Berlin. Um den Wohnungsmarkt anzukurbeln, braucht es laut Experten 20 Milliarden Euro jährlich – mit großen Vorteilen für Baubranche und Mieter.

Wer derzeit eine Wohnung sucht, braucht Glück. Oder Geld. Am besten beides. Die Krise auf dem deutschen Wohnungsmarkt spitzt sich immer weiter zu. Vom selbstgesteckten Ziel, 400.000 neue Wohnungen pro Jahr zu bauen, ist die Bundesregierung meilenweit entfernt. Im vergangenen Jahr waren es nicht einmal 300.000 neue Wohnungen, dieses Jahr erwarten Experten nur noch rund 250.000 Wohnungen. Gleichzeitig aber wächst die Bevölkerungszahl. Insbesondere in den Metropolregionen konkurrieren immer mehr Menschen um den nicht ausreichenden Wohnraum.

Es ist ein toxischer Mix. Die Mieten steigen immer weiter an – laut jüngsten Zahlen des Immobilienportals ImmoScout24 werden Wohnungen in Neubauten 8,7 Prozent teurer angeboten als vor einem Jahr. Auch bei Wohnungen in Bestandsbauten ist die Preissteigerung mit 4,2 Prozent hoch. Zugleich schaffen immer weniger angesichts hoher Zinsen und Baupreise den Sprung ins Eigenheim. Im ersten Halbjahr ging die Zahl der Baugenehmigungen um 21,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurück, bei den Einfamilienhäusern waren es gar 30 Prozent.

Das löst Folgeeffekte für die gesamte Baubranche aus. Die Auftragsbücher leeren sich, die Geschäftsaussichten sind düster. 1.157 Unternehmen des Bauhauptgewerbes mussten allein bis Mai Insolvenz anmelden. „Die Wohnungsnot wird von Tag zu Tag schlimmer“, sagt Lukas Siebenkotten, Präsident des Deutschen Mieterbundes. „Und die Mieten gehen weiter steil nach oben.“ Robert Feiger, Chef der Baugewerkschaft IG BAU, warnt vor einer Entlassungs- und Pleitewelle: „Wer einmal seinen Job auf dem Bau verliert, der kommt oft nicht wieder zurück. Der Absturz der Baukapazitäten kann rasend schnell gehen.“

Forderung nach 20 Milliarden Euro pro Jahr an Subventionen

Bisher wurden vor allem entsandte Beschäftigte, meist Bauarbeiter aus Osteuropa, abgezogen. Doch eine Kündigungswelle könne auch einheimische Bauarbeiter treffen. Gemeinsam fordern IG BAU und Mieterbund daher nun von der Bundesregierung ein milliardenschweres Konjunkturpaket, um gegenzusteuern. „Es kommt jetzt darauf an, den Wohnungsbau als Konjunkturmotor in der Krise zu nutzen“, sagt Feiger. Konkret wollen IG BAU und Mieterbund staatliche Subventionen von 20 Milliarden Euro im Jahr – was einer Vervierfachung der derzeitigen Mittel entspräche.

Gewerkschaftstag IG Bau in Kassel
Robert Feiger, Bundesvorsitzender IG BAU, warnt vor einer Pleitewelle in der Bauwirtschaft. © picture alliance/dpa | Swen Pförtner

Dabei berufen sie sich auf eine Analyse des auf Wohnungsmarktforschung spezialisierten Pestel-Instituts. Die Analyse liegt unserer Redaktion exklusiv vor. „Ein Konjunkturprogramm Wohnen finanziert sich zu weiten Teilen selbst. Der Staat profitiert über die komplette Umsatzsteuer sowie die Lohn- und Einkommenssteuer derer, die auf dem Bau beschäftigt sind. Die Eigenfinanzierung auf dem Bau ist hoch und es handelt sich fast ausschließlich um einheimische Wertschöpfung“, sagt Matthias Günther, Leiter des Pestel-Instituts. Ein Fördereuro löse beim sozialen Wohnungsbau bis zu drei Euro an privaten Investitionen aus.

Trotzdem macht Günther noch einen zweiten Finanzierungsvorschlag in seiner Analyse: Man müsse konsequenter Steuern eintreiben. So schätze der Bundesrechnungshof den jährlichen Schaden durch Steuerhinterziehung auf 30 bis 50 Milliarden Euro pro Jahr – Mittel also, die ein Konjunkturprogramm für den Wohnungsbau komplett finanzieren könnten.

Ökonom: Zwei Euro pro Quadratmeter könnte es günstiger werden

Der Idee eines Konjunkturpakets für den Wohnungsbau können auch namhafte Ökonomen etwas abgewinnen. „Der Kern des deutschen Wirtschaftsmodells funktioniert nicht mehr. Der Export ist stark rückgängig, Innovationen im Bereich Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz finden in Deutschland nahezu nicht statt. Zumindest Bauen können wir aber noch. Dann sollten wir das doch auch nutzen“, sagt Peter Bofinger, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Würzburg und früherer Wirtschaftsweise.

Peter Bofinger
Peter Bofinger, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Würzburg, war 15 Jahre lang Mitglied im Sachverständigenrat, den sogenannten Wirtschaftsweisen. © picture alliance/dpa | Frank Rumpenhorst

20 Milliarden Euro würden einem halben Prozentpunkt beim Bruttoinlandsprodukt entsprechen, hinzu kämen möglicherweise weitere Effekte durch private Investitionen. Für Mieterinnen und Mieter könnte es dann günstiger werden: „Würden Unternehmen zinsverbilligte Kredite von einem Prozent erhalten, könnte die Miete damit pro Quadratmeter um zwei Euro gesenkt werden“, sagt Bofinger.

Möglichkeiten zur Förderung für diejenigen, die vom Eigenheim träumen, gebe es auch bei der Grunderwerbssteuer: „Entweder man schafft sie für den Erwerb der ersten Immobilie ab. Oder aber sie wird anteilig zurückgezahlt, wenn man vorzeitig auszieht. Wer zum Beispiel nach zwei Jahren auszieht, müsste dann nur 20 Prozent Grunderwerbssteuer zahlen.“ Auch eine Reduzierung der Mehrwertsteuersenkung auf dem Bau sei denkbar, zumal sich diese über eine höhere Bautätigkeit nahezu selbst finanzieren würde. 

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Fratzscher: Guter Zeitpunkt für mehr Geld für Sozialwohnungsbau

Eine Senkung der Grunderwerbssteuer befürwortet auch Immobilienökonom Michael Voigtländer vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Aber auch Fertigungsprämien seien denkbar. Grundsätzlich brauche es mehr Bauland, zudem müsse das Bauen vereinfacht werden, um es günstiger zu machen.

Auch Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, hält die Forderung nach mehr Geld für den sozialen Wohnungsbau für richtig. Deutlich weniger hält er von einer finanziellen Unterstützung der Baubranche, da diese in den vergangenen 15 Jahren hohe Profite erzielt habe. „Die Unternehmen der Baubranche sollten sich darauf fokussieren, produktiver und effizienter zu produzieren, um die Kosten zu senken“, sagte Fratzscher. Mit Blick auf den sozialen Wohnungsbau sei aktuell aber ein guter Zeitpunkt für mehr Förderung, da „eine zusätzliche Nachfrage der öffentlichen Hand kaum auf die Preise auswirken würde.“