Essen. Immer mehr NRW-Bürger produzieren mit Solaranlagen auf den Balkonen ihren Strom selbst. Die Zahlen verdoppeln sich. Doch es gibt einen Haken.
Mini-Solaranlagen auf Balkonen oder an Hausfassaden haben einen Solarboom ausgelöst. Insbesondere im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen sind die Stecker-Solargeräte beliebt wie nie. Dort hat sich die Zahl der seit Jahresbeginn in Betrieb gegangenen Anlagen mehrt als verdoppelt. Das zeigen neue Daten der Bundesnetzagentur.
Demnach waren in NRW zum Jahreswechsel 2024 rund 71.000 „steckerfertige Solaranlagen“ in Betrieb. Seitdem kamen weitere rund 73.000 hinzu. Laut des Marktstammdatenregisters der Bundesnetzagentur, das angemeldete Anlagen führt, erzeugen aktuell in NRW über 144.000 Balkonkraftwerke Strom. Die Anlagen boomen auch bundesweit: Bis zum 10. Oktober wurden der Behörde rund 717.000 angeschlossene Anlagen gemeldet. Zum Jahresanfang lag die Zahl noch bei gut 346.000. Nach jüngsten Zahlen der Bundesnetzagentur ist damit etwa jedes fünfte Balkonkraftwerk, das seit Jahresbeginn im Marktstammdatenregister gemeldet worden ist, in NRW ans Netz gegangen.
Balkonkraftwerke: Viele Käufer steigen später auf große PV-Anlagen um
Stefan Hoffmann, Photovoltaik-Experte der Verbraucherzentrale NRW, sieht ein „riesiges Potenzial“ in Deutschland. „Mindestens jeder zweite Haushalt ist dafür geeignet.“ Auch größere Photovoltaikanlagen auf privaten Immobilien würden in NRW den Ausbau zum Solarland vorantreiben, so der Landesverband Erneuerbare Energien (LEE). Dessen Vorsitzender Hans-Josef Vogel glaubt, dass die kleinen Stecker-Solargeräte den Einstieg in die umweltfreundliche Stromerzeugung erlleichtern: „Für viele Haushalte sind diese Mini-Solaranlagen ein Testballon, oft erfolgt danach der Kauf einer größeren Photovoltaikanlage.“
Stecker-Solaranlagen sind kleine Photovoltaikanlagen, die in Deutschland nun mit einer Leistung von bis zu 800 Watt Strom einspeisen dürfen. Die Preise für die Mini-Anlagen inklusive Wechselrichter und Montageset beginnen in der Regel bei 500 bis 600 Euro. Discounter bieten auch günstigere Anlagen an. Die Größe der Standardmodule beträgt etwa einen 1 x 1,70 Meter. Stecker-Solargeräte erzeugen Strom für den Eigenbedarf. Die Energie in der Regel fließt nicht ins öffentliche Netz, sondern wird sofort verbraucht.
Schattenseite des PV-Booms: Nur ein Bruchteil meldet sein Balkonkraftwerk an
Aus Sicht der Verbraucherzentrale rentieren sich Balkonkraftwerke. PV-Experte Hoffmann: „Produziert etwa eine 300 Euro teure Anlage pro Jahr 270 Kilowattstunden Strom, von denen 200 Kilowattstunden vom Haushalt genutzt werden, bedeutet dies bei einem Strompreis von 30 Cent je Kilowattstunde eine jährliche Ersparnis von 60 Euro.“ Damit habe der Eigentümer die Kosten für die Anlage nach fünf Jahren wieder drin.
Wie viele Balkonkraftwerke aber tatsächlich in NRW und bundesweit Strom erzeugen, können Experten nur schätzen. Der Grund: Ein Großteil der Verbraucher ignoriert die Vorschrift, die Balkonkraftwerke registrieren zu lassen. Branchenexperten glauben, dass allenfalls 20-30 Prozent der Balkonkraftwerke wie vorgeschrieben im Anlagenregister angemeldet werden. Wer ein Stecker-Solargerät in Deutschland in Betrieb nimmt, muss es nach geltenden Bestimmungen bei der Bundesnetzagentur im Marktstammdatenregister registrieren. Bis 2024 galt zudem die Vorgabe, dass Balkonkraftwerke auch beim zuständigen Netzbetreiber angemeldet werden mussten. Diese Vorschrift wurde zu, 1. April gestrichen.
- Hintergrund Balkonkraftwerke: Der Solarboom bringt Probleme und Ärger
Wird ein Balkonkraftwerk nicht im Marktstammdatenregister der Bundesnetzagentur registriert, gilt das als Ordnungswidrigkeit. Theoretisch sieht Paragraf 95 des Energiewirtschaftsgesetzes ein Bußgeld vor, das von wenigen Euro bis zu maximal 50.000 Euro reichen kann.
Der Boom der Mini-Solaranlagen dürfte weitergehen, glauben Experten. Der Bundesrat hat Ende September ein Gesetz gebilligt, nach dem Steckersolargeräte „privilegiert“ werden. Nach dem Inkrafttreten des Gesetzes müsse dann zwar weiterhin vom Vermieter beziehungsweise der Wohneigentumsgemeinschaft eine Zustimmung eingeholt werden, heißt es bei der Verbraucherzentrale. „Jedoch: Durch die geplante Privilegierung müssen besondere Gründe im Einzelfall vorgebracht werden, um eine Zustimmung zu verweigern. Gleiches gilt derzeit zum Beispiel schon im Bereich von Wallboxen und beim behindertengerechten Umbauen.“ Der Bundesrat spricht von einem „Anspruch auf Installation von Steckersolaranlagen“
Photovoltaik in NRW: Kreis Soest sowie auch Dortmund sind beim Solarausbau top
NRW Laut der Analyse sind bis Mitte des Jahres in den Kreisen Soest (57 MW), Steinfurt (54 MW) und dem Rhein-Erft-Kreis (51 MW) bislang die meisten Solaranlagen neu installiert worden. Bei den größeren, kreisfreien Städten gehören Dortmund (23,15 MW), Köln (20,75 MW) und Münster (13,15 MW) zu den Top 3.
- Lesen Sie auch: Solarpaket – das sind die neuen Regeln für Balkonkraftwerke
Landesverband LEE: Balkonkraftwerke boomen, nur wenige große Freiflächenanlagen
Getrübt wird die Bilanz in NRW vom schleppenden Ausbau von großen Solaranlagen auf Freiflächen wie etwa nicht mehr genutzte landwirtschaftliche Flächen. Noch immer sei die Zahl der leistungsstärkeren und damit von den den Erzeugungskosten günstigen Anlagen verschwindend gering. „Diese günstigste Form der Stromerzeugung sei unverzichtbar für ein klimaneutrales Industrieland, das Nordrhein-Westfalen werden soll“, mahnt der LEE.
Ratgeber: Schritt für Schritt zur eigenen Solaranlage
Sie interessieren sich für eine Solaranlage? Unsere Photovoltaik-Serie klärt über alle wichtigen Fragen auf. Lesen Sie hier alle Folgen:
Teil 1: Photovoltaik auf dem Dach: Was Einsteiger wissen müssen
Teil 2: Die ersten Schritte zur eigenen Solaranlage
Teil 3: So finden Sie den richtigen Handwerksbetrieb
Teil 4: Das Wichtigste über Solarmodule und Technik
Teil 5: Kosten, Erträge, Renditen: Wann Solaranlagen Geld verdienen
Teil 6: Photovoltaik-Anlagen: Wo es in NRW noch Fördergelder gibt
Teil 7: Neue Regeln für 2023: Die wichtigsten Steuertipps
Teil 8: Mieten statt kaufen – lohnt sich das?
Teil 9: Wartung, Pflege, Pflichten: So laufen PV-Anlagen 20 Jahre
Teil 10: Solarboom in NRW: Alles über Balkonkraftwerke
Die Serie ist auch als digitales Themenheft erschienen, das Sie online kostenlos herunterladen können. Bestellung unter waz.de/photovoltaik.
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