Essen. Rund jeder vierte Arbeitsplatz in der Region hängt vom Export in die EU ab. Wie die IHK Essen wieder mehr Industrie holen will.
Wenige Tage vor der Europawahl warnt die Ruhrwirtschaft vor einem Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union, wie ihn etwa die AfD fordert. Einer Studie zufolge würden allein in Essen, Oberhausen und Mülheim rund 30.000 Arbeitsplätze verloren gehen, weil die Revierstädte in hohem Maße von Exporten in die EU abhängen.
Die Europawahl am 9. Juni treibt in diesen Wochen Unternehmen und Wirtschaftsverbände um. Sie alle befürchten, dass ein Rechtsruck in Richtung weniger Europa negative Folgen auch auf die Ausfuhren in EU-Staaten haben könnten. Die Industrie- und Handelskammer Essen, die auch für Oberhausen und Essen zuständig ist, wollte es genauer wissen und hat beim arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln eine Studie in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse lassen aufhorchen. Danach hängen allein in den drei Städten, der sogenannten MEO-Region, rund 136.000 Arbeitsplätze direkt oder indirekt von Exporten ab.
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„Der Export ist ein wichtiger Pfeiler für die Unternehmen im Ruhrgebiet. Damit ist er auch ein Eckpfeiler für unseren Wohlstand in der Region”, fasst Kerstin Groß, Hauptgeschäftsführerin der Essener IHK, die Ergebnisse der Studie zusammen und geht ins Detail: „Ein Viertel der Arbeitsplätze und fast 30 Prozent der Wertschöpfung der Region in Höhe von 11,2 Milliarden Euro hängen vom Export ab. Das verdeutlicht die hohe Bedeutung des internationalen Geschäfts für unsere Region.“
Wie viel für das Ruhrgebiet auf dem Spiel steht, sollten im neuen Europäischen Parlament EU-Skeptiker das Sagen haben, schildert eindringlich der Oberhausener Unternehmer Sven Knoll, der den IHK-Ausschuss Internationales leitet. „Nach dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union sind die Exporte dorthin um mehr als zehn Prozent eingebrochen. Ein Austritt Deutschlands aus der EU – der „Dexit“ – dürfte den Verlust von 30.000 Arbeitsplätzen allein in der MEO-Region bedeuten.“
IHK und IW: Exportstärke des Ruhrgebiets stärken
Unabhängig vom Ausgang der Europawahl unterstreichen die IHK und ihre Mitgliedsunternehmen die Notwendigkeit, die Exportstärke des Ruhrgebiets zu sichern und auszubauen. Die Kammer und das Institut der deutschen Wirtschaft haben deshalb zehn Handlungsempfehlungen verabschiedet mit dem Ziel, neue Märkte zu erschließen und die Abhängigkeit von nationalen Kunden zu reduzieren.
„Alle Parteien wollten die Deindustrialisierung. Insofern kann man davon sprechen, dass der Strukturwandel im Ruhrgebiet und insbesondere in Essen ,gelungen‘ ist“, nennt Knoll mit einer Portion Ironie eine zentrale Handlungsempfehlung. Denn in der Konzernstadt Essen kommt die Industrie auf nur noch acht Prozent gemessen an der Gesamtbeschäftigung. In Mülheim sind es 16 Prozent. Bundesweit beträgt der industrielle Anteil gar 18 Prozent.
IHK-Chefin Groß: Debatte über zukunftsfähige Industrien
Der schleichenden Deindustrialisierung will die IHK nicht tatenlos zusehen. „Jetzt geht es darum, diesen Trend umzukehren und für dringend notwendige Ansiedlungen von Industrieunternehmen zu werben“, fordert Unternehmer Knoll und hat dabei die IHK-Chefin Groß ganz auf seiner Seite. „Wir brauchen eine Debatte über die Frage, welche Industrien auch mitten in unseren Städten zukunftsfähig sind. Bei digitalisierten Fabriken stellt sich weniger die Frage nach Schmutz und Lärm als bei energieintensiven Produktionsstätten“, versucht sie, Kritikern gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Groß räumt zwar ein, dass der exportabhängige Wertschöpfungseffekt der Informations- und Kommunikationstechnologie in Essen „herausragend“ sei. Dennoch spricht sie sich für mehr Produktion aus: „Auch wenn die Gewerbeflächen fehlen, wünschen wir uns als IHK eine Reindustrialisierung in Essen.“
Einen „erheblichen Nachholbedarf“ sieht man bei der IHK auch in der Nachbarstadt. „Oberhausen hat mit 23 Prozent den geringsten Exportanteil der MEO-Region“, meint Marc Meckle, Leiter des Geschäftsfelds Branchen & International. Denn in allen Revierstädten gelte die Regel: „Wer exportiert, ist auch wettbewerbsfähig. Deshalb wäre es gut, wenn Oberhausen etwa seine Energie- und Wasserstoff-Projekte vorantreibt.“
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