Essen. Der tschechische Geschäftsmann Daniel Kretinsky steigt bei Thyssenkrupp Steel ein. Aber es soll auch eine Ausstiegsklausel geben.
Der tschechische Milliardär Daniel Kretinsky steigt bei Deutschlands größtem Stahlkonzern Thyssenkrupp Steel ein. Das teilte der Stahl-Mutterkonzern Thyssenkrupp überraschend am Freitagmorgen mit. Die EP Corporate Group (EPCG) des tschechischen Geschäftsmanns beteilige sich mit 20 Prozent am Stahlgeschäft von Thyssenkrupp. Das Ziel sei die Schaffung eines Gemeinschaftsunternehmens, an dem beide Seiten jeweils 50 Prozent der Anteile halten.
In einer Telefonkonferenz am Freitagvormittag sprach Thyssenkrupp-Vorstandschef Miguel López von einem „historischen und bedeutenden Schritt“. Er fügte hinzu: „Sie sehen, es geht voran.“ Allerdings müsse der Aufsichtsrat der Thyssenkrupp AG in seiner nächsten Sitzung am 23. Mai noch zustimmen. Das Ziel sei, „ein leistungsstarkes, profitables und zukunftsorientiertes Stahlunternehmen zu schaffen“, so der Thyssenkrupp-Chef. „Ein starker Energiepartner wie die EP Corporate Group ist dafür essenziell.“
Kretinsky: Erster Schritt auf Weg zu umfassender Partnerschaft
Die Vereinbarung über den Erwerb der 20-prozentigen Beteiligung an Thyssenkrupp Steel Europe sei „ein erster Schritt auf dem geplanten Weg zu einer umfassenderen strategischen Partnerschaft“, lässt sich Daniel Kretinsky, der Chef und Mehrheitseigentümer der EP Corporate Group, in der Mitteilung von Thyssenkrupp zitieren.
Zum Kaufpreis und zu weiteren finanziellen Details wollten sich Thyssenkrupp und Kretinsky nicht äußern. So bleibt offen, ob der tschechische Milliardär bei seinem Einstieg tatsächlich 20 Prozent des Buchwertes von Thyssenkrupp Steel zahlt. Dies wären dem Vernehmen nach rund 180 Millionen Euro. Angeblich soll Kretinsky aber einen deutlichen Abschlag beim Kaufpreis erhalten und damit zu Vorzugskonditionen einsteigen können. Auch von einer „Ausstiegsklausel“ für Kretinsky ist die Rede, die noch nach einem halben Jahr gezogen werden könnte. Auf Nachfrage sagte Thyssenkrupp-Chef López bei einer Telefonkonferenz, es gebe vertragliche Regelungen für den Fall, „dass sich jemand zurückziehen wolle“.
Tschechischer Investor betont Rolle als Energiepartner von Thyssenkrupp
Jiri Novacek, Mitglied des Vorstandes der EP Corporate Group, erklärte, für sein Unternehmen sei es „eine Ehre“, bei Thyssenkrupp Steel investieren zu können. Der Stahlkonzern gehöre zu den „Säulen der deutschen Wirtschaft“. EPCG sei finanziell stark aufgestellt und auf Wachstumskurs, wird von tschechischer Seite betont. „Auf dieser Grundlage sind wir überzeugt, dass das Joint-Venture-Konzept mit Thyssenkrupp Steel eine widerstandsfähigere Position sichern wird“, so Kretinsky. „Denn der gesamte europäische Stahlsektor wird eine ähnliche Transformation durchlaufen wie der Energiesektor.“
Jiri Novacek sagte, sein Unternehmen strebe auch eine Berücksichtigung im Aufsichtsrat von Thyssenkrupp Steel an. EPCG wolle „mit am Tisch sitzen“ und sich „proaktiv“ an der Weiterentwicklung von Thyssenkrupp Steel beteiligen.
Als strategischer Partner von Thyssenkrupp Steel werde EPCG seine Kompetenzen einbringen, um eine „ausreichende Versorgung mit Energie in Form von Wasserstoff, Grünstrom sowie der Bereitstellung von anderen Energierohstoffen zu gewährleisten“, erklärte der Essener Industriekonzern. EPCG bringe als Energiehändler, -versorger und -lieferant umfangreiche Branchenkenntnisse mit. Gespräche mit weiteren potenziellen Investoren für das Stahlgeschäft führe Thyssenkrupp derzeit nicht, sagte Konzernchef López auf Nachfrage.
IG Metall zeigt sich überrascht: „Das ist kein guter Stil“
Thyssenkrupp Steel betreibt mehrere große Werke in NRW und prägt Europas größten Stahlstandort Duisburg. Die IG Metall hatte unlängst einen Forderungs- und Fragenkatalog mit Blick auf die Gründung eines möglichen Gemeinschaftsunternehmens von Thyssenkrupp und Kretinsky veröffentlicht. Zu klären ist aus Sicht der IG Metall unter anderem, ob der Konzern nach einer Übernahme durch Kretinsky weiterhin seinen Sitz in Deutschland haben werde und Thyssenkrupp langfristig beteiligt bleibe. Die IG Metall fordert zudem eine mehrjährige Sicherung von Standorten, Anlagen und der Beschäftigung. Zu diesem Zeitpunkt ist über ein 50-50-Gemeinschaftsunternehmen gesprochen worden.
Jürgen Kerner, der Zweite Vorsitzende der IG Metall und stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende von Thyssenkrupp, zeigte sich überrascht über die Nachricht zum Einstieg von Kretinsky. „Die Mitbestimmung hat nur wenige Stunden vor der Öffentlichkeit von der Entscheidung erfahren. Das ist kein guter Stil und kein guter Start“, sagte Kerner. „Wir haben uns bekanntlich nie prinzipiell gegen einen Investor ausgesprochen. Aber wir erwarten Beteiligung der Mitbestimmung auf Augenhöhe und verbindliche Zusagen.“ Kerner fordert, es müsse „jetzt schnell ein tragfähiges Zukunftskonzept für den weiteren Umbau Richtung grünen Stahl“ geben – „und endlich die Rückkehr zum Respekt vor der Mitbestimmung“. Er fügte hinzu: „Andernfalls ist der Konflikt programmiert.“
Thyssenkrupp-Konzernbetriebsratschef Tekin Nasikkol betont, es gebe noch viele offene Fragen: „Welche Absichten hat Kretinsky? Wie sieht sein Plan, sein industrielles Konzept aus? Wir werden die Absichten und den Plan von Kretinsky sorgfältig und kritisch bewerten – wenn er denn vorliegt. Eine Zerschlagung oder Schrumpfkur lehnen wir ab“, so Nasikkol.
Für die Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM) ändere sich die Situation durch den geplanten Einstieg von Kretinsky nicht, sagte Thyssenkrupp-Chef Miguel López auf Nachfrage bei der Telefonkonferenz. Die IG Metall hatte schon vor Monaten vor einem Aus von Deutschlands zweitgrößter Hütte mit rund 3100 Beschäftigten im Duisburger Süden gewarnt, da bislang ein Zukunftskonzept der Eigentümer Thyssenkrupp Steel, Salzgitter aus Niedersachen und Vallourec aus Frankreich fehlt.
Krupp-Stiftung sieht Einstieg der Kretinsky-Firma positiv
Die Essener Krupp-Stiftung, die größte Einzelaktionärin des Ruhrgebietskonzerns, zeigt sich erfreut über die Beteiligung der EP Corporate Group am Stahlgeschäft von Thyssenkrupp. „Die Stiftung hat großes Vertrauen in den Vorstand um Miguel López und ist weiterhin von dem Potenzial des Unternehmens überzeugt, wieder wettbewerbs- und dividendenfähig zu werden“, heißt es in einer Mitteilung der Stiftung, die von der Kuratoriumsvorsitzenden Ursula Gather geführt wird.
Für den 30. April hat die IG Metall die Beschäftigten von Deutschlands größtem Stahlkonzern eingeladen, zu einer „Informationsveranstaltung“ in das Stadion des MSV Duisburg zu kommen. Auf mehrfache Nachfrage bekräftigte López, er werde an dem Treffen nicht teilnehmen. In diesem Zusammenhang wies er unter anderem darauf hin, dass zunächst noch der Aufsichtsrat von Thyssenkrupp tagen und zum angestrebten Einstieg von EPCG entscheiden müsse.
Vor wenigen Tagen hatte der Vorstand von Thyssenkrupp Steel erklärt, das Unternehmen solle für eine deutlich geringere Produktion neu zugeschnitten werden. Bislang seien die Anlagen von Thyssenkrupp Steel auf eine Jahresproduktion von rund 11,5 Millionen Tonnen ausgelegt. Künftig sollen es lediglich neun bis 9,5 Millionen Tonnen sein. Damit fällt fast ein Viertel der Produktion weg. Es werde einen „noch nicht bezifferbaren Abbau von Arbeitsplätzen“ geben. Als eine Faustformel in der Stahlindustrie gilt: „Eine Million Tonnen gleich 1000 Arbeitsplätze.“
In der Telefonkonferenz am Freitagmorgen hob Thyssenkrupp-Chef López hervor, wie nützlich die Energiekompetenz des neuen Partners aus Tschechien sei. Denn bei Thyssenkrupp Steel entsteht in den kommenden Jahren aller Voraussicht nach ein stark wachsender Strombedarf. Mit dem beabsichtigten Abschied von den bestehenden Hochöfen und dem Bau neuer Direktreduktionsanlagen (DRI-Anlagen) ändert sich die Stromrechnung für den Stahlstandort Duisburg grundlegend. Heute liegt der Anteil der Energie an den Gesamtkosten für die Herstellung einer Bramme Rohstahl von Thyssenkrupp Unternehmensangaben zufolge bei rund fünf Prozent. Für zukünftige, grüne Verfahren zur Stahlherstellung werde der Energiekostenanteil auf bis zu 50 Prozent steigen, erklärte der Konzern unlängst. Derzeit betreibt Thyssenkrupp vier Hochöfen in Duisburg und ist damit einer der größten Emittenten von Kohlendioxid (CO2) in Deutschland. Durch den Umbau der Produktion soll sich die Klimabilanz erheblich verbessern.
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