Düsseldorf . Die wichtigsten NRW-Wirtschaftsverbände verstehen sich eigentlich als politisch neutral. Nun sehen sie die „Systemfrage“ gestellt.
Gut vier Wochen vor der Europawahl haben die wichtigsten Interessenvertreter der nordrhein-westfälischen Wirtschaft so deutlich wie selten vor einer Stimmabgabe für die AfD gewarnt.
Normalerweise agierten Wirtschaftsverbände politisch neutral, sagte Unternehmerpräsident Arndt Kirchhoff am Donnerstag vor der Landespressekonferenz in Düsseldorf. „Aber in diesem Falle, wo die Systemfrage zu stellen ist und das vielleicht nicht jedem bewusst ist, ob wir weiterhin Demokratie und Rechtstaatlichkeit haben wollen oder das Gegenteil“, müssten Geschäftsleitungen und Mitarbeiter gemeinsam ein Zeichen setzen.
„Wählengehen ist das Allerwichtigste, aber wir werden ganz klar adressieren, dass wir bitte demokratische Parteien wählen“, sagte Kirchhoff mit Blick auf die Europawahl am 9. Juni. Die Landesvereinigung der Unternehmensverbände hat gemeinsam mit den Industrie- und Handelskammern (IHK NRW) und dem Westdeutschen Handwerkskammertag ein zehnseitiges Bekenntnis zum europäischen Einigungsprozess veröffentlicht.
Rund 1,7 Millionen Arbeitsplätze in NRW hängen am EU-Binnenmarkt
„Europafeindliche Parteien, die müssen wir einfach demaskieren“, forderte Kirchhoff. „Natürlich sind wir auch verwundert, dass bei uns in Deutschland die AfD offensichtlich in Umfragen noch immer einen solchen Zuspruch hat“, so der Autozulieferer aus Südwestfalen. Er könne sich die Umfragewerte gar nicht erklären, weil es im bisherigen Parteiensystem der Bundesrepublik immer so gewesen sei, dass wir nur „einen geringen einstelligen Prozentsatz haben an nationalsozialistischem Gedankengut“.
Die NRW-Wirtschaft ist offenbar alarmiert durch Gedankenspiele über einen „Dexit“, also den Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union. Rund jeder vierte Arbeitsplatz an Rhein und Ruhr ist vom EU-Binnenmarkt abhängig. In der Industrie ist es sogar jeder zweite. Rund 1,7 Millionen Arbeitsplätze in NRW hängen am zoll- und barrierefreien Export in andere EU-Staaten.
„Man kann ja mit vielen Dingen, die vielleicht unsere Ampel-Koalition oder generell die etablierten Parteien aus Sicht des Bürgers nicht optimal machen, nicht einverstanden sein. Aber deshalb Parteien, die gegen das System sind, zu wählen, ist eben nicht die richtige Lösung“, warnte IHK-Präsident Ralf Stoffels.
NRW-Handwerk fordert besseren „Praxischeck“ für neue EU-Gesetze
Florian Hartmann, Hauptgeschäftsführer des Westdeutschen Handwerkskammertages, machte deutlich, dass sich viele Betriebe über Vorgaben aus Brüssel ärgerten und dass dies durchaus das Bild von der EU präge. Die Handwerker wünschten sich bessere „Praxischecks“, wie Rechtsakte tatsächlich wirkten. Allein zwischen 2020 und 2030 hätten die EU-Institutionen über 2500 Gesetze erlassen oder reformiert.
Grundsätzlich bleibe das europäische Einigungswerk jedoch „ein Glückfall“, was man vor der Europawahl auch in die Belegschaften tragen wolle. „Man müsste jeder und jedem in Nordrhein-Westfalen eine Reise nach Großbritannien spendieren, weil da sieht man ja, was ein Brexit mit einem Land macht“, so Hartmann.