Duisburg. Thyssenkrupp-Konzernbetriebsratschef Tekin Nasikkol: „Kampf um Arbeitsplätze hat begonnen.“ Kundgebung vor Zentrale in Essen geplant.
Als die Dienstlimousine von Hubertus Heil eintrifft, erklingt ein Klassiker unter den Arbeiterliedern auf der eilig installierten Bühne für die Großkundgebung der Stahlbeschäftigten. „Reih‘ dich ein in die Arbeitereinheitsfront, weil du auch ein Arbeiter bist“, tönt es aus dem Lautsprechern. Tausende Menschen haben sich da bereits vor der Zentrale von Deutschlands größtem Stahlkonzern Thyssenkrupp Steel versammelt. Später wird Arbeitsminister Heil auch Grüße von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ausrichten. „Ihr seid nicht allein“, ruft der Sozialdemokrat den Beschäftigten zu. „Wir schauen nicht tatenlos zu, was hier abgeht.“
Was sich gerade bei einem der traditionsreichsten Unternehmen des Landes abspielt, beschreiben die Arbeitnehmervertreter mit drastischen Worten. Es ist viel von Wut die Rede – und von mangelndem Respekt des Managements gegenüber den Beschäftigten. Die Konzernleitung, die widersprechen könnte, ist nicht erschienen. Thyssenkrupp-Vorstandschef Miguel López hat bereits vor Tagen abgesagt. Auch Stahlchef Bernhard Osburg bleibt der Versammlung fern. Stattdessen scharen sich führende Köpfe der Bundes- und Landesregierung um die Betriebsräte von Thyssenkrupp: Freundschaftlich umarmen sich Hubertus Heil und NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU). Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, eine Duisburgerin, ergreift ebenfalls das Wort. Immer wieder wird der Slogan „Stahl ist Zukunft“ skandiert.
Solidaritätsadressen von Wüst und Scholz für Thyssenkrupp-Stahlkocher
Thyssenkrupp-Konzernbetriebsratschef Tekin Nasikkol berichtet den Beschäftigten auf der Bühne von einem Anruf, den er am Vorabend von Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) erhalten habe. Wüst habe ihm gesagt, er stehe solidarisch an der Seite der Stahlarbeiter, erzählt Nasikkol. „So muss ein Ministerpräsident sein“, fügt er und dem Applaus der Belegschaft hinzu.
Es sind auch die milliardenschweren staatlichen Hilfen, die Deutschlands größter Stahlkonzern erhalten soll, die Thyssenkrupp zu einem Politikum machen. Für den Aufbau einer Grünstahl-Produktion in Duisburg hat das Unternehmen rund zwei Milliarden Euro aus staatlichen Kassen zugesprochen bekommen, 1,3 Milliarden Euro davon vom Bund. NRW will bis zu 700 Millionen Euro beisteuern – die größte Einzelförderung in der Geschichte des Landes.
Doch die Euphorie, die mit der Förderung verbunden war, ist bei Thyssenkrupp längst neuer Verunsicherung gewichen. „Wir erleben eine Hiobsbotschaft nach der anderen“, sagt Nasikkol. Vor wenigen Tagen erst hat der Vorstand von Thyssenkrupp Steel angekündigt, die Kapazitäten zur Stahlerzeugung drastisch reduzieren und Arbeitsplätze abbauen zu wollen. Kurz darauf macht Thyssenkrupp-Chef Miguel López dann publik, dass der tschechische Milliardär Daniel Kretinsky mit seinem Unternehmen EPCG beim Stahlgeschäft des Revierkonzerns einsteigen wird. Zunächst mit 20 Prozent der Anteile, später soll Kretinsky auf 50 Prozent aufstocken.
IG Metall: Werden vom Vorstand beim Kretinsky-Deal im Dunkeln gehalten
Doch zu welchem Preis? Die Arbeitnehmervertreter beklagen, sie würden „im Dunkeln gehalten“. So formuliert es Tekin Nasikkol. Auch der frühere IG Metall-Chef Detlef Wetzel, heute stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender von Thyssenkrupp Steel, kritisiert, der Vorstand von Thyssenkrupp verweigere Antworten auf entscheidende Fragen: Wie viel Geld bringe Kretinsky ein? Stehe der Investor zu den Standorten? Habe Kretinsky ein Rückzugsrecht?
Eigentlich hatte López erklärt, zunächst solle ein „neuer Business Plan“ für Thyssenkrupp Steel entworfen werden, dann könne auf dieser Basis ein Gemeinschaftsunternehmen mit Kretinsky gegründet werden, so López. Doch plötzlich soll es ganz schnell gehen. Führende Arbeitnehmervertreter vermuten, es dürfte bereits Absprachen mit dem tschechischen Geschäftsmann geben, von denen ihnen nichts bekannt sei.
Noch hat der Thyssenkrupp-Aufsichtsrat den Plänen des Vorstands nicht zugestimmt. Nach Angaben von López soll sich das Gremium bei seiner nächsten Sitzung am 23. Mai mit dem Kretinsky-Deal befassen. Knut Giesler, der Chef der IG Metall in NRW, deutet an, dass der Vortand nicht mit einem Ja der Arbeitnehmervertreter rechnen kann. Auch Giesler schimpft, der Vorstand agiere intransparent. „Das ist eine Unverschämtheit“, sagt Giesler und greift auch Thyssenkrupp-Aufsichtsratschef Siegfried Russwurm an, der zugleich BDI-Präsident ist. Solange den Arbeitnehmervertretern nicht klar sei, was mit dem Einstieg von Kretinsky verbunden sei, „werden wir einem solchen Deal nicht zustimmen“, stellt Giesler klar.
Am 23. Mai ziehen die Thyssenkrupp-Arbeiter zur Zentrale nach Essen
Für den Tag der Aufsichtsratssitzung am 23. Mai kündigen Betriebsrat und IG Metall bereits eine weitere Kundgebung an. Da López nicht zu ihnen nach Duisburg gekommen sei, würden die Stahlbeschäftigten nach Essen reisen, um vor der dortigen Konzernzentrale zu demonstrieren.
„Der Kampf um die Arbeitsplätze hat begonnen“, sagt Tekin Nasikkol. Es sei nicht davon auszugehen, dass es mit einer oder zwei Kundgebungen getan sei. „Das wird noch eine lange Auseinandersetzung“, vermutet der erfahrene Gewerkschafter Detlef Wetzel.
Marco Gasse, der Betriebsratschef der Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM), erinnert an den Arbeitskampf um das Stahlwerk in Rheinhausen. 30 Jahre liegt die Schließung des Standorts aus dem Krupp-Konzern mittlerweile zurück. Rheinhausen – das ist auch der Inbegriff für den erbitterten Konflikt eines Managements mit der Mitbestimmung. „Wiederholen Sie diese Fehler nicht“, ruft Marco Gasse Thyssenkrupp-Chef López zu. „Wir sind kampfbereit.“
Wüst fordert Thyssenkrupp-Vorstand auf, die Beschäftigten einzubinden
Auch NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) scheint die Sorge einer weiteren Eskalation bei Thyssenkrupp umzutreiben. „Ich erwarte, dass die Unternehmensführung einen Zukunftsplan aufstellt, der sich an der erfolgreichen Tradition unseres Landes orientiert: Einbindung der Mitbestimmung, enges Miteinander zwischen den Sozialpartnern“, sagt Wüst – an die Adresse des Vorstands um Miguel López gerichtet. Landesarbeitsminister Laumann formuliert die Botschaft mit den Worten, in NRW gehöre „die soziale Partnerschaft zur Staatsräson“. Der Vorstand soll „bitte zur Kenntnis nehmen“, dass er auch eine Verantwortung für die Beschäftigten und das gesamte Land habe, sagt Laumann in Duisburg.
Unisono fordern Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, Laumann und Heil den Vorstand auf, beim anstehenden Wandel im Unternehmen auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten. Sie greifen damit eine der Kernforderungen von IG Metall und Betriebsrat auf. Bundesarbeitsminister Heil betont, auch der neue Investor sei gefordert, „Vertrauen zu schaffen“. Konzernbetriebsratschef Nasikkol, der ausdrücklich von Heil gelobt wird, hat kurz zuvor gefordert, die Belegschaftsvertreter müssten endlich die mit Kretinsky geschlossenen Verträge sehen, „auch das Kleingedruckte“.
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