Essen. Die sechs Ruhr-IHKs fühlen sich zunehmend von der Politik und leiden unter immer mehr Bürokratie. Was sie kritisieren, fordern und ändern wollen.

Die Rezession nach den vielen Krisen der jüngsten Vergangenheit schreckt die Unternehmen an Rhein und Ruhr noch am wenigsten. Sie leiden nach eigenen Angaben viel mehr unter Bürokratie, langen Genehmigungsverfahren und die von ihnen so empfundene Gängelung durch die Politik. Bei den Vertreterinnen und Vertretern der sechs Industrie- und Handelskammern, die für das Ruhrgebiet zuständig sind, hat sich so einiges aufgestaut, wie im Gespräch deutlich wurde, zu dem die WAZ ins Funke Media Office nach Essen eingeladen hatte. Diese drei Kernthemen sind den Kammern besonders wichtig.

Scharfe Kritik an der Politik

Das Verhältnis zwischen Politik und Wirtschaft ist seit jeher gespannt. Der Stimmung in den Unternehmen und bei den Verbänden nach zu urteilen, macht sich aktuell besonders viel Frust breit. „Wir als Unternehmen stemmen uns gegen die sich abzeichnende Wirtschaftsschwäche. Das machen wir alle gern. Dafür brauchen wir aber politische Unterstützung und keine weiteren Gängelungen“, sagt Werner Schaurte-Küppers, Präsident der Niederrheinischen IHK zu Duisburg, im Hinblick auf die sich abzeichnende Rezession. Der geschäftsführende Gesellschafter der Hülskens Holding in Wesel wirft der Politik eine „Regelwut“ vor, die Investoren abschrecke. „Das darf nicht zu einer weiteren Deindustrialisierung führen“, warnt Schaurte-Küppers.

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Die Kritik der Ruhrwirtschaft richtet sich dabei nicht nur an die Adresse der Bundesregierung. „Für den Stillstand in Deutschland ist nicht nur die Ampel in Berlin verantwortlich. Vieles findet auch hier in NRW statt“, erklärt Ralf Stoffels, der in Personalunion als Präsident die IHK Nordrhein-Westfalen und die Südwestfälische IHK zu Hagen führt. „Die Infrastruktur in NRW liegt am Boden. Lüdenscheid gibt es überall im Land“, meint Stoffels im Hinblick auf das Verkehrschaos nach dem Abriss der maroden A45-Brücke. Die Infrastruktur muss wachsen, sonst kann die Wirtschaft nicht wachsen.“

„Der Bundestag haut ein Gesetz nach dem anderen heraus“

Noch bevor das Bundesverfassungsgericht die überhastete Verabschiedung des Heizungsgesetzes stoppte, äußerten auch die IHK-Vertreter Kritik an eiligen parlamentarischen Verfahren. „Der Bundestag haut ein Gesetz nach dem anderen heraus. Das ist ein Programm, als gäbe es kein morgen“, sagt der Duisburger Hauptgeschäftsführer Stefan Dietzfelbinger. „Wir befinden uns aber in einer Krise. Diese Disbalance versteht niemand mehr.“

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Auf die Auswirkungen der schnellen Beratungsfolgen, die inzwischen auch das Bundesverfassungsgericht gerügt hat, weist auch Fritz Jaeckel hin. „Die Parlamentarier haben fast überhaupt keine Zeit mehr, über Gesetze zu beraten. Das schädigt unsere Industrie und unsere Demokratie“, kritisiert der Hauptgeschäftsführer IHK Nord Westfalen, die auch für Gelsenkirchen, Bottrop und den Kreis Recklinghausen zuständig ist.

Bürokratie „wirklich belästigend“

An anderen Stellen wünschen sich die Kammern dagegen deutlich mehr Tempo. „Genehmigungsverfahren können beschleunigt werden, wenn man auf Planfeststellungsverfahren verzichtet und den Bau etwa eines Kraftwerks in einem Maßnahmengesetz politisch festlegt“, meint Jaeckel. Als „wirklich belästigend“ empfindet inzwischen auch der Duisburger IHK-Präsident die langen und komplexen Genehmigungsverfahren in Deutschland. „Als Unternehmer haben wir den Eindruck, nur noch für den Staat zu arbeiten, um bürokratische Anforderungen zu erfüllen. Wir fühlen uns ein wenig überfordert durch die Vorgaben der Bundesregierung, aber auch der NRW-Landesregierung“, sagt Schaurte-Küppers.

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Hartmut Buhren verweist auf die Duale Ausbildung, die „ein Pfund“ sei, um das Deutschland beneidet werde. „Der Wandel kommt immer schneller. Die Wirtschaft muss sich transformieren, um Schritt zu halten“, sagt der Chef des Mülheimer Baustoff- und Baumarktbetreibers Harbeck. „Die einzige Chance ist, die Mitarbeitenden stetig zu qualifizieren, um im Wettbewerb die Nase vorn zu haben.“

Der immer weiter wachsende Dschungel aus staatlichen Vorschriften ist ausgesprochen häufig Thema in den Unternehmen. Michael Vogelsang, Vizepräsident der IHK Mittleres Ruhrgebiet (Bochum, Herne, Hattingen, Witten), hat dazu einen konkreten Vorschlag: „Über Bürokratieabbau wird seit Jahren gesprochen. Es passiert aber gar nichts“, stellt der Vorstand der Volksbank Sprockhövel ernüchtert fest. „Warum gibt es nicht die Regelung, dass mit Verabschiedung eines neuen Gesetzes zwei alte abgeschafft werden. So könnte es doch gehen.“

Mehr Tempo beim Wasserstoff

Vogelsang schwant allerdings, dass schwerfällige Abläufe zu einem Problem für das Zukunftsthema des Ruhrgebiets werden könnte. „Es kann nicht sein, dass die Genehmigung neuer Wasserstoffleitungen bis zu zehn Jahre dauert“, warnt der IHK-Vizepräsident. Die Sorge treibt auch seinen Dortmunder Amtskollegen Ansgar Fendel um. „Mit dem Aufbau einer Wasserstoff-Infrastruktur hätten wir längst beginnen müssen. Das haben wir aber nicht getan“, bemängelt der Geschäftsführer der Remondis Assets Services GmbH. Fendel warnt davor, dass das Land bei der Umstellung auf Wasserstoff „in eine Glaubenswelt hinein“ laufe, anstatt sich an „die realen Gegebenheiten“ zu halten.

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Tatjana Hetfeld, Vizepräsidentin der IHK Nord Westfalen, sieht das Ruhrgebiet bei der Transformation zwar „auf einem guten Weg“, bemängelt aber: „Der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft kommt viel zu langsam voran.“ Sie formuliert klare Forderungen der Unternehmen an Rhein und Ruhr: Um überhaupt genügend Wasserstoff für die Region zu bekommen müsse das bundesweite 550.000 Kilometer lange Gasnetz umgerüstet werden. „Ein Abbau darf keine Option sein“, unterstreicht die Geschäftsführerin der RDN Agentur für Public Relations in Recklinghausen.

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Unverzichtbar sei eine Anbindung an die Niederlande. Das Nachbarland plant den Bau einer Pipeline vom Seehafen Rotterdam nach Venlo. Sie soll 2027 fertiggestellt sein. Von dort aus soll der grüne Wasserstoff, der unter anderem aus Nordafrika kommt, auch ins Ruhrgebiet weitergeleitet werden. Hetfeld hat kein Verständnis dafür, dass der Energieträger der Zukunft zunächst nur großen Konzernen zur Verfügung gestellt werden. Die IHK-Vizepräsidentin: „Es kann nicht sein, dass nur die ganz großen Industrieunternehmen von Wasserstoff-Anschlüssen profitieren sollen. Wir dürfen auch den energieintensiven Mittelstand nicht vergessen.“