Duisburg. Sigmar Gabriel, Aufsichtsratschef von Thyssenkrupp Steel, will eine Neuaufstellung von Deutschlands größtem Stahlkonzern initiieren.
Sigmar Gabriel, der Aufsichtsratsvorsitzende von Thyssenkrupp Steel, bereitet die rund 27.000 Beschäftigten von Deutschlands größtem Stahlkonzern auf tiefgreifende Veränderungen vor. „Wir können nicht so weitermachen wie bisher“, sagt Gabriel im Interview mit unserer Redaktion. Thyssenkrupp Steel benötige „eine grundlegende Neuaufstellung“, betont Gabriel. „Wir haben Anlagen, die auf eine jährliche Produktion von knapp 12 Millionen Tonnen ausgelegt sind, aber wir verkaufen derzeit nur etwa neun Millionen Tonnen – Tendenz möglicherweise sogar fallend. Eine gewisse Zeit lässt sich das ohne Anpassungen überbrücken, aber nicht auf Dauer. Wir alle zusammen im Unternehmen, das Management und die Mitbestimmung, müssen jetzt schauen, dass wir einen Plan entwickeln, der uns in die Zukunft trägt.“
Es sei geplant, dass der Vorstand von Thyssenkrupp Steel bis Mitte April ein Konzept vorlegen werde, kündigt Gabriel in unserem Interview an. „Wie sich die aktuelle Situation auf die zukünftige Beschäftigung in den nächsten Jahren auswirken kann, ist eine der Fragen, mit denen sich der Stahl-Vorstand selbstverständlich befassen muss. Es kann sicher nicht ausgeschlossen werden, dass bei Kapazitätsanpassungen auch ein Beschäftigungsabbau erfolgt“, so Gabriel. Auch mit Blick auf den tschechischen Milliardär Daniel Kretinsky, der an einem Einstieg bei Thyssenkrupp Steel Interesse gezeigt hat, äußert sich der frühere Vizekanzler Gabriel eindeutig.
Herr Gabriel, an den Bilanzen von Thyssenkrupp lässt sich ablesen, wie schwierig die Lage derzeit in der Stahlindustrie ist. Sind Sie besorgt um Thyssenkrupp Steel?
Gabriel: Die Bedingungen für die Stahlwerke in Europa haben sich verschlechtert. Es wäre falsch, die Lage schönzureden. Die Konjunktur ist schwach, gerade auch in der Automobilindustrie, in der wir wichtige Kunden haben. Dazu kommen die strukturellen Veränderungen in der Automobilindustrie, die nicht mehr erwarten lassen, dass die alten Absatzzahlen im Stahl auch nur annähernd erreicht werden. Der Ausstoß von CO2, der sich in der Stahlindustrie noch nicht vermeiden lässt, wird politisch verteuert. Und es gibt starke Konkurrenz beispielsweise von Wettbewerbern aus Asien, deren Stahl auf den europäischen Markt kommt.
Was bedeutet das für Thyssenkrupp Steel?
Gabriel: Der Vorstand der Thyssenkrupp Steel AG hat in dieser Situation die Initiative ergriffen und will Vorschläge für eine grundlegende Neustrukturierung des Unternehmens erarbeiten. Und ich unterstütze das als Vorsitzender des Aufsichtsrats ausdrücklich. Das ist ganz wichtig: Nicht die Thyssenkrupp AG in Essen hat uns das abverlangt, sondern es ist eine eigene Initiative des Stahlgeschäfts, weil wir die Realitäten nicht einfach ignorieren können. Was immer dabei an Vorschlägen herauskommt, wird natürlich danach sofort auch mit der Mitbestimmungsseite, den Betriebsräten und der IG Metall beraten.
Welchen Zeitplan haben Sie?
Gabriel: Das, was jetzt vor uns liegt, wird ja nicht in kurzer Zeit umzusetzen sein. Eine Neustrukturierung der Thyssenkrupp Steel AG wird sicher einige Jahre in Anspruch nehmen. Es ist ja kein Zufall, dass auch Private-Equity-Fonds bei Übernahme eines Unternehmens zwischen drei und fünf Jahren brauchen, um ein Unternehmen neu aufzustellen. Wir reden hier eben nicht über eine Hauruck-Aktion oder kurzfristige Businesspläne, sondern über eine grundlegende Neuaufstellung von Thyssenkrupp Steel, an deren Ende ein Unternehmen stehen muss, das seine eigenen Investitionen verdient und nicht um jeden Euro bei der Mutter „Bitte, bitte“ machen muss.
Können Sie nachvollziehen, dass es große Unruhe im Unternehmen gibt?
Gabriel: Das kann ich verstehen, weil ja noch nichts konkret auf dem Tisch liegt – und das Vertrauen im Unternehmen in den letzten 20 Jahren immer schlechter geworden ist. Wenn ein Konzern seit 20 Jahren versucht, einen Unternehmensteil zu verkaufen, dann investiert er anders und auch gelegentlich falsch. Das sehen die Beschäftigen nun schon sehr lange. Keiner traut dem anderen recht über den Weg. Jeder vermutet, dass es schon irgendwo irgendwelche konkreten Pläne gäbe, mit denen man dann überrumpelt werden soll. Das ist aber nicht der Fall.
Mit der Montanmitbestimmung hat die IG Metall jedenfalls eine starke Stellung im Konzern.
Gabriel: Ich bin ein sehr starker Verfechter der Montanmitbestimmung, die Deutschland jetzt mehr als 70 Jahre sehr gut getan hat. Die Arbeitnehmervertreter auf Augenhöhe an solchen schwierigen Prozessen zu beteiligen, ist die wichtigste Bedingung für den Erfolg. Jedenfalls steht für mich außer Frage, dass sämtliche Entscheidungen nur gemeinsam mit unseren Mitbestimmungsgremien fallen sollten, so wie wir das auch in der Vergangenheit immer getan haben. Am Ende muss ein zukunftsfähiges Stahlunternehmen stehen, in dem auch noch die Kinder und Enkel der heutigen Stahlarbeiter einen Arbeitsplatz finden – und ein fairer Interessenausgleich. Darum geht es. Dass wir dabei niemanden ins Bergfreie fallen lassen wollen, ist doch klar.
Ausgerechnet jetzt – in dieser heiklen Phase – laufen Betriebsratswahlen bei Thyssenkrupp Steel.
Gabriel: Mir wäre am liebsten mit einer starken IG Metall, weil dann die besten Ergebnisse für beide Seiten herauskommen. Schlimm wäre es, wenn bei den bevorstehenden Betriebsratswahlen mit radikalen Parolen ein am Ende zersplitterter Betriebsrat und gespaltene Arbeitnehmervertretungen im Betriebsrat und Aufsichtsrat herauskämen. Denn dann verhandeln die Arbeitnehmer mit zwei, drei oder mehr Stimmen und wir mit einer. Das wäre nicht gut für die Beschäftigten.
Wie wollen Sie denn wieder Vertrauen schaffen?
Gabriel: In dem ich absolut offen sage, was los ist. Wir können nicht so weitermachen wie bisher. Wir haben Anlagen, die auf eine jährliche Produktion von knapp 12 Millionen Tonnen ausgelegt sind, aber wir verkaufen derzeit nur etwa neun Millionen Tonnen – Tendenz möglicherweise sogar fallend. Eine gewisse Zeit lässt sich das ohne Anpassungen überbrücken, aber nicht auf Dauer. Wir alle zusammen im Unternehmen, das Management und die Mitbestimmung, müssen jetzt schauen, dass wir einen Plan entwickeln, der uns in die Zukunft trägt.
Und wie soll dieser Plan aussehen?
Gabriel: Klar ist: Es muss uns gelingen, dass sich unser Geschäft selbst trägt. Ich bin überzeugt: Wir können das schaffen. Und dazu erarbeitet der Stahlvorstand bis Mitte April jetzt klare Vorschläge, die nicht in Stein gemeißelt sein werden, die man hinterfragen darf und die wir dann vom ersten Tag an offen mit den Beschäftigten und der Mitbestimmung beraten werden.
Das heißt aber auch: Es ist noch vieles offen.
Gabriel: Mehr Sicherheit als Sicherheit im Verfahren kann ich heute aktuell nicht bieten, weil der Stahlvorstand seine Ideen erst Mitte April vorlegen wird. Dann beginnt eigentlich erst die Diskussion. Aber die Sicherheit zu haben, dass wir mit der Mitbestimmung einen Prozess und ein Verfahren entwickeln werden, an dem alle Seiten fair beteiligt werden, ist schon ziemlich viel – mehr als es in jedem anderen Land der Erde gibt.
Noch unter Thyssenkrupp-Chefin Martina Merz ist der Plan veröffentlicht worden, die Stahlsparte zu verselbstständigen. Realisiert worden ist das Vorhaben aber bislang dennoch nicht. Wie geht es nun weiter?
Gabriel: Die Verselbstständigung ist für Thyssenkrupp Steel die richtige Strategie. Das sage ich auch mit meiner Erfahrung, die ich im Aufsichtsrat des Stahlkonzerns Salzgitter gemacht habe, der auch einmal zu einem großen Konzern gehört hat und durch eine Verselbstständigung profitiert hat. Es mobilisiert Kräfte, wenn ein Unternehmen für sich selbst verantwortlich ist und sich nicht hinter einer Mutter verstecken kann.
Lassen sich die Verselbstständigung und der Börsengang von Salzgitter im Jahr 1998 wirklich auf Thyssenkrupp Steel übertragen? Schließlich ist in diesem Fall auch das Bundesland Niedersachsen eingestiegen und hat den Stahlkonzern zwischenzeitlich verstaatlicht.
Gabriel: Das war eine ganze andere Situation: Wir haben als Land Niedersachsen damals 100 Prozent des Unternehmens übernommen, weil wir den Verkauf der Salzgitter AG durch den Preussag-Konzern ins Ausland verhindern wollten. Und zwar so, dass wir nicht wussten, was eigentlich dann noch an Stahlproduktion in Niedersachsen verbleiben würde. Diese Frage stellt sich ja bei Thyssenkrupp Steel Gott sei Dank selbst dann nicht, wenn wir einen privaten Investor bekämen. Die Garantenstellung des Landes Niedersachsen mit 25,1 Prozent an der Salzgitter AG sorgt heute lediglich dafür, dass das Unternehmen in Niedersachsen bleibt. Ansonsten zahlt das Land keinen Cent für die Salzgitter AG, sondern verdient mit seinen Anteilen bislang Geld.
Liegt es an mangelndem Willen zur Umsetzung oder an fehlendem Geld, dass Thyssenkrupp Steel bislang noch kein eigenständiges Unternehmen geworden ist?
Gabriel: Richtig ist: Der Kapitalbedarf bei einer Verselbstständigung von Thyssenkrupp Steel ist enorm und stellt eine große Herausforderung für den Mutterkonzern in Essen dar. Daher ist die Verselbstständigung auch nicht von heute auf morgen zu realisieren.
Wäre es gut, wenn bei der Verselbstständigung von Thyssenkrupp Steel auch der Staat Anteile übernimmt wie bei Salzgitter, wo das Land Niedersachsen ein Viertel der Aktien hält?
Gabriel: Das Land Nordrhein-Westfalen hat sich doch schon durch die Landesregierung von Ministerpräsident Wüst massiv für Thyssenkrupp Steel engagiert. Für den Aufbau unserer Grünstahl-Produktion in Duisburg steuert NRW rund 700 Millionen Euro bei – das ist die größte Einzelförderung in der Geschichte des Landes. So viel Geld hat Niedersachsen der Salzgitter AG nie gegeben. Was Thyssenkrupp angeht, stellt sich die Frage, was uns eine Staatsbeteiligung bringen würde.
Geben Sie uns Ihre Antwort darauf.
Gabriel: Sie hilft bei der notwendigen Anpassung an die Weltstahlmarktentwicklung überhaupt nicht. Aber verstehen Sie mich nicht falsch: Wenn das Land NRW nach seiner großzügigen Förderung der ersten mit Wasserstoff betriebenen Direktreduktion auch eine Beteiligung am Stahlwerk haben will, um mitzubestimmen, wohin die Reise eines seiner wichtigsten Unternehmen geht, wird sicher auch niemand widersprechen. Nur darf man die Illusion nicht haben, dass das vor den jetzt notwendigen Überlegungen schützt.
Dennoch können Sie mit der ersten Direktreduktionsanlage in Duisburg gerade einmal ein Viertel der Produktion auf eine klimafreundliche Stahlerzeugung umstellen.
Gabriel: Ja, deshalb muss die Transformation weitergehen. Wir haben allein bei Thyssenkrupp Steel vier Hochöfen in Duisburg, zwei weitere kommen bei unserer Beteiligung HKM hinzu. Erst für einen Hochofen haben wir Klarheit. Aber mehr auch nicht. Das zeigt auch: Wir brauchen einen Stahl-Dialog auf Bundesebene. Die Bundesregierung muss die Frage beantworten: Welche Rolle soll die Stahlindustrie in Zukunft am Standort Deutschland haben? Diese Frage können nicht allein die Unternehmen beantworten, weil sie sofort ins Visier des Kartellamtes kämen. Das kann und muss bei der Bedeutung der Stahlindustrie die Bundesregierung initiieren. Es kann doch niemand wollen, dass wir den grünen Stahl, den wir in der Bundesrepublik brauchen, vor allem importieren müssen.
Thyssenkrupp Steel leidet schon seit vielen Jahren darunter, dass der Konzern knapp bei Kasse ist.
Gabriel: Mein Eindruck ist auch, dass in den zurückliegenden Jahren – vor meiner Zeit bei Thyssenkrupp Steel – lange immer nur darüber nachgedacht wurde, wie man die Stahlsparte loswird. Das hat mich schon ein wenig erinnert an eine Mutter, die möchte, dass ihr Sohn endlich auszieht und daher zuerst an frischer Farbe für die Tapeten im Jugendzimmer spart und irgendwann auch die Heizung herunterdreht. Daher ist es ja so wichtig, dass wir uns so aufstellen, dass sich Thyssenkrupp Steel aus eigener Kraft am Markt behaupten kann.
Was schwebt Ihnen vor?
Gabriel: Ich habe die Erwartung, dass der Stahlvorstand vor dem Hintergrund dieser grundlegenden Veränderungen am deutschen, europäischen und internationalen Stahlmarkt bis Mitte April ein Konzept entwickelt, wie wir unter den erschwerten Bedingungen in der Stahlindustrie erfolgreicher werden können. Wir haben einen hervorragenden Vorstand mit Bernhard Osburg an der Spitze, der nicht abwartet, sondern handelt. Es geht darum, eine Perspektive für die nächsten drei bis fünf Jahre zu entwickeln.
Wird es wegen der Stahlkrise Arbeitsplatzabbau bei Thyssenkrupp Steel geben?
Gabriel: Wie sich die aktuelle Situation auf die zukünftige Beschäftigung in den nächsten Jahren auswirken kann, ist eine der Fragen, mit denen sich der Stahl-Vorstand selbstverständlich befassen muss. Es kann sicher nicht ausgeschlossen werden, dass bei Kapazitätsanpassungen, auch ein Beschäftigungsabbau erfolgt. Da sich der Umbau aber über mehrere Jahre erstrecken wird und zudem der demografische Wandel und der Fachkräftemangel auch ein Teil unserer Realität sind, muss es möglich sein, das sozial verträglich zu gestalten. Hingegen würde ein „Weiter so“ langfristig dramatische Konsequenzen für die Sicherheit der Arbeitsplätze haben. Und ich kann auch verstehen, dass bei all den Gerüchten, die durch das Unternehmen gehen, diese Frage im Mittelpunkt der Beschäftigten steht. Im Kern geht es aber erst einmal um etwas anderes.
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Um was geht es dann?
Gabriel: Wir reden hier vom größten integrierten Hüttenwerk Europas in der Stahlindustrie, das seit Jahren unterausgelastet ist und das in der jetzigen Struktur auch bleiben wird. Dadurch schaffen wir es nicht, die notwendigen Investitionen selbst zu erwirtschaften. Kein Eigentümer kann auf Dauer dafür einspringen. Deshalb brauchen wir ein Stahlunternehmen, das so aufgestellt ist, dass es die eigenen Investitionen auch erwirtschaften kann. Die Hoffnung, dass der Absatz vor allem in der für Thyssenkrupp Steel so wichtigen Automobilindustrie zurückkäme, hat sich als Illusion erwiesen. Auch die anderen Abnehmerindustrien der Stahlindustrie stehen unter großem Druck. Viele bauen Beschäftigung ab oder verlagern ihre Produktion, wie jüngst zum Beispiel von Miele zu hören war. Die Zahlen zeigen durchweg eher nach unten als nach oben.
Aber es geht doch um mehr als konjunkturelle Zyklen.
Gabriel: Leider geht es hier um mehr: Natürlich sind wir auch in einem konjunkturellen Abschwung. Zeitgleich verändert sich aber dauerhaft die globale Stahlproduktion und -nachfrage. Diese Effekte wirken leider praktisch alle gegen die europäischen und deutschen Stahlunternehmen. Deshalb wird die Lage selbst dann nicht grundlegend besser, wenn die Konjunktur in zwei oder drei Jahren besser wird. Es zeigt sich immer deutlicher, dass alle Rahmenbedingungen für die Stahlerzeugung sich in Europa und vor allem in Deutschland verschlechtern: Bei Umstellung auf grünen Stahl steigen die Energiekosten pro Tonne Stahl von bisher unter zehn Prozent auf gut 50 Prozent. Kein Mensch kann Ihnen die Frage beantworten, wo eigentlich die Mengen Wasserstoff herkommen sollen, die in Zukunft benötigt werden. Zeitgleich gehört Deutschland zu den teuersten Energiestandorten. Neue Wettbewerber kommen mit preiswerter erzeugtem und komplett grünem Stahl in Europa und auch weltweit auf den Markt. Diese Wettbewerber werden auch um Marktanteile kämpfen, die heute Thyssenkrupp Steel bedient.
Ist die Politik hier hilflos?
Gabriel: Die Idee der Europäischen Kommission, den europäischen Markt durch eine Art Klimazoll vor den Stahlimporten aus Asien zu schützen, die nicht „grün“ erzeugt worden sind, wird über kurz oder lang ins Leere laufen. Denn auch die dortigen Stahlerzeuger werden „grünen Stahl“ erzeugen. Sie tun das heute schon. Zumal dies nur ein Importschutz ist. Thyssenkrupp Steel exportiert aber auch seine Stahlerzeugnisse. Da hilft ein Importschutz wenig, weil wir auf dem Weltmarkt mit Stahlproduzenten konkurrieren, die weitaus billiger anbieten können, weil sie nichts für Umwelt- und Klimaschutz tun oder sogar noch staatlich subventioniert werden. Zugleich werden die CO2-Preise für noch nicht „grün“ erzeugen Stahl in Europa und in Deutschland steigen. Das alles verändert die Lage bei Thyssenkrupp Steel und der gesamten Stahlindustrie in Deutschland und Europa enorm.
Welche Zukunft hat dann Stahl aus Deutschland überhaupt noch?
Gabriel: Wenn man jetzt den harten Realitäten ins Auge sieht und nicht den Kopf in den Sand steckt, sondern sich gemeinsam mit den Anteilseignern und den Arbeitnehmervertretern und der Mitbestimmung auf den Weg macht, eine Neuaufstellung von Thyssenkrupp Steel in Angriff zu nehmen, dann habe ich absolut keine Sorge um die Zukunft der deutschen Stahlindustrie. Im Gegenteil: Grüner Stahl weckt ja sogar Fantasie auf den Finanzmärkten und bei Analysten, die in der Vergangenheit den Stahl schon weitgehend abgeschrieben hatten.
Zur Verunsicherung trägt in der Belegschaft insbesondere bei, dass Thyssenkrupp-Vorstandschef Miguel López schon seit Monaten die Chancen für einen Teilverkauf der Stahlsparte an den tschechischen Milliardär Daniel Kretinsky auslotet. Soll Thyssenkrupp Steel hübsch gemacht werden für ein Geschäft mit Kretinsky?
Gabriel: Ich halte Herrn Kretinsky für einen ziemlich klugen Mann, der vor allem eines kann: rechnen. Und das sollte er auch, denn es geht ja um sein Geld. Der wird ganz gewiss bei Thyssenkrupp nicht einsteigen, wenn da nur sozusagen „die Braut hübsch“ gemacht werden soll. Kurzfristig „aufgepimpte“ Businesspläne helfen da gar nichts. Sondern jeder Investor wird sehen wollen, ob das Unternehmen mittelfristig eine Struktur hat, in der es seine Investitionen selbst verdient und nicht immer wieder auf die Hilfe des Konzerns oder eines neuen Anteilseigners angewiesen ist. Alle Banken, mit denen ich gesprochen habe, alle Private-Equity-Unternehmen, die ich gefragt habe, geben mir alle die gleiche Antwort: Wir wollen sehen, dass Ihr zuerst Eure eigenen Hausaufgaben macht und Euch auf die neue wirtschaftliche und weltweite Lage einstellt. Nichts anderes wird Herr Kretinsky von uns verlangen.
Ist Daniel Kretinsky der richtige Partner für Thyssenkrupp Steel?
Gabriel: Ja, natürlich könnte er es sein. Aber nochmal: Wir starren derzeit immer auf irgendeinen Investor und wundern uns dann, dass er nicht kommt. Dann schauen wir auf den Thyssenkrupp-Konzern und meinen, jetzt muss der helfen. Und wenn das nicht hilft, dann wird schnell der Ruf nach dem Staat laut. Das sind aber in Wahrheit alles nur Zeichen von Hilflosigkeit und auch ein bisschen von Mutlosigkeit.
Sie planen einen Befreiungsschlag von Thyssenkrupp Steel?
Gabriel: Die größte Chance, dass wir auch Hilfe von außen bekommen werden, existiert dann, wenn wir selbst uns so aufgestellt haben, dass das Unternehmen in der Lage ist, seine eigenen Investitionen zu finanzieren, so wie es alle anderen Unternehmen in Deutschland auch tun. Ich bin übrigens absolut sicher, dass sich dann auch andere Investoren für uns interessieren und nicht nur Herr Kretinsky. Grüner Stahl beflügelt doch gerade die Fantasie der Investoren und der Kapitalmärkte.
Halten Sie eine Verselbstständigung vor allem mit Kretinsky für möglich?
Gabriel: Es gibt nicht nur einen Weg in die Verselbstständigung. Ich sehe mindestens drei Optionen. Erstens: Der Stahl könnte zum neuen Kern von Thyssenkrupp werden. Zweitens: Wir werden mit einem starken Ankeraktionär selbstständig. Drittens: Wir tun uns mit jemandem zusammen – mit Herrn Kretinsky beispielsweise.
Es sind aus Ihrer Sicht also auch andere Partner für Thyssenkrupp Steel denkbar als Kretinsky?
Gabriel: Am Ende des Prozesses, den wir nun anstoßen, wird es eher mehr als weniger Interesse geben. Davon bin ich überzeugt. Der Stahl ist schon viel zu lange nur als Last betrachtet worden. Wenn wir zeigen können, wie wir ein erfolgreiches Unternehmen für grünen Stahl formen können, schürt das die Fantasie bei Investoren.