Duisburg. Ungewöhnlich scharf greift die Ruhrwirtschaft die NRW-Regierung an. Es geht um Verkehrschaos durch marode Brücken. Das fordern die IHKs.

Angesichts des Brückenchaos in NRW und kilometerlanger Staus in vielen Revierstädten übt die Ruhrwirtschaft außergewöhnlich harsche Kritik an der Landesregierung. „Die Verantwortung der Landesregierung ist wenig spürbar. Sie scheint die Ernsthaftigkeit der Probleme nicht zu erkennen“, sagt Kerstin Groß, Hauptgeschäftsführerin der IHK zu Essen. Ein Sondervermögen von zehn Milliarden Euro soll Entlastung schaffen.

Die sechs Industrie- und Handelskammern im Ruhrgebiet fordern seit Jahren mehr Investitionen in die Straßen, Gleise und Schleusen. Doch nach der Sperrung der A42-Brücke bei Bottrop-Süd und der Verbannung von Lkw von der Uerdinger Brücke bei Duisburg platzt den Wirtschaftsvertretern der Kragen. „Wir wissen, dass mindestens 90 Autobahnbrücken in NRW pro Jahr saniert werden müssen, um den Verfall zu stoppen. Im letzten Jahr waren es weniger als die Hälfte“, listet IHK-Hauptgeschäftsführer Stefan Dietzfelbinger nüchtern auf. „Jeden Tag steigt das Risiko weiterer Sperrungen“, meint er. Lange Umwege kosteten viel Zeit und Geld. „Und vor allem schreckt dieser Zustand Investoren und Investitionen ab.“

Stefan Dietzfelbinger ist Hauptgeschäftsführer der Niederrheinischen IHK Duisburg-Wesel-Kleve.
Stefan Dietzfelbinger ist Hauptgeschäftsführer der Niederrheinischen IHK Duisburg-Wesel-Kleve. © Duisburg | STEFAN AREND

Mit Sorge blickt der Duisburger IHK-Präsident Werner Schaurte-Küpper auf den angelaufenen gigantischen Umbau des Spaghettiknotens. „Wenn der Verkehr am Autobahnkreuz Kaiserberg zum Erliegen kommt, steht West-Europa im Stau“, warnt er. Die Revier-IHKs haben deshalb ein Bündel von Forderungen formuliert. „Der Erhalt der Brücken muss auch in NRW von Herrn Verkehrsminister Oliver Krischer zur Chefsache gemacht werden“, fordert Dietzfelbinger und dazu einen Brückengipfel. „Eine Einladung der Landesregierung dazu steht noch aus“, kritisiert der IHK-Manager.

Den Kammern schwebt darüber hinaus ein zehn Milliarden Euro schweres Sondervermögen zur Ertüchtigung der Brücken vor. Und: IHK-Präsident Schaurte-Küpper schlägt vor, das Ruhrgebiet zu einer „Modellregion für Infrastrukturinstandhaltung“ zu machen. Laut dem Verkehrsexperten Ocke Hamann könnten zwischen Duisburg und Dortmund neuartige Ingenieur-Lösungen ausprobiert werden, die ein schnelleres Bauen ermöglichen. „Dafür müssen aber die Ausschreibungsbedingungen geändert werden“, weiß der IHK-Geschäftsführer. Dafür sei abermals die Politik zuständig.


Unter dem Strich müsse die NRW-Landesregierung angesichts der dramatischen Verkehrslage einen „starken Impuls“ setzen, meint Stefan Dietzfelbinger. Es reiche einfach nicht mehr aus, im Fall der Autobahnen auf die Zuständigkeit des Bundes zu verweisen.

Von der Politik zeigt er sich auch auf einem anderen Feld, der Gewerbeflächennot, enttäuscht. Die Niederrheinische IHK ist auch für den Flughafen Weeze zuständig. Dort baut der Düsseldorfer Rüstungskonzern Rheinmetall für mehr als 100 Millionen Euro eine Fabrik, die ab 2025 Mittelrumpfteile für F15-Kampfjets produzieren soll. „Keine Kommune im Ruhrgebiet hätte Rheinmetall ein solches Angebot machen können. Denn im Ruhrgebiet gibt es praktisch keine Flächen mehr“, ärgert sich Dietzfelbinger. „Hier erwarten wir mehr Engagement der Kommunen im Ruhrgebiet.“

Werner Schaurte-Küppers, Präsident der Niederrheinischen IHK, sieht eine einsetzenden Deindustrialisierung im Ruhrgebiet.
Werner Schaurte-Küppers, Präsident der Niederrheinischen IHK, sieht eine einsetzenden Deindustrialisierung im Ruhrgebiet. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann Funke Foto Services

Vor dem Hintergrund einer Arbeitslosenquote von 13 Prozent in Duisburg, sei es „Heuchelei“, dass es Politik seit Jahren nicht schaffe, Industriebrachen zu ertüchtigen, um neue Unternehmen anzusiedeln und bestehenden Expansionsmöglichkeiten.

Aber bei weitem nicht nur deshalb hat sich in der Ruhrwirtschaft eine Menge Frust angesammelt. Bei ihrer Umfrage zum Jahresbeginn ermittelten die Kammern die schlechteste Stimmung seit der Finanzmarktkrise vor rund 15 Jahren. 60 Prozent der Unternehmen sehen sich „durch das politische Hin und Her“ belastet. Vor einem Jahr waren es noch 45 Prozent. Rund zwei Drittel der Firmen im Revier blicken mit Sorge auf den Rest des Jahres. Nur noch 26 Prozent zeigen sich mit ihrer Lage zufrieden. Jedes dritte Unternehmen will die Budgets für Investitionen kürzen.

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„Die Deindustriealisierung ist bereits im Gange“, stellt IHK-Präsident Schaurte-Küpper bedrückt fest. Schuld daran seien die hohen Energiekosten, die im Ruhrgebiet besonders zu Buche schlügen. Es gibt aber auch eine gute Nachricht: Nennenswerten Arbeitsplatzabbau planen die Betriebe der Umfrage zufolge nicht. Schaurte-Küpper sieht im Stimmungsbild zum Jahresbeginn dennoch einen „Hilferuf der Wirtschaft an die Politik: Reißt endlich das Ruder rum! Land und Bund müssen jetzt ein umfassendes Entlastungs- und Wachstumspaket auf den Weg bringen.“