory“, so Dirk Schulze, Bezirksleiter der IG Metall Berlin-Brandenburg-Sachsen, zu dieser Redaktion. Beschäftigte aus fast allen Bereichen des Werks würden von extrem hoher Arbeitsbelastung berichten. „Wenn Personal fehlt, werden die Kranken unter Druck gesetzt und die noch Gesunden mit zusätzlicher Arbeit überlastet. Wenn die Werkleitung den Krankenstand wirklich senken will, sollte sie diesen Teufelskreis durchbrechen“, findet Schulze.

    Was können kranke Mitarbeiter tun, sollte der Chef unangekündigt vor der Tür stehen?

    Juristisch könne man als Arbeitnehmer dagegen vorgehen, indem man auf Unterlassung klage. Das gelte dann aber vor allem für künftige Arbeitsunfähigkeitszeiten, erklärt Arbeitsrechtler Ulf Weigelt. Zu Bedenken ist, dass ein solches Klageverfahren aber das Verhältnis zum Arbeitgeber belasten könnte.

    Und was, wenn man überrascht ist, dass der Arbeitgeber vor der Tür steht? „Ich würde schlichtweg die Tür nicht öffnen beziehungsweise bei versehentlicher Öffnung der Haustür diese sofort auch wieder schließen, mit dem Bemerken, dass ich krank bin und derzeit keine Gespräche wünsche, weil dies meiner Genesung nicht guttut“, so der Fachanwalt.